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Studie zum GrundeinkommenJeden Monat 1200 Euro aufs Konto, drei Jahre lang – ohne Bedingungen

Lesezeit 6 Minuten
Die Schwimmlehrerin Samira Korves aus Münster profitierte vom Sozialexperiment.

Die Schwimmlehrerin Samira Korves aus Münster profitierte vom Sozialexperiment.

1200 Euro bedingungsloses Grundeinkommen gab es drei Jahre lang für 122 Menschen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Elisabeth Ragusa empfand ihren alten Job als okay – mehr aber nicht. Sie arbeitete als Industriekauffrau und träumte vom Lehrerberuf. Doch das Geld für ein Studium reichte nie.

Inzwischen studiert die 32-Jährige Lehramt für Grundschulen mit den Fächern Deutsch und Naturkunde an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Ihren alten Job hat sie gekündigt. „Ich fühle mich freier, sicherer und bin glücklich“, sagt sie jetzt.

Für Ragusa ist ihr Glück eng verknüpft mit einem bemerkenswerten Sozialexperiment, an dem sie ab Juni 2021 teilgenommen hat. Der Verein „Mein Grundeinkommen“ hatte zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 122 Teilnehmende finanziell mit einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) unterstützt. Zwei Millionen Menschen hatten sich zuvor für das BGE beworben.

Grundeinkommen: 1200 € pro Monat

Ragusa und alle anderen bekamen bis Mai 2024 jeden Monat 1200 Euro auf ihr Konto überwiesen. Einfach so. Bedingungslos. Die Forscher und der Verein wollten wissen, was das Geld von 180.000 Spendern bei den Menschen auslöst, die davon profitieren. Die Teilnehmenden waren zu Beginn der Langzeitstudie zwischen 21 und 40 Jahre alt, verdienten zwischen 1100 Euro und 2600 Euro in ihrem Job und lebten allein.

Alle sechs Monate gaben sie den Forschern in Befragungen Informationen darüber, ob ein BGE in die viel zitierte soziale Hängematte führt oder als Sprungbrett dient. Sind sie weiter zur Arbeit gegangen oder haben sie ihren Job gekündigt? Haben sie gespart? Waren sie glücklich oder hat das Grundeinkommen sie satt und faul gemacht?

Probanden hörten nicht auf zu arbeiten

Die Antworten auf diese Fragen gaben die Forscher in dieser Woche in einer Pressekonferenz in Berlin. Eine Erkenntnis ist, dass die Menschen nicht aufhören zu arbeiten – auch wenn sie es sich theoretisch leisten könnten. Proband Dominic Schiffer arbeitete zum Beispiel während der drei Jahre weiter als Rettungssanitäter. „Ich habe auch nicht darüber nachgedacht, mit den Stunden runterzugehen“, sagt er. Stattdessen machte er parallel zum Hauptjob eine Weiterbildung zum Versicherungskaufmann und arbeitete anderthalb Jahre in dem Zweitjob.

Auch die Schwimmlehrerin Samira Korves aus Münster arbeitete nicht weniger, während sie das Grundeinkommen bezog – erst nach dem Experiment reduzierte sie ihre Stundenzahl. Mit dem Geld investierte die Probandin in ihre Schwimmschule. Korves stand einem bedingungslosen Grundeinkommen anfangs selbst kritisch gegenüber. „Ich dachte, damit legen sich alle nur auf die faule Haut.“ Seitdem sie Teil des Experiments war, glaubt die Schwimmlehrerin jedoch: „Ein solches Grundeinkommen hat viel Potenzial, weil es Menschen ermöglicht, ihre Ideen umzusetzen.“ Für finanzierbar hält sie es auch, da für eine Einführung des Grundeinkommens andere Sozialleistungen wie Bafög, Wohngeld und Arbeitslosengeld wegfallen würden. Der Politik fehle jedoch der Wille, die Idee umzusetzen.

Samira Korves, Probandin und Schwimmlehrerin aus Münster, konnte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in ihre Schwimmschule investieren

Samira Korves, Probandin und Schwimmlehrerin aus Münster, konnte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in ihre Schwimmschule investieren

Koalition und Wirtschaft kritisieren Idee

Die beteiligte Wissenschaftlerin der Wirtschaftsuni Wien, Susanne Fiedler, fasste die Empfehlung der Forscher so zusammen: „Bei aktuellen Rechenmodellen sind teilweise Annahmen aus den 1970er Jahren enthalten. Wir sind fest davon überzeugt, dass unsere Langzeitstudie einen wichtigen Beitrag leisten kann – den die neue Regierung beachten sollte.“

SPD und CDU zweifeln jedoch an der Idee. Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ist skeptisch. Es kritisiert die Studie der Berliner Konkurrenz als zu klein, zu selektiv und wenig aussagekräftig. „Aus diesen Ergebnissen Ableitungen für eine ganze Volkswirtschaft bilden zu wollen, ist fragwürdig“, sagte IW-Ökonom Dominik Enste. Das Grundeinkommen bleibe gesamtgesellschaftlich gesehen ein teurer Wunschtraum.

Experiment verbesserte die psychische Gesundheit

Für die Teilnehmer jedenfalls hat sich das Experiment in vielerlei Hinsicht gelohnt. Die mentale Gesundheit der Probandinnen und Probanden verbesserte sich spürbar. Die Sicherheit und Handlungsspielräume, die das Grundeinkommen gewährleistete, steigerte das persönliche Wohlbefinden und das Gefühl, einer sinnhaften Tätigkeit nachzugehen. Stress und Depressionen verringerten sich. Die Effekte zeigen sich sogar noch sechs Monate nach Ende des Experiments.

Auch Dominic Schiffer geht es jetzt besser. Mit 250 Euro monatlich stotterte er zu Beginn seiner BGE-Zeit einen Kredit ab. „Es ging mir psychisch nicht so gut, ich hatte eine Depression“, sagt er. Wegen hoher Spritpreise und der Schulden zählte er oft die Tage bis zum nächsten Gehalt. „Das Grundeinkommen hat mich unterstützt, ich musste nicht darüber nachdenken, wie viele Nebenjobs ich annehmen muss. Ich wusste, wenn ich einen annehme, dann für mich, nicht für die Bank.“

Das ist eine universelle Erfahrung unter den Probanden: Ihre Arbeitszufriedenheit stieg, sie nahmen sich als selbstbestimmter wahr. Außerdem schliefen sie ungefähr eine Stunde mehr pro Woche als die Vergleichsgruppe. Die Empfängerinnen und Empfänger verbrachten zudem wöchentlich knapp vier Stunden mehr mit Freunden und Familie.

Die meisten Probanden sparten mehr

„Die Menschen handeln anders. Nicht, weil sie sich als Menschen verändert haben, sondern ihre Möglichkeiten“, erläutert die Wiener Wissenschaftlerin Fiedler. Bei vielen führte das Geld zu einem aktiveren Leben, sie verwendeten es etwa für Freizeit und Reisen. Dafür gab auch Dominic Schiffer mehr Geld aus: „Wir waren in Thailand, Südafrika und der Karibik.“

Zunächst sei er überfordert gewesen von der Aufgabe, das Geld zu verwalten. „Ich war an einem Punkt in meinem Leben, wo ich mich sehr mit meiner Rente beschäftigt habe.“ 300 Euro zahlte er jeden Monat in eine private Altersvorsorge und Versicherungen ein – zum ersten Mal eine Rechtsschutzversicherung: „Die habe ich mir vorher nicht leisten können.“ 500 Euro sparte der 28-Jährige monatlich für Reparaturen oder Urlaube.

Damit entspricht er in etwa dem Schnitt: Die Teilnehmenden legten durchschnittlich 779 Euro auf die hohe Kante – mehr als das Doppelte der Vergleichsgruppe. Schiffer konnte seinen Schuldenberg abbauen, er lebt nun sorgenfreier. 3000 Euro blieben am Ende des Projekts übrig. Die möchte der Rostocker bald in seine Hochzeit investieren.

Grundeinkommen erlaubt Investitionen in Unternehmen

Doch es gibt auch Ausnahmen: Die Münsteraner Probandin Samira Korves sparte nicht. „Ich hatte mein Geld schon nach drei Monaten verplant“, sagt sie. Zuerst kaufte sich die Inhaberin einer Schwimmschule ein Auto, um leichter zu den Standorten ihrer Schule zu kommen. Den Rest des Geldes investierte sie in neue Materialien für ihr Unternehmen und stellte eine Schwimmlehrerin und eine Physiotherapeutin ein. „Das Geld war ein Raketenantrieb für meine Schule“, sagt Korves. Die letzten Monate, in denen sie noch das Grundeinkommen bezog, habe sie dieses nicht mehr gebraucht und viel gespendet – zum Beispiel, indem Korves Schwimmkurse zu einem günstigeren Preis anbot.

Ebenso wie bei den anderen Probanden erhöhte das bedingungslose Grundeinkommen Korves psychische Gesundheit stark. Denn während des Corona-Lockdowns hatte die Schwimmlehrerin neun Monate lang kein Einkommen und lebte nur von Erspartem. Die monatlichen 1200 Euro schenkten ihr finanzielle und dadurch auch psychische Stabilität. „Das war für mich eine riesige Rettung.“

Die Studie zeigt: Bei der mentalen Gesundheit konnte eine Standardabweichung von 0,35 festgestellt – das entspricht etwa einer therapeutischen Maßnahme, ordnet Fiedler ein. In der wahrgenommenen Lebensqualität sogar eine Abweichung von 0,42, was in etwa vergleichbar sei mit frisch geschiedenen versus frisch verheirateten Menschen.

Am 1. Mai wird erneut Grundeinkommen im Wert von 500.000 Euro verlost.