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Kölner Uniklinik„Jedes Kuscheln, jede Begegnung macht demütig“ – Ehrenamtliche geben Kindern Nähe

7 min
Ein kleines Frühchen liegt auf dem Oberkörper einer Frau. Es ist mit einer rot-pinken Decke zugedeckt.

„Kuscheloma“ Renate Meid und Dorothea. Zwei Stunden verbringen die beiden so miteinander

Sie kuscheln gegen die Einsamkeit. Wenn Eltern nicht da sein können, schenken Ehrenamtliche wie Renate Meid Frühchen in der Kölner Uniklinik Nähe. 

Dorothea liegt in einem Wärmebett, zugedeckt mit einer pinkfarbenen Decke. Der Teddybär neben ihr ist fast größer als sie. 490 Gramm hat sie bei ihrer Geburt gewogen. Nicht einmal so schwer wie zwei Päckchen Butter. Seit fünf Monaten liegt sie auf der Neonatologie der Universitätsklinik Köln. Die Station betreut Frühgeborene und kranke Neugeborene. In diesem Artikel sind alle Kindernamen zum Schutz der Kinder geändert. 

Dorothea ist in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen. Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt und gelten als Frühgeburten. Inzwischen wiegt sie 1000 Gramm, ein Meilenstein für sie. Wer ihr Zimmer betritt, hält unwillkürlich die Luft an, als wolle der Besucher das Kind nicht stören. Alles an ihr wirkt zart und zerbrechlich. Ihre Fingerchen erinnern an Streichhölzer.

Ein pinkes Schild mit einem kleinen Fußabdruckt drauf und der Aufschrift „1000 Gramm“ hängt am Fußende eines Wärmebetts.

1000 Gramm: Ein Meilenstein, der gefeiert wird.

Kinderpflegerin Laura Cuurts beugt sich über ihr Bettchen, streicht ihr über den Kopf und dreht sie vorsichtig zur Seite. Dorothea streckt sich und gibt leise Töne von sich. „Ich weiß, wir stören dich jetzt. Aber gleich beginnt der entspannte Teil. Wir müssen nur erst deine Windel wechseln.“ 

Frisch soll sie sein, bevor die Pflegerin das kleine Bündel Mensch an Renate Meid übergibt. Die sitzt schon auf einem Liegestuhl neben dem Bett bereit. Zwei Stunden wird sie heute mit Dorothea verbringen. Vorsichtig legt Cuurts Dorothea in die Arme von Meid. Das Baby gluckst ein wenig empört. Beruhigend streichelt Meids Hand über seinen Rücken. Drei Decken legt Cuurts der Kleinen noch über. Nach kurzer Zeit schläft Dorothea schon wieder ein.

„Ich werde automatisch ruhiger, wenn ich die Station betrete“, sagt Renate Meid. Die Rentnerin ist häufig hier. Die 74-Jährige arbeitet über den Kinderschutzbund beim Krankenhausbesuchsdienst mit: „Ich bin Kuscheloma, wie viele sagen, weil ich das Alter dafür habe.“

Ein leerer Inkubator auf dem Flur der Neonatologie.

Manche der Frühgeborenen müssen erst in einen Inkubator. Das Gerät reguliert Temperatur und Luftfeuchtigkeit, ein „Brutkasten“, in dem sie heranwachsen können.

Der Krankenhausbesuchsdienst des Kinderschutzbundes betreut seit 1975 kranke Babys, Kinder und Jugendliche in der Uniklinik Köln. In enger Abstimmung mit Eltern und Pflegediensten unterstützen die Ehrenamtlichen junge Patientinnen und Patienten während des Aufenthalts. Besonders dann, wenn sie wenig oder gar keinen Besuch bekommen. Dorothea kam per Notkaiserschnitt zur Welt und auch sonst sind ihre Lebensumstände schwierig. Daran wird sich wahrscheinlich auch nichts ändern, wenn sie das Krankenhaus verlässt. Seit drei Wochen wechseln sich die Ehrenamtlichen täglich mir ihrer Betreuung ab.

27.10.2025, Köln: Frauenklinik  Foto: Charlotte Groß-Hohnacker

Überall auf der Station finden sich kleine Farbkleckse wieder.

Meid und ihre neun Kolleginnen kümmern sich um Kinder wie Dorothea, zu denen es die Eltern gar nicht oder nicht so häufig schaffen. Körperkontakt bedeutet für Babys: Nähe, Wärme, Zuwendung. All das schenken die Ehrenamtlichen. Sie springen ein, wenn Eltern arbeiten müssen, sich um Geschwister kümmern, weit entfernt wohnen oder selbst erkrankt sind. Manchmal liegen die Gründe auch in schwierigen sozialen Situationen: Alkohol, Drogen, Strafvollzug.

Frühgeborene werden normalerweise nicht vor der 35. Schwangerschaftswoche entlassen, viele bleiben bis zur 40. Woche, manche sogar länger. Einige kommen bereits in der 23. Schwangerschaftswoche zur Welt und liegen dann über Wochen auf der Station. Eine enorme Belastung für Eltern, Pflege und Ärztinnen.

 „Wir erfahren natürlich viel, aber wir hinterfragen nicht“, sagt Meid. „Manchmal frage ich mich zu Hause: In welches Leben kuschle ich hier eigentlich? Aber das ist nicht meine Entscheidung.“

Die Einsätze werden vorher abgesprochen. Der Psychosoziale Dienst spricht mit den Eltern. Nur mit deren Zustimmung kommt der Besuchsdienst. Sandra Toermer, Sozialpädagogin und systemische Therapeutin, und ihre Kolleginnen melden den Bedarf auf der Neonatologie. Es gebe Phasen, in denen sie zwei oder drei Kinder gleichzeitig haben. Dann wieder Wochen, in denen niemand Unterstützung brauche. Am besten sei es, wenn die Familien versuchen zunächst Hilfe und Unterstützung im Familien- und Freundeskreis zu organisieren.

Eine blonde Frau mit Brille und schwarzem Pullover steht im Eingang der Neonatologie.

Sandra Toermer kümmert sich auf der Neonatologie um die Terminabsprache mit dem Krankenhausbesuchsdienst.

Für einige Eltern sei es eine Entlastung, zu wissen, dass jemand beim Baby ist. Andere fremdeln zunächst mit dem Gedanken, dass eine ihnen unbekannte Person ihr Kind hält. Oft schwinge ein schlechtes Gewissen mit, sagt Toermer, das Gefühl, nicht genug da sein zu können. Genau das wolle sie vermeiden, denn für die Familien sei es eine Ausnahmesituation.

Rund 2000 bis 2600 Neugeborene kommen jedes Jahr an der Uniklinik Köln zur Welt. Etwa 140 von ihnen wiegen weniger als 1.500 Gramm. Für diese besonders kleinen Kinder ist der Kontakt zu anderen Menschen notwendig. Katrin Mehler, Oberärztin der Neonatologie, beobachtet eine Entwicklung in der Medizin. Immer mehr Krankenhäuser setzen Kuschelpaten und -patinnen ein. Der Kontakt helfe den Kindern, sich später selbst besser zu regulieren, stabilisiere Atmung und Herzfrequenz. Auch das frühe Kennenlernen von Hautkeimen sei wichtig, um eine gesunde Hautflora zu entwickeln.

Lange Begleitung für Kölner Frühchen

Bei manchen Frühchen ist eine möglichst lange Begleitung nötig. Dann komme morgens eine Kollegin und am Nachmittag jemand anderes, sagt Meid. Bis zu drei Stunden sitzen die Ehrenamtlichen mit einem Frühchen auf dem Oberkörper auf den Liegestühlen in den Zimmern. Bei einigen Kindern tragen sie zusätzlich einen Kittel. Meid sitze die Zeit ruhig da. Kein Hörbuch, keine Musik. „Ich empfände es als grausig, wenn ich dabei aufs Handy schauen würde. Ich habe dann eine Aufgabe – das Kind.“ Bei älteren Kindern steht sie am Bett, hält eine Hand, singt oder erzählt Geschichten. Manchmal gehen sie auch zum Spielplatz.

Das Ehrenamt ist mehr als Kinderkuscheln. Die Ehrenamtlichen vermitteln Nähe und die Botschaft: „Du bist nicht allein.“ Das Schönste sei für sie, wenn die Kinder gesund nach Hause können. 

Eine Frau in grauem Mantel und mit grauen Haaren steht vor dem Eingang der Frauenklinik.

Zuwendung und Körperkontakt sind für Babys sehr wichtig. Wenn Eltern nicht genug Zeit haben oder ihnen die Kraft fehlt, übernehmen das Ehrenamtlerinnen des Kinderschutzbundes wie Renate Meid.

Sie erlebe viel Ungerechtigkeit. Kinder, die schon in den ersten Tagen um ihr Leben kämpfen müssen. Mütter, die unter Drogen gebären und am nächsten Tag verschwinden. Kinder, die künstlich beatmet werden müssen, mit ungewisser Zukunft. Was ihr im Umgang dabei hilft, sei eine Art Gottvertrauen und Zuversicht in die Arbeit des medizinischen Personals. „Hier wird alles getan, was menschenmöglich ist. Und manchmal reicht das nicht.“ Angst habe sie nie. „Es ist immer Personal in der Nähe, und sie entscheiden, was sie uns zutrauen.“ Auf Station werden die Kinder dauerhaft überwacht.

Niemand sollte allein sein, wenn er geht

Neue Ehrenamtliche werden eng begleitet. Uschka Wermter vom Kinderschutzbund Köln führt regelmäßige Gespräche. Sie organisiert die Gruppe. „Wir sind Gäste. Die Familie und besonders die Kinder haben immer Vorrang“, betont sie. Ehrenamtliche brauchen hohe Flexibilität, Verantwortungsbewusstsein und die Fähigkeit zur Abgrenzung. „Es kann wunderschön sein, zwei Frühchen auf der Brust zu haben – und gleichzeitig emotional belastend. Diese Balance müssen sie halten.“

Vor dem Start absolvieren die Ehrenamtlichen eine Schulung. Regelmäßig treffen sie sich zum Austausch. Auf sieben Stationen sind sie im Einsatz – von der Kinderkardiologie über die Intensivbereiche bis hin zur Dialyse. Sie besuchen alle Kinder und Jugendlichen, die es wünschen und bei denen Bedarf besteht. Sensibilität und Empathie sind entscheidend, zugleich eine gewisse Distanz, nicht nur bei den Frühchen.

Nicht alle Kinder, die die Ehrenamtlichen auf den Stationen betreuen, schaffen es. An die kleine Jasmin erinnert sich Meid bis heute. „Das war das erste Kind, bei dem klar war, dass es nicht überleben würde.“ Bis einen Tag vor Jasmins Tod sei Meid an ihrer Seite geblieben. Der behandelnde Arzt habe sie gefragt, warum sie immer noch komme. „Weil niemand allein sein sollte, wenn er gehen muss“, habe sie geantwortet.

An einen kleinen Jungen, Matthias, erinnert sie sich ebenfalls noch sehr gut. Er lag auf der Kardiostation, war fröhlich und lebhaft. Dann starb er plötzlich. Ohne Vorwarnung. Ohne Anzeichen. Die Nachricht erreichte sie im Auto. „Ich bin rechts herangefahren. Motor aus. Und dann liefen die Tränen.“ Meid wirkt wie jemand, der fest im Leben steht. Doch wenn sie von Matthias erzählt, wird ihre Stimme leise ein bisschen brüchig.

Die Arbeit erde sie – und sei trotzdem das schönste Ehrenamt der Welt. „Jedes Kuscheln, jede Begegnung macht demütig. Manchmal gehe ich mit einem Tränchen hinaus. Und dennoch mit einem guten Gefühl.“