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Streitthema TierversucheUni Köln zeigt erstmals Tierhaltung – So viele Mäuse leben hier

Lesezeit 8 Minuten
Mäuse in der Box in der Tierhaltung des Cecad

Mäuse in der Tierhaltung des Exzellenzclusters Cecad für Alternsforschung an der Joseph-Stelzmann-Straße

Tierversuche polarisieren. In Deutschland werden Tiere vor allem in der Grundlagenforschung eingesetzt. 

In einer transparenten Box wühlen sich die Mäuse durch die Einstreu und schlüpfen durch Löcher, die sie in Eierkartons genagt haben. Zehn solcher Boxen sind übereinander angeordnet, von rechts nach links sieben. Maximal fünf Mäuse leben in einem Käfig, man kann sie durch eine Scheibe an der Tür beobachten. Es riecht ein wenig streng im Gang. Die männlich dominierten Boxen erkennt man an den Urinspuren auf den Eierkartons, so markieren die kleinen Nager ihr Territorium. Das befindet sich in der Tierhaltung des Forschungsinstituts „Cecad“ der Universität zu Köln an der Joseph-Stelzmann-Straße 26. Erstmals darf der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einen Einblick in die Räume erhalten.

Cecad steht für „Cologne Excellence Cluster for Aging and Aging-Associated Diseases” und erforscht seit 2013 das Altern und altersassoziierte Krankheiten. Das Cluster darf seine Arbeit in den kommenden Jahren fortsetzen. Kürzlich erhielt die Universität die Zusage über Fördermittel in Millionenhöhe für fünf Exzellenzcluster (wir berichteten). Für seine Forschungsprojekte unterhält das Cecad eine eigene Tierhaltung mit Mäusen und Nacktmullen. Cecad-Forscher fanden mithilfe von Versuchen an Mäusen zum Beispiel heraus, wie Nervenzellen im Gehirn erfolgreich reifen und überleben können.

Bis zu fünf Mäuse leben in einer Box. Die Gemeinschaft gehört zum 3R-Prinzip, das den verantwortungsvollen Umgang mit den Tieren gewährleisten soll.

Bis zu fünf Mäuse leben in einer Box. Die Gemeinschaft gehört zum 3R-Prinzip, das den verantwortungsvollen Umgang mit den Tieren gewährleisten soll.

Von diesem Gang aus geht es in die Räume, wo die Mäuse gehalten werden.

Von diesem Gang aus geht es in die Räume, wo die Mäuse gehalten werden.

Tierhaltung und Tierversuche: Behördliche Kontrollen an der Uni Köln

Wieviele Mäuse allein im Cecad leben, möchte Branko Zevnik, Professor für Versuchstierkunde, bei dem Rundgang zunächst nicht verraten. „Man gibt nicht mit der Anzahl der Tiere an, das hat etwas mit Ethik zu tun“, sagt Zevnik. Er ist für die Organisation und alle betrieblichen Prozesse in der Tierhaltung verantwortlich, auch für den Transfer der Tiere in die Forschungslabore: „Das städtische Veterinäramt übernimmt die Kontroll- und Überwachungsfunktion und richtet sich erst an mich. Wir müssen genau Bericht erstatten und auch die Versorgung der Tiere am Wochenende und an Feiertagen gewährleisten, eventuell einen Tierarzt holen.“

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Die behördlichen Kontrollen finden laut Zevnik sowohl angekündigt als auch ohne Vorwarnung statt. „Die Bewertung der Tierhaltung erfolgt nach einem Punktesystem: Je mehr Verstöße festgestellt werden, desto mehr Punkte werden vergeben. Je höher die Punktzahl, desto engmaschiger wird kontrolliert“, teilt eine Stadtsprecherin zum städtischen Kontrollsystem mit.

Branco Zevnik ist Professor für Versuchstierkunde und Paul Friedmann Pohlig Tierpflegemeister und Operativer Leiter der Tierhaltung. Sie bieten den Forschergruppen Service und Kontrolle zugleich. Sie kümmern sich um die Versorgung der Tiere und alle betrieblichen Abläufe rundum die Tierhaltung.

Branco Zevnik (l.) ist Professor für Versuchstierkunde, Paul Friedmann Pohlig Tierpflegemeister und Leiter der Tierhaltung.

In den vergangenen zehn Jahren wiesen laut der Stadtsprecherin „circa 20 Prozent der Versuchstierhaltungen der Universität Mängel in der Dokumentation auf und bei 15 Prozent gab es Nachbesserungsbedarf bezüglich der Haltungsbedingungen von Mäusen“. Verstöße waren auch Behandlungsfehler bei Mäusen oder „eine nicht vorschriftsmäßige Haltung von Fischen“. In den meisten Fällen betraf dies die forschenden Wissenschaftler, heißt es weiter. Gegen solche Personen leitet das zuständige Landesamt für Verbraucherschutz und Ernährung NRW dann Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren ein. Das LAVE ist die Genehmigungsbehörde, das heißt, dass Anträge für Tierversuche hier bearbeitet werden. Die Stadtsprecherin resümiert: „Insgesamt gab es wenig Beanstandungen.“  

Bei der Ahndung können Sanktionen je nach Schwere des Verstoßes von einer Belehrung bis hin zum Bußgeld reichen, teilt das LAVE auf Anfrage mit. Schwerwiegende Fälle oder wiederholte Verstöße können dazu führen, dass der Person weitere „Genehmigungen zukünftig versagt bleiben“ und „liegt der Verdacht einer Straftat vor, wird der Vorgang an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben.“ Doch der Sprecher stellt fest, „dass es in NRW keine nennenswert auffällige Häufung von Verstößen in einer Region gibt.“

Im Futter-Lager des Cecad verrät Professor Zevnik dann doch, dass mehr als die Hälfte aller Universitäts-Mäuse hier gehalten werden. 2024 zählte die Uni Köln insgesamt 58.988 Mäuse. Außerdem: 13.627 Fische, 219 Ratten, 104 Nacktmulle und 30 Schweine. Tiere insgesamt: 72.968. Deutschlandweit waren es 1,46 Millionen Tiere, die in Versuchen zum Einsatz kamen. Die Zahl sinkt seit ein paar Jahren.

Schutzvorkehrungen sind streng, da Mäuse sich nicht infizieren dürfen

Die Schutzvorkehrungen im Cecad sind streng. Reporterin und Fotografin durften drei Tage vor dem Besuch keinen Kontakt zu Nagetieren oder anderen Tieren haben, die wiederum Kontakt mit Nagern hatten. An der Tür im Vorraum zur Tierhaltung hängt rechts ein Bild und zeigt eine Person mit Kittel, Haube und Überziehern für die Schuhe. „Die Teams sind so international, dass sich ein Bild mit der gebotenen Kleiderordnung sofort intuitiv erschließt“, sagt Paul Friedemann Pohlig, Tierpflegemeister und operativer Leiter der Tierhaltung.

„Wir sind Service und Kontrolle in einem und eng vernetzt mit dem Tierschutz. Die Infrastruktur hier ist dafür da, dass es den kleinen Geschöpfen, die es sich nicht ausgesucht haben, hier zu sein, bestmöglich geht.“ Und das nicht nur, weil sich Pohlig als Tierschützer versteht („Tierpflege ist für mich aktiver Tierschutz“), sondern auch, weil Studienergebnisse nachweislich eine schlechtere Qualität haben können, wenn Versuchstiere übermäßig leiden.

Einmal die blaue Montur übergestreift, müssen Mitarbeiter und Forscherinnen dann durch eine Luftdusche hindurch, die Partikel abschüttelt. „Man darf nicht essen, nicht trinken und nicht auf Toilette gehen, wenn man in der Tierhaltung ist. Sonst muss man erneut durch die Luftdusche“, erklärt Zevnik. Auf keinen Fall dürfen sich die Mäuse infizieren. „Die schlimmste Katastrophe wäre, wenn ein Krankheitserreger hineingelangt und die Mäuse für bestimmte Tierversuche ausfallen. Im Sinne des Tierschutzes wäre das furchtbar“, sagt Zevnik. Deshalb kommt auch nur Futter und Einstreu von zertifizierten Lieferanten ins Lager. Allein sieben Mitarbeiter sind für die Logistik zuständig.

Tierhaltung und Tierversuche: 3-R-Prinzip soll Stress und Leid für die Tiere minimieren

Wer Tierversuche durchführt oder in der Tierhaltung arbeitet, hat sich an dem sogenannten 3-R-Prinzip zu orientieren, das sich Ende der 1959 durchgesetzt hat und mittlerweile auch im EU-Gesetz verankert ist. 3R steht für „Replace, Reduce, Refine“: Nur wenn diese erfüllt sind, werden Tierversuche vom Land genehmigt.

Da, wo es möglich ist, sollen Ersatzmethoden wie Zellkulturen verwendet werden (replace). Die Anzahl der verwendeten Tiere soll minimiert werden, ohne die Aussagekraft der Ergebnisse zu beeinträchtigen (reduce). Leid und Stress der Versuchstiere sollen möglichst verringert werden. Das klappt nur, wenn Forschende entsprechende Fortbildungen besuchen. „Nur gut geschulte Personen gehen gut mit Tieren um“, heißt es von den Tierschutzbeauftragten der Uni Köln.

16.05.2025
Köln:
Tierversuche an der Uni Köln : Wieviele Tiere werden zu Forschungszwecken verwendet? Wie ist das geregelt? Was sind Für- und Gegenargumente? In einer internen Veranstaltung hat die Uni darüber informiert
Paul Friedmann Pohlig , Operations Manager- Coaching and Consulting im CECAD Cologne und Tierpflegemeister 
Foto: Martina Goyert

Paul Friedemann Pohlig am sogenannten Inkubator: Hier werden Mäuse in einer nahezu keimfreien Umgebung gehalten, damit erforscht werden kann, wie ein Organismus auf bestimmte Erreger reagiert.

Gut für die Tiere ist auch, wenn sie in Gemeinschaft leben dürfen. Wie die Mäuse und Nacktmulle im Cecad der Uni Köln. Auch scheinbar simple Anwendungen machen einen Unterschied: In einer Mäuse-Box liegen kleine Tunnel, damit Forschende die Tierchen hochheben, statt sie am Schwanz zu packen. „Man weiß, dass die Tiere das nicht mögen“, sagt Pohlig. Bevor der 42-Jährige 2013 im Cecad anfing, war er an der Uni in Düsseldorf tätig.

Dort trainierte er Ratten für ein Forschungsprojekt über Querschnittslähmung. „Hier wurde ein Medikament entwickelt, das bei Verunfallten zum Einsatz kommen soll.“ Pohlig musste die Ratten auf bestimmte Verhaltensweisen hin dressieren, an ihren Bewegungsabläufen sollte man feststellen, ob das Medikament wirkt. „Sie sind tolle Performancekünstler. Eine Ratte konnte einen Stand auf meinem Kopf machen und dabei die Ärmchen ausstrecken, was zeigt, dass man Vertrauen zu den Tieren aufbauen kann.“

Zeit und Vertrauen im Umgang mit den Tieren reduziert Stress

Nehme man sich genügend Zeit, müsse man die Tiere nicht unnötig festhalten oder zwingen: „Die machen das dann von selber.“ Ratte Nummer 21 hat es dann als Tattoo-Motiv auf Pohligs Hals geschafft, als Würdigung für das besondere Tier. 

Auch Nacktmulle seien besondere Tiere, sagt der Tierpflegemeister. „Die sind ganz sensitiv. Ich muss immer noch nach fünf Jahren drei bis vier Mal die Woche in der Grundversorgung dabei sein, weil sie sich so an mich gewöhnt haben.“ Beim Rundgang betritt Pohlig als Erster den Raum, wo rund 280 Nacktmulle in mehreren miteinander verbundenen Boxen herumflitzen. Nacktmulle leben in Kolonien und haben Königinnen, die mehrmals im Jahr schwanger sind. Die werden im Cecad nach den Jazz-Ikoninnen benannt. „Nina Simone ist meine Lieblings-Queen“, sagt Pohlig. „Es gibt auch Diana Ross und Dolly Parton. Das vereinfacht die Kommunikation über die Tiere ungemein.“

Nacktmulle mögen gerne frisches Gemüse. Das bekommen sie aus der Uniklinik-Kantine. Es riecht nach Ausscheidungen im Raum. Das Faszinierende an den Tieren ohne Fell ist, dass sie gemessen an ihrer kleinen Körpergröße sehr alt werden: bis zu 40 Jahre alt. Der soziale Tod ist die erste Sterbeursache. „Sie bekommen keine altersbedingten Krankheiten, keinen Krebs, sind völlig schmerzunempfindlich gegen Säure oder Schärfe wie Chili und können bis zu 18 Minuten völlig ohne Sauerstoff überleben und Stunden bis Wochen unter sauerstoffarmen Bedingungen, die für Mäuse und Ratten tödlich wären. In der Forschung fragt man sich zum Beispiel, inwieweit man das auf die Narkose übertragen kann“, sagt Professor Zevnik.

16.05.2025
Köln:
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Nacktmulle
Foto: Martina Goyert

Nacktmulle essen frisches Gemüse, hier zum Beispiel liegt Süßkartoffel in der Box.

Nacktmulle bekommen keine altersbedingten Krankheiten

Die recht hässlichen, aber drolligen Wesen werden irgendwann zu den Lieblingen der Mitarbeiter hier, sagt Pohlig. Er betont die Sorgfalt der Mitarbeitenden. Man spürt: Man möchte hier am Image der Tierhaltung arbeiten, Tierversuche sind ein heikles Thema. Dass Tierversuche polarisieren, sieht man auch an einer kürzlichen Aktion: 110 führende Forschungspersonen haben sich öffentlich zu Tierversuchen bekannt. Darunter zwei Forscher der Uni Köln. Professor Dirk Isbrandt hat in dem Papier erklärt: „Ich mache Tierversuche, um Therapien für kindliche Epilepsien zu entwickeln.“

Für die Abschaffung von Tierversuchen setzen sich in Deutschland Organisationen wie der Deutsche Tierschutzbund oder Ärzte gegen Tierversuche ein. Diese argumentieren mit ethischen und methodischen Bedenken: Tiere sind fühlende Wesen und hätten ein Recht auf Schutz vor Leiden. Zudem werden Zweifel an der Tauglichkeit von Studienergebnissen geäußert: Nicht immer könne man diese zuverlässig auf den Menschen übertragen. Sie setzen sich auch dafür ein, dass verstärkt alternative Methoden wie Organoide zum Einsatz kommen und kritisieren, dass die Entwicklung von Ersatzmethoden nicht schnell genug voranschreite und nicht ausreichend finanziell gefördert werde.

Besonders negativ stößt den Organisationen auf, wenn Tiere extra für die Wissenschaft gezüchtet werden, die Labore aber dann doch keine Verwendung für sie haben. Bei Mäusen ist es etwa so, dass sie dann in rund zwei Drittel der Fälle auch nicht als Futter im Zoo taugen, da sie gentechnisch verändert sind. Die Folge: Zu Hunderttausenden werden sie dann getötet, denn die Haltung der Tiere ist schlichtweg zu teuer. Pohlig kennt die Einwände der Organisationen, früher habe er oft mit den „Aktivisten“ diskutiert. „Ich stelle mich gern den kritischen Fragen, weil ich hinter unserem Job stehe.“