Nach der „Reichspogromnacht“ zerstörten Nazis die Mülheimer Synagoge, später wurden auch die verbliebenen Ruinen abgetragen.
Köln früher und heuteWarum die Überreste der ältesten Synagoge in einem Garten stehen

Die Mülheimer Synagoge im Jahr 1910.
Copyright: Erwin Schild/ Geschichtswerkstatt Mülheim
Ein paar Mauerreste sind noch zu sehen. Edith Grziwa führt in ihren Garten, wo die Steine heute als Beeteinfassung dienen. „Es muss eine furchtbare Zeit gewesen sein“, sagt die 83-Jährige.
Es war der frühe Morgen des 10. November 1938, als die Mülheimer Synagoge von den Nazis angezündet wurde. „Ein großer Krach und das Klirren von Fensterscheiben weckten meinen Vater und mich aus dem Schlaf“, erinnerte sich ein Zeitzeuge aus der Nachbarschaft: „Vater war zuerst aufgestanden, um zu sehen, was geschehen war. Es war gegen 6 Uhr früh. Wir liefen auf die Straße und sahen das Haus, die Synagoge und die Schule in Flammen und demoliert. Überall lagen Scherben.“

Helmut Goldau von der Mülheimer Geschichtswerkstatt mit Edith Grziwa in ihrem Garten, wo einst die Mülheimer Synagoge stand.
Copyright: Tobias Christ
An der Mülheimer Freiheit 78 steht heute das Mehrfamilienhaus, in dem Edith Grziwa seit 1960 lebt. Über der Eingangstür erinnert eine Tafel an die kleine Synagoge, die einst im Hinterhof stand. Die Relikte im Garten stammen wahrscheinlich von der hinteren Außenwand des jüdischen Gotteshauses. Vor ein paar Jahren habe mal ein Mann geklingelt, ein Jude aus Mülheim, erzählt Grziwa: „Er kannte die ganze Geschichte.“ Grziwa ließ ihn einen der Steine aus dem Garten mitnehmen: „Er hatte Tränen in den Augen.“
Brandstiftung in Mülheim erst nach „Reichspogromnacht“
Die Ruine der Synagoge wurde 1956 abgetragen, das Vorderhaus, in dem sich einst eine jüdische Schule befunden hatte, fiel 1944 den Bombardierungen auf Mülheim zum Opfer. Auch die sichtbaren Überreste des jüdischen Zentrums an der Mülheimer Freiheit waren damit untergegangen. Das Grundstück war bereits 1942 verkauft worden, nachdem die Synagogengemeinde zwangsaufgelöst worden war.
Übereinstimmend wurde berichtet, dass die Brandstiftung in Mülheim erst am Tag nach der „Reichspogromnacht“ erfolgte. Während der Mob die Synagogen am Rathenauplatz und an der Glockengasse am 9. November schändete, war Mülheim am 10. November an der Reihe. Die Trümmer der Synagoge hätten noch am nächsten Tag geglüht, so eine Augenzeugin.

Helmut Goldau im Garten von Edith Grziwa an Mauerresten der 1838 verwüsteten Mülheimer Synagoge.
Copyright: Tobias Christ
Nur zwölf Meter lang und 7,40 Meter breit war das Gebäude, das die mittlerweile verstorbene Jüdin Faye Cukier als „Juwel im maurischen Stil“ beschrieb. Die Kuppel habe im Inneren mit ihrer blauen Farbe und ihren goldenen Sternen sowohl schlicht als auch feierlich gewirkt. Es war der schmucke und gleichzeitig versteckt liegende Mittelpunkt einer kleinen jüdischen Gemeinde, die im Jahr 1925 rund 200 Mitglieder zählte, während die Mülheimer Gesamtbevölkerung bei rund 60 000 lag. Von 1915 bis zu ihrer Zerstörung war die Mülheimer Synagoge sogar die älteste Kölns.
Der Vorgängerbau in der Nähe war 1784 der großen Mülheimer Eisflut zum Opfer gefallen. Die Behörden genehmigten anschließend nur eine Hinterhof-Synagoge. An der Außenseite des Vorbaus befand sich ein so genannter Chuppastein. „Hier haben viele Generationen Mülheimer Juden ihre Ehen geschlossen“, sagt Helmut Goldau von der Mülheimer Geschichtswerkstatt.
90 Prozent der jüdischen Gemeinde Mülheim vernichtet
Mit den Übergriffen vom 10. November erreichten die Repressionen gegen das jüdische Leben in Mülheim eine neue Eskalationsstufe. Geschäfte wurden geplündert und demoliert, Juden deportiert und ermordet. Das Schuh- und Sportartikelgeschält Spiegel an der Buchheimer Straße 2 bekam den nationalsozialistischen Hass ebenfalls zu spüren. Am 10. November 1938 brannten der Laden sowie die oberen Stockwerke. „Den Schäferhund der Spiegels warf man aus dem oberen Stockwerk auf die Straße“, heißt es in einer Abhandlung des Theologen Paul Gerhard Aring.
Ein Zeitzeuge berichtet: „Ich sah Herrn Spiegel morgens um 5 Uhr (…) auf der Straße, wie er verzweifelt versuchte, seine Schuhe aufzusammeln.“ Am Ende seien 90 Prozent der jüdischen Gemeinde Mülheim vernichtet worden, schreibt Aring: „Verhindert wurden diese Verbrechen nicht. Möglich waren sie, weil in Deutschland und auch in der Stadt Mülheim ein gesellschaftliches, politisches, geistiges Klima entstanden war, in dem sich Verbrecher ungehindert an Juden austoben konnten.“
Zu einer Gedenkveranstaltung an der Mülheimer Freiheit 78 lädt die Mülheimer Geschichtswerkstatt am Sonntag, 9. November, um 19 Uhr ein.

