Abo

Kölnerin wollte nur Kleidung verkaufenWenn die eigenen Bilder auf Pornoseiten landen

7 min
Eine junge Frau mit roten Locken und grünem Kleid schaut in die Kamera.

Die Kölnerin Mina „Camira“ hat eine Petition gegen Fotomissbrauch gestartet, nachdem ihre Bilder auf Pornoseiten gelandet sind.

Was als harmlose Secondhand-Anzeige beginnt, endet für die Kölnerin Mina auf Dutzenden Pornoseiten. Ihr Fall offenbart ein System, das Frauen nicht schützt – und Täter gewähren lässt.

Mina „Camira“ starrt Anfang Juli 2025 auf ihren Bildschirm. Dort: ihre Fotos – auf pornografischen Foren im Internet. Versehen mit Begriffen wie „Ginger“, „Braless“ oder „Teenie“. Rund 20 oder 30 solcher Seiten, schätzt sie. Hochgeladen hat sie die Bilder dort nicht selbst. Eigentlich wollte sie mit den Bildern nur ihre alten Kleidungsstücke auf der Secondhand-Plattform Vinted verkaufen. Auf den Fotos, die zeigen sollen, wie Shirts, Kleider und Hosen sitzen, ist nicht einmal ihr Kopf zu sehen.

„Es ist einfach nur ein Frauenkörper mit einem Kleidungsstück. Das reicht schon, um auf solchen Seiten zu landen“, sagt die Kölnerin. Auf einigen Plattformen wird zudem mit KI suggeriert, man könne sie per Knopfdruck „ausziehen“.

Was sie besonders schockiert: Unter ihrem privaten Instagram-Namen wurden auf den Seiten schon vor zwei Jahren ganze Profile über sie angelegt. Obwohl sie bei Vinted unter einem völlig anderen Namen unterwegs sei, fanden die Betreiber offenbar auch ihren Instagram-Account. Postet Mina dort eine Story oder ein Bild, erscheint es als Update auch auf den Pornoseiten. Dann auch mit ihrem Gesicht. Auf manchen sind auch ihre Freunde zu sehen. Auch jetzt noch. 

Mina „Camira“ heißt eigentlich mit Nachnamen anders. Öffentlich möchte sie lieber ihren Instagram-Namen verwenden. Sie ist 22 Jahre alt, lebt in Köln, studiert und arbeitet hier. Im Flur ihrer WG stehen mehrere Paare Cowboy-Stiefel in verschiedenen Farben. An der Hand trägt sie unterschiedliche Ringe. Mode liebt sie – aber fast ausschließlich secondhand. Seit sechs Jahren nutzt sie die Plattform Vinted.

Im April 2025 berichtet die Tagesschau erstmals über den Missbrauch von Bildern auf der Secondhand-Plattform. Nach Recherchen von „NDR“, „WDR“ und „Süddeutsche Zeitung“ wurden Fotos von mindestens 100 Frauen ohne ihr Wissen in sexualisierten Telegram-Kanälen geteilt. Mina bekommt das mit – und hört sofort auf, Tragefotos zu posten. Stattdessen hängt sie die Stücke auf Bügel oder legt sie auf den Boden. Dass sie selbst betroffen sein könnte, ahnt sie damals nicht. 

„Ich dachte, der veräppelt mich“

Erst im Sommer erfährt sie, dass ihre eigenen Bilder missbraucht werden. Anfang Juli sitzt ein Freund von ihr im Zug. Sein Handy ist leer, er hat keinen Zugriff auf ihre Kontaktdaten. Um ihr dennoch schreiben zu können, googelt er am Laptop Minas Instagram-Namen. Neben ihrem Account erscheinen Dutzende Pornoseiten. Als er ihr am Abend davon erzählt, glaubt sie ihm zunächst nicht. „Ich dachte, der veräppelt mich. Warum ich?“

Der Moment trifft sie hart. „Ich habe mich ekelhaft gefühlt, missbraucht, völlig falsch dargestellt.“ Sie sei überfordert gewesen. „Ich wollte einfach, dass das weggeht.“ Erste Unterstützung erhält sie beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen. Dort rät ihr eine Mitarbeiterin, zur Polizei zu gehen – auch für die Statistik. Sie erstattet Anzeige gegen unbekannt. Das Verfahren wird später jedoch eingestellt.

Die Beamten raten ihr, sie solle ihren Namen ändern, das Profil bei Instagram auf privat stellen, alle Bilder auf Vinted löschen. „Für mich hieß das: Verschwinde aus dem Internet. Aber das kann doch nicht die Lösung sein.“ Es dürfe keinen öffentlichen Raum geben, in dem Frauen nur sicher seien, wenn sie unsichtbar seien. Sie schäme sich nicht für die Fotos, betont sie. Sie habe schließlich nichts falsch gemacht. Wenn sie ihre Bilder von ihren eigenen Accounts lösche, würden sie auf den Pornoseiten trotzdem weiter existieren. „Warum müssen wir Frauen uns immer einschränken? Und die Täter können sich weiter austoben?“

Die Polizei rät grundsätzlich zu einem sparsamen Umgang mit persönlichen Daten im Netz. Die Fachdienststelle für Kriminalprävention und Opferschutz empfiehlt insbesondere, auf Verkaufsplattformen ausschließlich die angebotenen Gegenstände zu fotografieren – ohne Gesamt- oder Gesichtsaufnahmen. Auch die Bildqualität spiele eine Rolle. Es sei sinnvoll, Bilder in geringer Qualität zu veröffentlichen.

Ein Sprecher der Polizei Köln betont: „Auch wer bewusst ein öffentliches Profil nutzt, trägt keine Schuld, wenn eines seiner Bilder missbraucht wird. Die Verantwortung liegt immer bei den Tätern.“ Prävention bedeute nicht, sich zu verstecken, sondern die eigene digitale Sichtbarkeit gut zu schützen.

Auch Google habe ihr nicht geholfen – angeblich kein Verstoß gegen die Richtlinien. Die meisten Fotos sind weiterhin einsehbar, oft unter Überschriften wie „geleakte Nacktbilder“ oder „OnlyFans-Model“. Beides falsch: Sie sei auf keinem Bild nackt, habe keinen OnlyFans-Account. Solche Pornoseiten mit Impressum sind selten, und wenn sie eine Mailadresse finde, erhalte sie auf ihre Mails kaum eine Reaktion. Keine der Plattformen fühlt sich verantwortlich. 

Am Anfang habe sie sich geschämt, sagt Mina. Wochenlang erzählte sie nicht einmal ihrer Mutter davon – aus Angst vor Verurteilung. Doch ihr Umfeld fängt sie auf. „Meine Familie und Freundinnen haben mir immer wieder gesagt: Du bist nicht schuld.“

Gefühle in Wellen

Kurz nach der Entdeckung postet sie ein Reel dazu – auf Instagram und TikTok. Auf Instagram geht das Video viral. Millionen Menschen sehen es. Darauf erfährt sie viel Unterstützung. Doch auch Hass schlägt ihr entgegen. Kommentare wie: Selbst schuld, wenn du herumläufst wie eine Hure.“ Oder: „Ich wünsche dir, dass du in eine Depression fällst und dich umbringst.“

Ihre Gefühle dazu kommen in Wellen. Mal fühle sie sich stark, mal erschlagen. Die meisten Kommentare löscht sie bewusst nicht. „Ich möchte, dass alle sehen, wer so etwas offen schreibt.“ An anderen Tagen verdränge sie, wie gruselig das alles sei. „Manchmal denke ich auch: Ich lösche alles. Es ist so anstrengend, immer wieder darüber zu reden und zu wissen, dass jeder weiß, dass ich auf Pornoseiten zu finden bin.“

Wenn Mina erzählt, wirkt sie routiniert. Wer ihr zuhört, merkt: Sie hat diese Geschichte schon oft wiederholt. Und doch klingt immer wieder heraus, wie sehr sie das alles aufwühlt. Denn es geht ihr längst nicht mehr nur um sie: „Ich spreche auch für die Frauen, die sich nicht trauen, darüber zu reden.“

Am 22. Oktober veröffentlicht sie auf der Plattform innn.it eine Petition. Über 33.000 Menschen haben inzwischen unterschrieben. Viele Frauen schreiben ihr, dass auch ihre Bilder missbraucht wurden. Einige Betroffene hat Mina gefragt, ob sie Teil der Petition sein wollen oder Interviews geben würden. Sie lehnen ab. „Ich verstehe ihre Angst komplett. Und genau deshalb sehe ich mich in der Pflicht, weiterzusprechen.“

Ein blaues Schild, auf dem steht: „Unsere Vinted Fotos sind kein Porno!“

Mit ihrer Petition möchte Mina das Unternehmen dazu bewegen, die Plattform Vinted sicherer zu machen.

In ihrer Petition formuliert Mina konkrete Vorschläge, wie Vinted sicherer werden könnte. Sie wünscht sich insbesondere eine Screenshot-Sperre für Fotos – ähnlich wie bei WhatsApp, wo Profilbilder nicht einfach gespeichert werden können. Außerdem fordert sie eine Verifizierungspflicht: Nur wer seine Identität bestätigt hat, soll künftig kaufen und verkaufen dürfen. Für Betroffene wäre das entscheidend, sagt sie, weil Täter dann nicht länger völlig anonym blieben.

Ein weiterer Punkt betrifft die sensiblen Daten der Nutzer und Nutzerinnen. Versandadressen sollten nicht mehr offen auf Etiketten stehen, sondern in einem QR-Code verschlüsselt sein, sodass nur Postdienstleister sie auslesen können. Und schließlich fordert Mina, dass Vinted seinen Wortfilter überarbeitet. Sexuell belästigende Nachrichten müssten schon vor dem Versenden abgefangen werden – damit sie gar nicht erst bei den Frauen ankommen.

Vinted betont, keinerlei Belästigung oder unangemessenes Verhalten auf der Plattform zu dulden. „Wir arbeiten kontinuierlich daran, den bestmöglichen Schutz für unsere Community zu gewährleisten und unsere Schutzmechanismen fortlaufend weiterzuentwickeln – mit dem Ziel, Vorfälle zu verhindern und im Ernstfall schnell zu reagieren“, teilt das Unternehmen auf Anfrage der Redaktion mit. Sobald entsprechendes Verhalten bekannt werde, würden die betreffenden Inhalte umgehend entfernt.

Werden Fotos oder persönliche Informationen ohne Zustimmung auf Drittseiten veröffentlicht, rät Vinted betroffenen Mitgliedern, sich direkt an die jeweiligen Plattformen zu wenden und die Löschung zu beantragen. Erhalte Vinted selbst Kenntnis von solchen Fällen, nehme das Unternehmen selbst Kontakt mit den Drittplattformen auf, um die Entfernung zu veranlassen. In einigen Fällen – etwa bei Telegram – seien bereits entsprechende Meldungen eingereicht worden. Manche Maßnahmen würden allerdings mehr Zeit und Tests erfordern. So gebe es beispielsweise technische Wege, um Screenshot-Blocker zu umgehen. 

Mina möchte dafür sorgen, dass die Plattform sicherer wird. Gemeinsam mit dem Unternehmen. Auf ihre Anfrage nach einem Gespräch erhielt sie jedoch keine Einladung.

Gegen den Bilderklau und die fortgesetzte Sexualisierung von Frauen möchte sie weiter ankämpfen. „Egal, welche Fotos du postest, egal, wie du posierst – es gibt nie einen Grund, dich oder deine Bilder zu missbrauchen.“