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Neue SerieVon Menschen, die Köln und die Demokratie stärken

Lesezeit 5 Minuten
Ralf und Roswitha Donsbach engagieren sich in Vingst-Höhenberg für Kinder, Jugendliche, Familien und in Streitfällen.

Ralf und Roswitha Donsbach engagieren sich in Vingst-Höhenberg für Kinder, Jugendliche, Familien und in Streitfällen. 

„Ziemlich beste Leute“ heißt eine neue Serie im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Wir stellen Menschen vor, die zusammenhalten, was die Politik nicht mehr zusammenhalten kann. 

In einer Gemeinschaft können wir auf den guten Willen der anderen zählen. Wenn wir schwanken, werden wir gestützt. In der Gemeinschaft gibt es Hilfe und Mitgefühl ohne Gegenleistung. In der Gemeinschaft geben wir Menschen ihre Würde zurück. 

Mehr Gemeinschaft – das ist die Antwort auf viele drängende Fragen der Gegenwart. Die Frage, auf was wir uns besinnen sollten, wenn drei Viertel der Menschen zwischen 18 und 65 das Gefühl haben, „dass unsere Politiker keine Ahnung von dem haben, was sie tun“, wie das Kölner Rheingold-Institut in einer Studie festgestellt hat. Wenn sich die meisten von uns von den Krisen der Gegenwart überfordert fühlen und sieben von zehn Menschen sagen, sie ziehen sich lieber ins Private zurück, um da ihre Ruhe zu haben. Wenn jeder Vierte zu einer extrem rechten Partei tendiert und viele sich fragen: Wie lässt sich eine rassistische, systemverachtende Partei aufhalten und verhindern, dass Deutschland irgendwann wieder von Nazis regiert wird?

Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagt, wir sollten uns auf die Arbeit besinnen. „Wir müssen alle mit anpacken, mehr und effizienter arbeiten“, wiederholt er mantraartig bei jeder Gelegenheit. Anzupacken ist kein schlechter Rat – vom Verdrängen und Tagträumen werden so wenige Menschen glücklich wie von Gejammer oder täglichem Trinken. Anpacken kann und darf allerdings nicht nur im Sinne von Erwerbsarbeit, Wettbewerb und Wachstum verstanden werden – sondern unbedingt auch als Engagement für Andere. Anpacken ohne Ego. Anpacken für alle.

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Ehrenamt: Menschen leisten in NRW Gemeinschaftsarbeit im Wert von 20,9 Milliarden Euro

Zusammengehalten wird die Gesellschaft nicht nur von der Wirtschaft und von einem Sozialstaat, der gerade schmerzlich an seine Grenzen stößt, geschweige denn von Solidarität in Form von staatlicher Umverteilung: Bürgergeld, Solidaritätszuschlag und Reichensteuer haben das Potenzial, zu spalten – nicht, zu vereinen.  Zusammengehalten wird die Gesellschaft über Gemeinschaften im Kleinen. Von Menschen, die sich in diesen Gemeinschaften für Andere engagieren. Weil sie die Ressourcen haben, weil sie ihr Wissen gern weitergeben und in der Gemeinschaft Sinn erfahren: in der Karnevalsgesellschaft und beim Alten-Besuchsdienst, bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Fußballverein und im Hospizdienst, bei der Obdachlosenspeisung, Telefonseelsorge, Nachhilfe oder als Friedhofspatin – überall packen Kölnerinnen und Kölner mit an und füllen damit einen Satz von John F. Kennedy vorbildlich mit Leben: „Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern tue, was Du für Dein Land tun kannst.“

Laut Ehrenamt-Atlas 2024 leisten Menschen in NRW Gemeinschaftsarbeit im Wert von 20,9 Milliarden Euro. In Köln sollen demnach 45 Prozent der Menschen ehrenamtlich engagiert sein, im Schnitt für 172 Stunden im Jahr. Legt man den Mindestlohn zugrunde, entspricht das einem Gegenwert von 870 Millionen Euro. „Ohne das freiwillige Engagement unzähliger Menschen wäre Köln nicht die offene, vielfältige und soziale Stadt, die wir alle so schätzen“, sagt Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Es geht nicht ums Geld, auch wenn Ehrenamtler Aufwandsentschädigungen erhalten können und eine steuerfreie Pauschale bis zu 840 Euro im Jahr (die deutlich höher sein sollte). Es geht um die Stärkung einer Gemeinschaft, um Solidarität –  darum, unsere Gleichwertigkeit und Würde, die das Grundgesetz hervorhebt, mit Leben zu füllen und damit die freiheitliche Demokratie erst zu ermöglichen.

Man hat täglich das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich lerne ständig neue Menschen und Perspektiven auf das Leben kennen. Und nebenbei sammele ich dabei noch Sternchen für den Himmel
Roswitha Donsbach

So hoch würde Roswitha Donsbach es nicht hängen. „Man hat täglich das Gefühl, gebraucht zu werden. Das ist doch sehr schön“, sagt die 61-Jährige, die in Vingst-Höhenberg die Ferienfreizeit Hövi-Land mit aufgebaut hat, jahrelang in der Schulpflegschaft gearbeitet hat und tagtäglich Kindern hilft, die Schwierigkeiten in der Schule haben. „Ich lerne ständig neue Menschen und Perspektiven auf das Leben kennen. Und nebenbei sammele ich dabei noch Sternchen für den Himmel.“

Es ist atemberaubend, mit wie viel Hingabe und Lebenszeit sich Roswitha Donsbach und ihr Mann Ralf für Kinder und Familien in ihrem Viertel engagieren – das Ehepaar stellen wir zum Auftakt unserer neuen Serie „Ziemlich beste Leute“ vor, die ab sofort regelmäßig im Lokalteil des „Kölner Stadt-Anzeiger“ erscheint. Wir wollen mit diesen Geschichten das Engagement von Kölnerinnen und Kölnern würdigen, die im Kleinen jenes Vertrauen stiften, das im Großen verloren zu gehen droht.

Gemeinschaft und Freiheit werden oft als Gegenspieler verstanden: Wer sich in eine Gemeinschaft begibt, verzichtet auf Freiheit. Das Streben nach Freiheit und vermeintlicher Individualität hat im digitalen Zeitalter vorläufig gewonnen gegen den Wert der Gemeinschaft. Wir suchen passgenaue Partner*innen im Internet, die schnell ersetzt werden können, haben Tausend Freunde auf Insta, aber keine Zeit für die drei richtigen, gehen lieber schnell ins Fitnessstudio, um Ausdauer und Aussehen zu optimieren, als im Tennisverein Arbeitsstunden zu leisten und mitzuüberlegen, wie sich eine neue Ballwand finanzieren lässt.

Freiheitsstreben und Gemeinschaft müssen bestenfalls ausbalanciert werden, doch längst schlägt das Pendel Richtung Ego aus. Das macht sich zum Teil auch bei sinkendem sozialem Engagement bemerkbar. Freiwilligen-Organisationen und Vereine verlieren nicht im großen Stil Mitglieder, stellen aber fest, dass sich die Menschen weniger engagieren.

In der Gemeinschaft geben wir Menschen ihre Würde zurück. Wir verwandeln Krisen in Chancen und Sorgen in Zuversicht

Begründen lässt sich auch das mit dem Rückzug ins Private in Krisenzeiten: psychische Erkrankungen von Jugendlichen und Vereinsamung im Alter nehmen zu, Zukunftsängste haben Konjunktur, die freiheitliche Demokratie ist bedroht. Eine Rückbesinnung auf den Wert von Gemeinschaft und sozialem Engagement erscheint da nicht nur folgerichtig, sondern zwingend notwendig.

In der Gemeinschaft verwandeln wir Krisen in Chancen und Sorgen in Zuversicht. Es sind die ziemlich besten Leute, die das machen. In Köln gibt es zum Glück sehr, sehr viele davon. Das macht die Stadt sympathisch und die Demokratie stark.