Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Verborgene StadtgeschichteWas wurde aus der Synagoge der Ostjuden in Köln?

3 min
Benzion Wieber vor dem Parkplatz an der Bayardsgasse 26, heute 4, wo sich damals die Synagoge befand.

Benzion Wieber vor dem Parkplatz an der Bayardsgasse 26, heute 4, wo sich damals die Synagoge befand.

Im vergangenen Jahrhundert war die Bayardsgasse Zentrum der aus Osteuropa geflohenen jüdischen Gemeinde – viele wurden später deportiert und ermordet.

Im Nachbarhaus befand sich ein Puff, im Vorderhaus ein koscherer Kolonialwarenladen, im Hinterhaus wurde gebetet. Hinter dem munteren Treiben an der Bayardsgasse 26 war Anfang des vergangenen Jahrhunderts ein spirituelles Zentrum verborgen, die Synagoge der „Ostjuden“. Heute ist der Ort mit der Hausnummer 4 gekennzeichnet – und nicht mehr als ein Parkplatz. Auf dem Internetportal „Jewish Places“, ein Projekt des Jüdischen Museums Berlin, ist die ehemalige Synagoge dort beschrieben, ebenso, dass sie beim Pogrom am 9. November 1938 unbeschädigt blieb. Zu diesem Zeitpunkt war die Synagoge wahrscheinlich bereits verlassen. Denn die Gemeindemitglieder waren schon vorher bei der „Polenaktion“ am 28. und 29. Oktober 1938 gen Osten verschleppt worden.

Die Mitglieder der ostjüdischen Gemeinde lebten in bitterster Armut

Benzion Wieber, ehemaliger Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln hat sich auf Spurensuche der ostjüdischen Gemeinde in Köln begeben: „Die Gemeindemitglieder kamen ab dem Ende des 19. Jahrhunderts vor allem aus dem damaligen Galizien mit den großen Städten Krakau und Lemberg“, erzählt Wieber. „Die wirtschaftliche Situation der meisten jüdischen Galizier war sehr schlecht. Viele lebten in bitterster Armut und litten unter dem enormen Antisemitismus in ihrem Heimatland.“ Er sei auch dort immer wieder in Gewalt umgeschlagen. So flohen sie in andere Länder, auch nach Deutschland. „In den 20er-Jahren lebten rund 3000 bis 4000 Ostjuden in Köln“, schildert Wieber, „in den Gassen südlich des Neumarkts, in Armut“. Das „Griechenmarktviertel“ entwickelte sich damals insgesamt zunehmend zu Kölns größtem Elendsviertel.

Chiel Mond, der letzte Vorsitzende des Trägervereis der Synagoge, und seine Frau Rosa Mond, um 1905. Sie flohen 1938 nach Belgien und wurden Anfang 1943 von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Chiel Mond, der letzte Vorsitzende des Trägervereis der Synagoge, und seine Frau Rosa Mond, um 1905. Sie flohen 1938 nach Belgien und wurden Anfang 1943 von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Ein großer Saal nebst Empore, ein Betsaal und ein Tauchbad

Hier betrieb der ostjüdische Verein Chewras Machsike Thora (frei übersetzt: Verein der Thora-Treuen) seit 1919 die eigene Synagoge an der Bayardstraße 26. Nach Wiebers Recherchen und Dokumenten des NS-Dokumentationszentrum führte damals ein langer Flur vorbei an der Kolonialwarenhandlung von Juda und Ruchela Appermann in einen großen Saal mit rund 140 Sitzplätzen für Männer. Darüber lag im ersten Stock die Frauen-Empore, mit einem – aus kölscher Sicht – eigenen „Kamelle-Ritual“: „Schon damals war es üblich, dass Frauen bei Bar-Mitzwa-Feiern Bonbons von der Empore warfen“, erzählt Wieber. Ein kleiner Betsaal im zweiten Stock und das rituelle Tauchbad, die Mikwe, im Kellergeschoss, komplettierten die Synagoge.

Spannungsverhältnis und ein ähnliches Schicksal

Doch die Ostjuden blieben in Köln die Anderen. „Es gab auf der einen Seite das etablierte bürgerliche Kölner Judentum und dann die osteuropäischen Zuwanderer“, erzählt Wieber. „So entstanden Spannungen zwischen Abgrenzung und Zuwendung, zwischen Abwehr und Hilfsbereitschaft.“ Immerhin, die Wohlfahrtspflege der Synagogen-Gemeinde Köln und die Jüdische Arbeiterfürsorgestelle hätten den Neuankömmlingen unter die Arme gegriffen, genauso wie manche Mitglieder der Synagogen-Gemeinde.

Doch waren sie in Deutschland der Gefahr nicht entkommen, sondern ihr näher gerückt. So wurden sie bei der Polenaktion in ihr Herkunftsland deportiert, ghettoisiert und nach dem deutschen Überfall auf Polen zumeist ermordet, wie beispielsweise die Kolonialwarenhändler Juda und Ruchela Appermann. Zu ihrem Gedenken liegen mittlerweile zwei Stolpersteine an der Bayardsgasse 4. Ihre fünf Kinder konnten fliehen und überlebten.

Das Grundstück wurde zurückerstattet

Der Eigentümer des Grundstücks, der ostjüdische Verein, wurde von den Nazis enteignet und gelöscht. 1941 wurde es an einen Kölner Kaufmann verkauft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelang es der Jüdischen Treuhandgesellschaft (JTC) zumindest dieses Unrecht wieder rückgängig zu machen. Das Landesgericht in Köln entschied 1953, dass der neue Eigentümer das Grundstück an die JTC zurückerstatten musste. Doch von der Synagoge ist nicht mehr geblieben als eine Baulücke und von der relativ kurzen Geschichte der Kölner Ostjuden eine Leerstelle im kollektiven Gedächtnis.