Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Bei Privaten läuft das anders“Experte erklärt, was Köln bei Großprojekten besser machen könnte

6 min
Die Baustellle auf der Mülheimer Brücke.

Die Baustellle auf der Mülheimer Brücke

Warum werden städtische Bauprojekte häufig teurer als zum Zeitpunkt des Baubeschlusses? Ein Gespräch mit Architekt Hans-Peter Achatzi.

Herr Achatzi, der Stadtrat hat beim Baubeschluss 2016 ein Budget von 116,1 Millionen Euro für die Sanierung der Mülheimer Brücke beschlossen. Dann stieg das Budget während der Sanierung auf 301 Millionen Euro und zuletzt auf 498,2 Millionen Euro. Wie kann sowas sein?

Zum konkreten Fall kann ich wenig sagen. Aber solche Dimensionen überraschen mich bei einer Brücke schon auch, denn eine Brücke ist eine recht überschaubare Konstruktion. Aber es gibt bei all diesen Bauprojekten, ob es nun die Oper ist oder jetzt die Mülheimer Brücke, grundlegende Probleme, die strukturell so angelegt sind. Da müsste man etwas verändern, aber das geschieht leider nicht.

Was sind das für Probleme?

Alles zum Thema Mülheimer Brücke

Das sind die Phasen null und eins, also die ersten Projektphasen, sprich die Projektvorbereitung. Da muss eine Stadt eine sorgfältige Bestandsanalyse erstellen und Fragen beantworten wie: Was ist vorhanden und woraus besteht das? Wo liegen die Mängel? Wie ist das konstruiert? Wie ist es gegründet? Gibt es Umweltauflagen? Gibt es da irgendwas? Das kostet Geld und braucht Zeit. Das ist das eine.

Was braucht es noch?

Das andere ist eben die Bedarfsplanung in dieser Zeit. Bei einer Brücke ist das wahrscheinlich überschaubar, aber beispielsweise bei der Oper muss eine Stadt sorgfältig ermitteln, welchen Bedarf es gibt. Das muss ich frühzeitig auch mit den Nutzern abstimmen. Und beides, also Bestandsanalyse und Bedarfsplanung, müssen ganz am Anfang passieren und dafür braucht es eben Zeit und Geld.

Aber?

Das gibt es meist in dieser frühen Projektphase nicht. Es gibt noch keinen Projektetat und man will schnell Ergebnisse vorweisen. Und das nehmen Städte auch oft in Kauf oder machen es absichtlich, weil auf Basis dieser Planung der Stadtrat ja einen Baubeschluss trifft.

Sie meinen, es gibt immer noch diesen sogenannten politischen Preis, der niedriger ausfällt, damit der Rat ein Bauprojekt beschließt? Und Ihr Vorschlag wäre, dass eine Stadt gründlicher plant, selbst auf die Gefahr, dass die Ratspolitiker vor der höheren Summe erschrecken? Aber dann wäre es wenigstens eine ehrliche Summe?

Ja, genau. Natürlich gibt es bei Bestandsgebäuden wie einer solchen Brücke immer versteckte Probleme. Aber man kann diese Probleme noch viel gründlicher identifizieren und auch den Bedarf, damit eben nicht während der Planung noch jemand versucht, nachträglich seine Wünsche einzubringen. Ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen: Bei professionellen privaten Bauherren läuft das ganz anders. Die wollen wirklich vorher wissen, was ein Bauprojekt kostet. Da hat man diese Abweichung in dem Maße nicht. Und dann kommt noch ein Punkt dazu.

Welcher?

Die Zahl, die eine Verwaltung dem Rat nennt, basiert vorschriftsgemäß auf den aktuellen Baukosten zum Zeitpunkt der Kostenermittlung. Aber es wird ja nicht direkt los gebaut. Und dann sind die Kosten abhängig von der Dauer bis zum Baubeginn für beispielsweise Material nochmal um ein Vielfaches höher, möglicherweise bis zu 50 Prozent und mehr. Das muss eine Stadt auch vorher so klar kommunizieren.

Aber sind dafür nicht die Risikobudgets auch da?

Nein. Das Risikobudget ist tatsächlich dafür da, wenn etwa unbekannte Baumängel auftreten. Die Baukostenentwicklung kommt noch dazu.

2016 hatte die Stadt dem Rat mitgeteilt: „Das sich hieraus abzuleitende Risiko wurde seitens der Verwaltung durch eine Vielzahl von Untersuchungen auf ein mögliches Minimum reduziert.“ Sie bezifferte das Risiko, dass ungeplante Probleme Verzögerungen verursachen, mit zehn bis 15 Prozent und ließ sich deshalb 15,2 Millionen Euro Risikobudget genehmigen. Jetzt begründet die Stadt das Plus von 200 Millionen Euro mit „nicht vorhersehbaren Schäden“ – sieben Jahre nach dem Baustart.

Für mich spricht vieles dafür, dass die Stadt doch nicht so gründlich untersucht hat, wie sie es damals gesagt hat. Was soll sie denn jetzt bei einer Brücke finden, was sie nicht schon vorher hätte finden können? Bei einer Brücke, mein Gott, das ist überschaubar. Bis auf diese 15 bis 20 Prozent sollte man das schon eingrenzen können. Dann muss eine Stadt eine solche Brücke vorher auch mal sperren, um sie zu untersuchen. Was erforderlich ist, ist erforderlich. Angesichts der jetzigen Kostenentwicklung kann ich die Untersuchungen vor dem Bau nicht als gründlich begreifen.

Und der Rat muss immer mehr Geld nachschießen, weil eine halbfertige Brücke nicht vermittelbar ist und schon ausgegebenes Geld verloren ist.

Ja, dann muss der Rat weitermachen und in den sauren Apfel beißen.

Die städtische Brückenamtschefin hat schon vor drei Jahren gesagt, künftig sei es „unbedingt erforderlich, genauer hinzugucken, damit man zu realistischen Kosten und Bauzeiten kommt“.

Das ist eine gute Erkenntnis, aber eigentlich kann man das so nicht sagen. Das ist ein Bauamt und Bauen ist deren Geschäft, selbst wenn es sich um eine alte Rheinbrücke unter Denkmalschutz handelt. Es gibt ja noch andere Brücken in Deutschland, die saniert werden, die muss eine Stadt sich anschauen, davon kann sie lernen.

In Köln dauert nicht nur die Sanierung der Mülheimer Brücke länger, Sie haben auch die bundesweit bekannte Oper angesprochen. Trotzdem ist es Ihrer Meinung nach kein logischer Schluss, dass Bauprojekte in dem Ausmaß aus dem Leim gehen?

Nein, man muss es eben richtig machen.

Die Bundesregierung hatte eine Reformkommission gegründet, die schon 2015 zehn Erkenntnisse lieferte, wie Großbauprojekte eben nicht teurer werden und länger dauern. Eine davon lautet: erst planen, dann bauen. Man müsste es doch nur umsetzen, oder?

Ja, aber das Umsetzen bedeutet eben die drei Punkte, die ich genannt habe. Gründlichere Untersuchungen kosten Zeit und Geld, was in der Regel nicht vorgesehen ist. Und sie bringen möglicherweise Resultate, die man eigentlich nicht unbedingt wissen will. Das heißt, eine Stadt muss es wirklich wollen und vorantreiben und im Zweifel auch in sauren Apfel beißen und sagen: Ups, ja, das ist dumm gelaufen, wir dachten, es wird weniger, aber es wird so viel sein und möglicherweise noch mehr. Also muss sie sich ehrlich machen. Es sind doch Profis, die machen große Bauprojekte doch nicht zum ersten Mal.

Zur Person:

Architekt Hans-Peter Achatzi, Jahrgang 1954, hat das Büro „C4C Competence for Competitions“ in Berlin mitgegründet. Laut eigener Aussage steht es für das Streben „nach Qualität von der ersten Projektidee über den Planungsprozess bis zum Ergebnis – sei es für einen Kindergarten oder für eine neue Stadt“.

Hans-Peter Achatzi.

Hans-Peter Achatzi

Als relevante Projekte gibt Achatzi die Bedarfsplanung des neuen Campus des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt und für das Opernhaus in Nürnberg an. Weitere Projekte waren unter anderem der Wettbewerb für die neue BMW-Welt in München und Entwicklungen für Adidas.

Achatzi ist seit drei Jahren im Ruhestand.