Bei der Frage, welche Projekte gefördert werden, müsse man flexibler werden, fordert Bodo Middeldorf, Chef der Zukunftsagentur Rheinisches Revier.
Milliarden für StrukturwandelSo sollen die Fördergelder für das Rheinische Revier verteilt werden

Ist das die Zukunft des Rheinischen Reviers? Die Visualisierung zeigt ein neues Wohn- und Gewerbegebiet, das am Tagebau Hambach entstehen soll - mit Anbindung an den geplanten Hambach See.
Copyright: Visualisierung NRW Urban
14,8 Milliarden Euro – diese Summe stellen der Bund und das Land bis 2038 zur Verfügung, damit dem Rheinischen Revier der Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 oder spätestens 2033 gelingt – und möglichst schnell die Transformation zur ersten klimaneutralen Industrieregion in Europa. Das zumindest ist das erklärte Ziel der schwarz-grünen Landesregierung in Düsseldorf. Doch wie wird das Geld verteilt? Und wer kontrolliert, dass es auch effizient und zweckgebunden ausgegeben wird, also in Projekte fließt, die tatsächlich dem Strukturwandel dienen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Wie teilen sich die 14,8 Milliarden Euro auf?
Bis zu 9,62 Milliarden Euro werden direkt vom Bund bewilligt. Darauf hat das Land keinen Einfluss. Daneben gibt es Strukturhilfen des Bundes. Das ist die sogenannte Landeskomponente in Höhe von bis zu 5,18 Milliarden Euro. Diese Mittel müssen von der Bezirksregierung Köln freigegeben werden. Sie prüft jedes einzelne Projekt auf seine Sinnhaftigkeit.
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Konzentrieren wir uns auf die Landeskomponente, also auf die 5,18 Milliarden. Stehen die ab sofort zur Verfügung?
Nein. Sie sind auf drei Förderperioden aufgeteilt. Bis zu 2,035 Milliarden Euro fließen bis zum 31. Dezember 2026. In der zweiten Förderperiode von Januar 2027 bis Dezember 2032 stehen bis zu 1,665 Milliarden Euro bereit. Von Januar 2033 bis Dezember 2038 noch einmal 1,48 Milliarden. Dabei gilt: Wenn ein Strukturwandelprojekt von der Bezirksregierung Köln bewilligt wurde, hat der Antragsteller bis drei Jahre nach dem Ende der jeweiligen Förderperiode Zeit, das genehmigte Geld auch abzurufen.

Bodo Middeldorf, Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier, kritisiert das Fördersystem fürs Rheinische Revier. Das Korsett sei viel zu eng.
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Was passiert mit den Geldern, die zwar bewilligt, aber nicht abgerufen wurden oder gar im Fördertopf liegengeblieben sind?
Sie verbleiben beim Bund, stehen dem Land also nicht mehr zur Verfügung.
Die erste Förderperiode endet im Dezember 2026. Wie viel ist von den 2,035 Milliarden Euro schon bewilligt worden?
377 Millionen Euro für 151 Projekte.
Da ist ja noch jede Menge Geld im Topf.
Insgesamt knapp 1,66 Milliarden Euro. Die müssen bis Dezember 2026 noch für Projekte bewilligt werden. Das Förderprogramm ist anfangs nur schleppend angelaufen.
Warum?
Bereits 2022 gab es Kritik an der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR), die die 14,6 Milliarden Euro Strukturhilfe verwaltet. Die Prozesse galten als zu kompliziert und bürokratisch. Kommunen beklagten außerdem, dass viel Geld in Forschung und wenig an die Anrainerkommunen selbst gehe. Auch die Industrie gehe infolge des EU-Beihilferechts leer aus. Im Mai 2023 räumte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ein, dass die Landesregierung bei den Förderverfahren Fehler gemacht habe. Sie müsse schneller, effektiver und einfacher werden.

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur vor dem Start in einem Elektroflieger auf dem Flugplatz Merzbrück bei Aachen.
Copyright: dpa
Hat sich daran etwas geändert?
Zumindest hat Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) damals reagiert, das gesamte Verfahren gestoppt und neu aufgesetzt. Der Haken daran: Im gesamten Jahr 2023 wurden kaum neue Projekte bewilligt.
Und jetzt? 1,66 Milliarden Euro bis Dezember 2026 sinnvoll auszugeben – ist das realistisch? Und sinnvoll?
Das NRW-Wirtschaftsministerium sagt, man habe weitere 87 Projekte in der Qualifizierung, für weitere 193 Vorhaben seien bereits Förderanträge eingereicht. Daher stünden „nur“ noch 222 Millionen Euro zur Verfügung.
Warum dauert das alles so lange? Der Bund ist mit seinem Geld schneller unterwegs.
In der Landeskomponente werden investive Vorhaben gefördert, die einen längeren und arbeitsintensiveren Planungsvorlauf benötigen als die konsumtiven Projekte der Bundeskomponente, so das NRW-Wirtschaftsministerium.
Und was sagt die Zukunftsagentur Rheinisches Revier?
Das Gesamtprogramm nehme „erkennbar Fahrt auf“. Man habe im Rheinischen Revier 22 Leuchtturm-Standorte ausgewiesen. „Dort kumulieren sich herausgehobene Förderprojekte, Forschungsaktivitäten, Infrastrukturentwicklung und unternehmerisches Engagement“, heißt es auf Anfrage. Erste Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region seien erkennbar. Die gemeinsame Arbeit regionaler Akteure entlang thematischer Linien wie etwa klimaneutrales Fliegen, Papier, Textil, KI oder Erneuerbare Energien schreite voran. Städtebauliche Umgestaltungen an ehemaligen Standorten der Braunkohlegewinnung und -verstromung sind auf den Weg gebracht.
Bei den Menschen im Revier ist davon vor allem die Ansiedlung der drei Microsoft-Großrechner präsent?
Ja, das ist der Leuchtturm, der alle anderen überragt und von dem sich die ZRR eine Sogwirkung erhofft. Die Anfragen von Unternehmen, die sich im Microsoft-Umfeld ansiedeln wollen, seien immens, sagt ZRR-Geschäftsführer Bodo Middeldorf.
Also alles im grünen Bereich?
Nein. Middeldorf beklagt, dass der Einsatz der gesamten Fördermittel, also der 14,6 Milliarden Euro, durch das Investitionsgesetz Kohleregionen in ein viel zu enges Korsett gezwängt wurde.
Was meint er damit?
Die drei Förderperioden sind nach seiner Auffassung in viel zu kurze Zyklen eingeteilt.
Warum?
Diese starre Festlegung auf drei Förderperioden von jeweils maximal sechs Jahren sei falsch. „Sie ignoriert nicht nur die Anstrengungen, die zur Initiierung und Qualifizierung eines Projektes unternommen werden müssen, sondern auch die Tatsache, dass - neben den zweifellos erforderlichen Weichenstellungen im laufenden Jahrzehnt - wesentliche Kostenpositionen erst nach endgültigem Auslaufen der Braunkohleverstromung anfallen“, sagt Middeldorf. „Sollen qualitativ gute und strukturell wirksame Projekte auf den Weg gebracht werden - und das ist der gemeinsame Anspruch von Region und Land -, stellt dies sowohl die Akteure auf Ebene des Landes und der Region angesichts des eng begrenzten Zeitrahmens vor große Herausforderungen.“
Heißt das, mit dem aktuellen Fördersystem könnten Gelder in die falsche Richtung laufen?
„Aus Sicht der Region müssen die Förderbemühungen weiterhin auf qualitativ gute und strukturpolitisch wirksame Projekte konzentriert bleiben“, sagt der ZRR-Geschäftsführer. „Dies setzt eine deutlich flexiblere Programmgestaltung und konsequenter betriebene Programmumsetzung seitens des Bundes voraus, als sie heute praktiziert wird.“ Trotz dieser schwierigen Bedingungen werde es der ZRR wohl gelingen, die bis Ende 2026 bereitgestellten Mittel vollständig an sinnvolle Projekte zu binden.