Das Oberlandesgericht Köln traf eine neue Entscheidung in dem aufsehenerregenden Fall.
Tödliche Schießerei in NippesMittäter kommt auf freien Fuß – trotz Hafturteils von zwölf Jahren

Eine Polizistin am Tatort in Nippes nach der tödlichen Schießerei im Jahr 2015
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Als Hinrichtung hatten Gericht und Staatsanwaltschaft die Geschehnisse in der Nippeser Kneipe „No Name“ im November 2015 bezeichnet. Ein regelrechtes Rollkommando hatte das Lokal gestürmt, sofort wurde das Feuer eröffnet. Ein Mann stürzte tödlich getroffen vom Barhocker, weitere Opfer überlebten wohl deshalb, weil die Tatwaffe eine Ladehemmung hatte. Juristisch ist der Fall immer noch nicht abgeschlossen. Ein Beteiligter wird nun sogar aus der Untersuchungshaft entlassen.
Köln: Gegen Kaution von 15.000 Euro auf freiem Fuß
Wegen Beihilfe zum Mord und weiterer Straftaten hatte das Kölner Landgericht den 36-jährigen Beschuldigten im Oktober vergangenen Jahres zu insgesamt zwölf Jahren Haft verurteilt. Mit dem Urteilsspruch erließ die Vorsitzende Richterin Sabine Kretzschmar damals einen neuen Haftbefehl gegen den türkischen Staatsbürger und begründete diesen mit Fluchtgefahr. Zuvor hatte der Mann sich auf freiem Fuß befunden – da das Verfahren durch eine Revision schon überlang gedauert hatte.

Kommt auf freien Fuß: Der Beschuldigte neben seinem Verteidiger Frank Hatlé beim ersten Prozess im Landgericht Köln.
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Der Fall liegt nun erneut beim Bundesgerichtshof, Verteidiger Frank Hatlé hält auch das neue Urteil des Landgerichts für falsch. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Justizkreisen erfuhr, hob das zwischengeschaltete Oberlandesgericht (OLG) den Haftbefehl zwar nicht auf, setzte ihn jedoch unter Auflagen außer Vollzug. Vor der Freilassung muss der Beschuldigte 15.000 Euro Kaution in die Justizkasse einzahlen. Danach muss er sich zweimal pro Woche auf einer Polizeiwache melden.
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Köln: Beschuldigter hatte sich letztem Verfahren gestellt
Das OLG folgte damit der Argumentation von Anwalt Hatlé, wonach eine weitere Untersuchungshaft nicht verhältnismäßig gewesen wäre. Demnach hatte sich der 36-jährige Beschuldigte dem Verfahren am Landgericht gestellt – auch, nachdem die Staatsanwaltschaft bereits eine hohe Haftstrafe gefordert hatte. Zudem war der Mann während einer Prozesspause in die Türkei gereist – sein Vater hatte dort im Urlaub einen schweren Unfall – und freiwillig wieder nach Köln zurückgekehrt.
Durch die Haftentlassung erhöhen sich für den Beschuldigten die Chancen, seine Strafe – bei möglicher Rechtskraft des Urteils – im offenen Vollzug abzusitzen. Dann könnte er tagsüber arbeiten, müsste nur in der JVA übernachten und hätte allgemein mehr Freiräume. Gearbeitet hatte der Mann zuletzt nicht und das mit dem laufenden und belastenden Verfahren begründet. Insgesamt befand sich der Beschuldigte aufgrund dieses Verfahrens schon fast viereinhalb Jahre in Untersuchungshaft.
Köln: Frühere Kölner Hells-Angels-Größen gelten als Hauptverdächtige
Laut Landgericht soll der 36-Jährige vor der No-Name-Schießerei einen weiteren Tatbeteiligten zum Tatort gefahren und dort auch einen Zeugen, den Betreiber des Lokals, in Schach gehalten haben. Dass die Angelegenheit tödlich enden könnte, soll er spätestens beim Erblicken der Tatwaffe erkannt haben – bis zuletzt bestritt der Mann diesen Vorwurf. Der heute 36-Jährige habe auch nach den ersten Schüssen keinerlei Anstalten gemacht, sich der Situation zu entziehen, so das Landgericht.
Als Haupttäter gelten die einstigen Kölner Hells-Angels-Rockergrößen Ibrahim „Ibo“ K. und Erkan A. Sie sollen Vergeltung für einen Einbruch in eine von ihrem Umfeld betriebene Shisha-Bar in der Südstadt geschworen haben. Nach einem Tipp verorteten sie laut den Ermittlern die Diebe in der eigentlich geschlossenen Kneipe in Nippes. Dort sollen die Täter diverses Diebesgut gebunkert haben. Ob die Männer aber tatsächlich die Südstadt-Einbrecher waren, wurde bis heute nicht geklärt.
Köln: Verdächtige in der Türkei verhaftet und beschossen
Nach den tödlichen Schüssen waren Ibrahim K. und Erkan A. in die Türkei geflüchtet. „Ibo“ hatte in einem ersten Prozess per Videovernehmung eingeräumt, im „No Name“ mit einer Waffe hantiert zu haben. Er habe die Pistole jemandem auf den Kopf geschlagen, ein Schuss habe sich gelöst. Genauer äußerte sich der Mann nicht. Ibrahim K. war in der Türkei zwischenzeitlich verhaftet worden – er soll in eine Schießerei mit einem toten Polizisten verwickelt gewesen sein. Es drohen 43 Jahre Gefängnis.
Als mutmaßlicher Todesschütze gilt auch weiterhin Erkan A. Nicht zuletzt deshalb, weil er nach der Tat mit einem „Filthy Few“-Aufnäher an seiner Rocker-Kutte auffiel – dieser „Patch“ wird an Mitglieder vergeben, die für den Club getötet haben oder zumindest bereit waren, für diesen extreme Gewalt auszuüben. In der Türkei sollen laut Medienberichten bereits zwei Mordanschläge auf Erkan A. verübt worden sein. Als Rachemotiv wurde ein gescheiterter Drogendeal vermutet.