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„Erst die Omma, dann der Rembrandt“24 Stunden Köln – Unterwegs mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr

6 min
Einsatzleiter Ulrich Laschet (r.) auf dem Weg zu einem Einsatz

Einsatzleiter Ulrich Laschet (r.) auf dem Weg zu einem Einsatz

Ein SEK-Einsatz im Kölner Norden, dreimal Gasalarm – und das Ende eines Mythos‘. Unterwegs mit Feuerwehr-Einsatzleiter Ulrich Laschet.

7.30 Uhr, Hauptfeuerwache Scheibenstraße in Weidenpesch, Leitstelle

Von 7 Uhr bis 7 Uhr dauert eine 24-Stunden-Schicht, und jeder Tag beginnt mit der Frühbesprechung. Was auf den einzelnen Wachen das morgendliche „Antreten“ in der Wagenhalle ist, heißt hier bei den Führungskräften „Ansitzen“. 20 Beamte sitzen um einen großen Besprechungstisch. Der Dienstgruppenleiter der Leitstelle gibt einen kurzen Überblick über laufende Einsätze und anstehende Ereignisse. Viel ist gerade nicht los: Bei einem Chemiebetrieb in Wesseling werden Gase kontrolliert abgefackelt, das macht Lärm, ist aber nicht gefährlich. Und auf den Wachen werden heute die Alarmsysteme gewartet.

8.05 Uhr, Einsatzleitfahrzeug

Mitten in der zweiten Besprechung des Morgens, der „kleinen Runde“ mit den engsten Führungskräften, geht der Alarm: Eine automatische Brandmeldeanlage bei einem Kunststoffhersteller im Kölner Norden hat ausgelöst. Ulrich Laschet eilt in die Fahrzeughalle zum Einsatzleitwagen, genauer gesagt: Er geht schnell. „Um direkt mal mit einem Mythos aufzuräumen“, sagt er, während er die Tür zum Treppenhaus öffnet: „Wir rennen nicht bei der Feuerwehr, und wir rasen auch nicht.“ Das verursache nur Hektik, und Hektik lasse einen Dinge vergessen und die Kontrolle verlieren. „Das kann verheerende Fehler im Einsatz zur Folge haben.“ Außerdem: Rasen im Straßenverkehr sei gefährlich für alle.

Wenn es schnell gehen muss: Stiefel und Hose stehen in der Fahrzeughalle zum Reinschlüpfen bereit.

Wenn es mal schnell gehen muss: Stiefel und Hose stehen in der Fahrzeughalle zum Reinschlüpfen bereit.

Laschet ist heute „Beamter vom Alarmdienst“ (BVA), zuständig für den Kölner Norden und für das Messen von Gefahrstoffen bei Umwelteinsätzen in der ganzen Stadt. Ein zweiter BVA auf der Wache in Lindenthal ist für den Süden verantwortlich, ein dritter für das Rechtsrheinische. Über ihnen stehen nur der „Oberbeamte vom Alarmdienst“ (OVA) und Feuerwehrchef Christian Miller. Unter ihnen die Löschtrupps und Rettungskräfte der einzelnen Wachen. Die BVA koordinieren die Einsätze vor Ort, fordern bei Bedarf Einsatzkräfte nach, treffen in unklaren Situationen die Entscheidungen und priorisieren die Aufgaben.

Bei einem Brand gilt zum Beispiel der Grundsatz: Erst Menschen retten, dann Tiere, dann Wertgegenstände – oder wie Laschet sagt: „Erst die Omma, dann der Hund, dann der Rembrandt.“

8.20 Uhr, Firma für Kunststoffherstellung im Kölner Norden

Die Besatzung eines Löschzugs ist schon da, als der Einsatzleiter eintrifft. Aber der Meldealarm hat sich schnell erledigt, ein technischer Defekt. Laschet bittet einen Verantwortlichen der Firma, umgehend die Anlage zu prüfen. Erst tags zuvor war die Feuerwehr da, ebenfalls umsonst, weil das System fälschlich ausgelöst hatte.

8.46 Uhr, Gasgeruch in einer Wohnung in der Altstadt

Der Anrufer auf der Leitstelle klingt besorgt: In seiner Wohnung rieche es nach Gas. Im Einsatzleitwagen wartet schon der Fahrer auf Ulrich Laschet – wieder raus aus Stoffhose und bequemen Schuhen und rein in Uniformhose, Stiefel und Jacke. Damit verschmutzte Einsatzkleidung nicht den Wachbereich kontaminiert, müssen sich die Feuerwehrleute vor und nach jedem Einsatz in der Fahrzeughalle umziehen.

In der Wohnung hat der Mieter alle Fenster aufgerissen, Gasgeruch ist nicht wahrnehmbar. Auch das Messgerät zeigt keine auffälligen Werte. Laschet empfiehlt dem Bewohner, seine Gastherme warten zu lassen. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte“, entschuldigt der sich, der Feuerwehreinsatz scheint ihm unangenehm zu sein. „Alles richtig gemacht“, beruhigt ihn Laschet. „Lieber einmal zu viel anrufen als einmal zu wenig.“

Die Gas-Messgeräte zeigen keine erhöhten Werte an.

Die Gas-Messgeräte zeigen keine erhöhten Werte an.

11.23 Uhr, eine Wohnstraße im Kölner Norden

Eine Sozialarbeiterin will einem schwerkranken Mann, den sie betreut, einen routinemäßigen Hausbesuch abstatten. Aber der Mann öffnet nicht. Aus der Wohnung dringen keine Geräusche. Die Sozialarbeiterin hat einen Zweitschlüssel, aber der lässt sich im Schloss nicht drehen. Weil ein Schlüssel von innen steckt? Oder hat der Mann das Schloss ausgetauscht? Ist er in Gefahr und braucht Hilfe? Oder ist er gar nicht zu Hause? In ihrer Not ruft die Sozialarbeiterin die Feuerwehr, um die Wohnung gewaltsam öffnen zu lassen.

Das Problem: Der Mann ist wegen Gewaltdelikten polizeibekannt. Er hat zuletzt angekündigt, sich eine Waffe besorgen zu wollen – was er damit vorhat, ist unklar. Die Feuerwehr löst den Einsatz „P-Tür plus Eigenschutz“ aus und ruft die Polizei zur Unterstützung. P-Tür steht für eine womöglich hilflose Person hinter einer verschlossenen Tür.

„Ich habe überhaupt keine Vorstellung, was uns erwartet, das kann alles sein“, sagt Ulrich Laschet auf der Anfahrt. „Der Endpunkt wäre Ratingen.“ Ratingen, wo ein Mieter 2023 beim Zutritt von Rettungskräften in seine Wohnung eine Explosion auslöste, mehrere Polizisten und Feuerwehrleute wurden verletzt. Laschet schaut einen Porsche-Fahrer böse an, der am Steuer mit dem Handy telefoniert und dem Einsatzfahrzeug keinen Platz macht. Es gibt offenbar auch Mythen, die leben noch.

09.12.2025, Köln: „Unfallfrei statt Böllerei“ Feuerwehr zeigt Kindern die Gefahren durch Feuerwerk. Ulrich Laschet (Pressesprecher der Feuerwehr Köln).  Foto: Martina Goyert

Einsatzleiter Ulrich Laschet

Vor dem Haus halten sich die Besatzungen zweier Rettungswagen und eines Löschfahrzeugs bereit. Das Ganze ist jetzt eine Lage für die Polizei, und die entscheidet schließlich: Die Spezialisten sollen ran – zu gefährlich ist die Situation für die eigenen Leute. Ein SEK wird gerufen und stürmt die Wohnung. Der Mieter liegt im Wohnzimmer, bewusstlos, aber er lebt. Eine Waffe finden die Einsatzkräfte nicht. Sofort beginnen die Rettungssanitäter mit der Behandlung. Der Mann wird ins Krankenhaus gebracht.

13.40 Uhr Hauptfeuerwache Scheibenstraße in Weidenpesch

Kurze Pause bei Kaffee und Weihnachtskeksen. Feuerwehr, sagt Laschet, sei der schönste Beruf der Welt. „Du weißt morgens nicht, was der Tag bringt.“ Sich den Problemen zu stellen, im Team Lösungen zu finden – und dabei möglichst schnell zu sein. Das sei „unheimlich befriedigend“. Und wieder geht der Alarm: Gasaustritt in Buchheim. Laschet eilt in die Fahrzeughalle – zügig, nicht hektisch.

14.18 Uhr, Frankfurter Straße

Aus einer beschädigten Gasleitung in einer Baugrube an der Frankfurter Straße tritt Gas aus.

Aus einer beschädigten Gasleitung in einer Baugrube an der Frankfurter Straße tritt Gas aus.

Ein Bagger hat bei Bauarbeiten eine Gasleitung getroffen, es zischt in der Grube, Gas strömt aus. Die Polizei hat die Straße gesperrt. Während sich Feuerwehrleute mit Schläuchen aufstellen, misst Ulrich Laschet den Gasgehalt in der Luft oberhalb des Lecks, die Werte schwanken: 350 ppm (parts per million), 500, 250, 370. Jedenfalls kein Grund zur Sorge. Explosionsgefahr herrscht erst ab 40.000 ppm. Arbeiter der Rhein-Energie klettern in die Grube und dichten das Leck ab.

16.50 Ein Mehrfamilienhaus in der Nähe des Hauptbahnhofs

Rauch in einer Wohnung. Eine Mieterin hat sich ausgesperrt, aber auf dem Herd brutzelt noch das Essen. Über Drehleitern steigen Feuerwehrleute durch ein Fenster in die Wohnung ein – und holen den Topf vom Herd. Die Wohnung wird durchgelüftet.

19.43 Uhr Wohnviertel in Dünnwald

Mieter melden Gasgeruch in einem Keller. Und wie schon morgens in der Altstadt können weder die Nasen der Feuerwehrleute noch die Messgeräte einen Gasaustritt feststellen. Es ist der letzte Einsatz dieser 24-Stunden-Schicht. „Danach war Ruhe“, meldet Ulrich Laschet am nächsten Morgen. Das Fazit: ein paar Gefahren beseitigt, ein bisschen Bürgerberatung und die gewohnt enge Zusammenarbeit mit der Polizei. Ein normale Schicht, sagt Laschet. Alltag in Köln.