45 Jahre Leidenschaft für Wein, 30 Jahre schräge Regale: Im „Zwölfgrad“ zeigt Burkhard Jung, dass Erfolg auch in Schieflage möglich ist.
30 JahreDer schrägste Weinladen Kölns feiert Geburtstag

Ein Mann steht in seinem Laden mit schrägen Regalen, in denen Weinflaschen ausgestellt sind.
Copyright: Inge Swolek
Alles begann 1979, als Burkhard Jung – damals noch Student – seine Begeisterung für die Welt der Weine entdeckte. „Ich bin Autodidakt, habe mir alles selbst beigebracht“, erzählt er. „Lesen, probieren, reisen – das war meine Schule.“ Gemeinsam mit einem Freund eröffnete er den ersten Laden auf der Venloer Straße. Zwei Jahre später zog es ihn in die Südstadt, wo er bis heute geblieben ist.
Als Jung seinen Weinladen eröffnete, war Köln kein Mekka für Weinkenner. „Es gab damals nur vier bis fünf Weingeschäfte – und unsere Kunden hatten nicht viel Geld“, erinnert er sich. „Also entwickelte ich ein einfaches, aber überzeugendes Konzept: Qualität vor Etikett. Nicht der Name des Erzeugers oder eine hübsche Flasche zählten, sondern das Preis-Genuss-Verhältnis.“ Für jedes bedeutende Anbaugebiet suchte Jung je einen Wein in drei Preisklassen – günstig, mittel, hochpreisig. Dieses Prinzip gilt mehr oder weniger bis heute. Die teuerste Flasche Bordeaux liegt heute bei 180 und die preiswerteste bei 5,80 Euro.

Künstler Lutz Dunsing (l.) und Burkhard Jung, Inhaber des Ladens Zwölf Grad sind bis heute befreundet.
Copyright: Inge Swolek
Auf rund 120 Quadratmetern stapeln sich im „Zwölfgrad“ die Flaschen bis unter die Decke. Der Eyecatcher des Ladens sind aber seit 30 Jahren die Regale – alle exakt im Winkel von zwölf Grad geneigt. „Als ich 1995 neue Regale brauchte, sagte mein Freund Lutz: ‚Wenn der Laden Zwölfgrad heißt, dann müssen auch die Regale schräg stehen‘, ich fand die Idee sofort gut“, erinnert sich Jung lachend.
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Lange Birkenbretter sind die Basis für die Regale im Zwölf Grad
Lutz Dunsing, Künstler und Freund, begann, die Wände zu vermessen, zu zeichnen und Modelle zu entwerfen. Als ein Architekt sagte ‚das halte nie‘, habe ihn der Ehrgeiz gepackt. Sechs Monate lang hat er an dem Projekt gearbeitet und immer wieder die Stabilität geprüft. Die Basis für das außergewöhnliche Regalsystem bilden lange Birkenbretter, die durch senkrechte Verstrebungen zusammengehalten werden. Die Konstruktion aus Birkenholz, nach Fachwerkprinzip gebaut, hat bis heute gehalten. „Über 180 Quadratmeter Holz habe ich verarbeitet – alles sehr stabil, nie musste etwas nachgebessert werden“, sagt Dunsing stolz.
Sobald die schrägen Regale standen, sorgten sie für Aufsehen: Sie führten zu Schwindel, Schmunzeln und Schlagzeilen. Das „Zwölfgrad“ wurde weit über Köln hinaus bekannt – im japanischen Designbuch „Special Foodstores“ wurde dem Kölner Weinladen sogar eine Doppelseite gewidmet. „Einige Kunden kamen nach dem Umbau, schauten sich um, schüttelten den Kopf – und kamen nie wieder“, erzählt Jung. „Andere hatten tatsächlich Probleme mit dem Gleichgewichtsorgan.“
Jung beliefert beliebte Restaurants im Veedel, wie das Filos oder die Libelle
Doch die meisten blieben, viele kommen seit Jahrzehnten, manche inzwischen mit ihren Enkeln. Auch Gastronomen aus der Südstadt beziehen ihre Weine aus dem Laden mit den schrägen Regalen – das Filos, das Chlodwig Eck oder die Libelle. Wer am Abendmahl in der Lutherkirche teilnimmt, trinkt Rotwein aus dem Zwölfgrad. „Als Hans Mörtter hier als Pfarrer anfing, kam er zu mir rüber und bestellte einen guten Roten für die Gemeinde. Das fand ich sympathisch – und habe den Abendmahlswein bis zu seiner Rente gestiftet“, erzählt Jung.
Rund 800 verschiedene Weine füllen aktuell die schrägen Regale – Weiß, Rosé, Rot und eine große Auswahl an Winzersekten. „Der Renner ist unsere Hausmarke“, erklärt Jung. Auf dem Etikett steht schlicht Zwölf Grad. Viele nennen ihn liebevoll den „Südstadtsekt“. Vier Sorten gibt es: Dry, Brut, Riesling und Chardonnay – zum Preis von 6,95 Euro.
Wer den Weg durch den Raum mit den schrägen Regale ohne größere Torkel-Bewegungen und Blessuren überstanden hat, gelangt in einen Raum, der fast museal wirkt – das Holzbuffet und die Theke stammen aus den 80-er Jahren. Hier finden regelmäßig Verkostungen rund um Käse und Wein statt. Die Käsespezialitäten kommen aus dem Elsass. „Die Nachfrage läuft gut, besonders beliebt in der Vorweihnachtszeit“, sagt der 71-Jährige. „Aber auch ich leide – wie viele Einzelhändler – unter der Wirtschaftskrise. Wein gehört zu den Dingen, auf die man am ehesten verzichtet.“ Deshalb wolle er bald das Sortiment etwas verkleinern. „Dann sind die Regale eben nicht mehr ganz so voll – und halten vielleicht noch weitere 20 Jahre. Dann wäre ich 91 und die Regale 50. Was für ein Fest in der Südstadt“, sagt er und lacht.

