Von einem Sensationsfund im Kölner Straßenpflaster der Spätantike weiß RGM-Direktor Marcus Trier zu berichten.
Schock-Werners Adventskalender (16)Die kölsche Venus

Fragment eines Torsos der Göttin Venus
Copyright: Alexander Schwaiger
Anfang der 2000er Jahre gab es in der Hohe Straße eine große Kanalsanierung. Dafür konnte man nicht einfach die Straße aufreißen, sonst der gesamte Einkaufsbetrieb in der Fußgängerzone zum Erliegen gekommen. Also arbeitete man sich unterirdisch in einem Stollen vor, wie bei einem Flöz im Kohlebergbau.
In der Antike hieß die Hohe Straße „Cardo maximus“. Sie war seit der Stadtgründung die Hauptachse des römischen Köln in Nord-Süd-Richtung. Erst mit Kies geschottert, wurde sie sie 100 Jahre später mit Trachytplatten gepflastert und zu einer regelrechten Chaussee ausgebaut, mit einem ausgeklügelten Abwassersystem, das in den großen Kanal an der heutigen Budengasse mündete.
Frühes Recycling
Was römische Baumeister und Handwerker anpackten, das war – ganz anders als heute – für die Ewigkeit bestimmt. Ein eigenes lateinisches Wort für „Nachhaltigkeit“ brauchten sie nicht. Die war sozusagen im Preis inbegriffen. Allerdings musste eine stark frequentierte Hauptverkehrsstraße wie der Cardo maximus auch irgendwann mal repariert werden. Nach der Eroberung Kölns durch die Franken im 4. Jahrhundert war der Trachyt-Belag schadhaft geworden, doch Ersatz war mit dem Niedergang des römischen Reichs Mangelware. Man entschied sich für eine Art frühes Recycling und füllte das Pflaster mit vorhandenem Material auf, darunter auch Marmorquader.
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Einer davon kam den Kanalisationsarbeiten unter der Hohe Straße zum Vorschein. Man hatte ihn nicht – wie die meisten anderen Stücke aus Marmor – zerschlagen und zur Kalkgewinnung in den Brennofen geworfen, sondern im Straßenbau verwendet. Als die Archäologen das Stück weißen Carrara-Marmors drehten und wendeten, trauten sie ihren Augen kaum: Es handelte sich um den etwa 40 Zentimeter hohen Torso einer knapp lebensgroßen Venus-Statue aus dem 1. oder 2. Jahrhundert, den man bäuchlings nach unten gedreht zum Pflasterstein umfunktioniert hatte.
Nach klassischem Vorbild der „Kapitolinischen Venus“ hat die nackte Göttin eine Hand auf die linke Brust gelegt. Auf der einst makellos glatten Rückenpartie der vermutlich in Italien gefertigten und für ein Kölner Patrizierhaus bestimmten Figur zeichnen sich jetzt die Spuren der römischen Radkarren ab wie Striemen.
Marcus Trier, der Direktor des Römisch-Germanischen Museums (RGM), sagt, nie werde er den Tag im August 2004 vergessen, als die Grabungstechniker mit diesem Sensationsfund zu ihm kamen. Als „kölsche Venus von der Hohe Straße“ hatte sie schnell ihren Spitznamen weg. Heute gehört sie zum festen Bestand der Sammlung, die das RGM natürlich auch in seinem Interimsquartier im Belgischen Haus zeigt.
Aufgezeichnet von Joachim Frank
In unserem Adventskalender stellt Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner jeden Tag ein besonderes Ausstellungsstück aus einem von sechs Kölner Museen vor. Alle Folgen finden Sie hier: www.ksta.de/weihnachten
Das Römisch-Germanische Museum ist für die Dauer der Sanierung im Belgischen Haus, Cäcilienstraße 46, 50667 Köln untergebracht. Es ist das einzige der städtischen Museen, das montags geöffnet und dienstags geschlossen ist. Öffnungszeiten: 10 bis 18 Uhr. Verlängerte Öffnung bis 22 Uhr am „Köln-Tag“, dem ersten Donnerstag im Monat. Um die Feiertage ist das RGM am 23., 24., 25., 30. und 31. Dezember sowie am Neujahrstag geschlossen. Eintritt: 6 Euro (ermäßigt 3,50 Euro).

