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Banden oder Bedürftige?Was hinter der Bettelei in den Kölner Fußgängerzonen steckt

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31.01.2025, Köln: Betteln mit System: Fast fast immer gleicher Wortlaut und Schrift auf den Kartons. Foto: Arton Krasniqi

„Bitte für Essen Danke“: Die Aufschrift auf den Pappschildern vieler rumänischer Bettlerinnen und Bettler in Köln ist oft die gleiche.

Wer sind die Menschen aus Osteuropa, die täglich in der Kölner Innenstadt um Geld bitten – und wie organisiert ist ihre Bettelei wirklich?

Es ist 19.30 Uhr an einem Abend im November, Last-Minute-Shopper hasten über die Hohe Straße. In einer halben Stunde schließen die Geschäfte. Vor dem Schaufenster von H&M sitzt eine Frau mit Kopftuch auf einer prall gefüllten Einkaufstasche. In der ausgestreckten Hand hält sie ein Handy. Sie spricht laut hinein und gestikuliert wild mit einem Arm. Vor ihr steht ein 0,5-Liter-Becher von McDonald’s, daneben ein braunes Pappschild mit der Aufschrift: „Bitte für Essen“. Niemand beachtet sie, der Becher ist leer.

Es ist ein gewohntes Bild in der Innenstadt. Vor allem zur Adventszeit und in den ersten Januarwochen, wenn die City voll ist und die Kölnerinnen und Kölner ihre Weihnachts-Gutscheine einlösen, sitzen Männer und Frauen in den Fußgängerzonen und betteln. Dass viele die gleichen, laminierten Pappschilder mit identischer Aufschrift bei sich haben, fällt auf – und nährt die Vermutung, dass sie sich nicht nur untereinander kennen, sondern dass die Bettelei in irgendeiner Form organisiert sein könnte. Oder mehr noch: dass die Bettlerinnen und Bettler vielleicht nicht freiwillig hier sitzen – sondern von Hinterleuten morgens hergebracht und abends abgeholt und abkassiert werden.

Polizei: Keine Hinweise auf kriminelle Strukturen bei den Bettlern

Aber stimmt das wirklich? Ist diese Form der Bettelei erlaubt? Und vor allem: Wer sind die Männer und Frauen, die bei Wind und Wetter in den Kölner Fußgängerzonen hocken? Was haben sie zu erzählen?

In einer mehrtägigen Recherche hat sich der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ihnen und ihren Geschichten genähert. Einfach war das nicht, kaum einer wollte mir der Zeitung sprechen. Andere haben zugestimmt, die Verabredung aber im letzten Moment platzen lassen. Unterhaltungen scheiterten oft schon daran, dass die Bettler die deutsche Sprache nicht beherrschen. Die meisten stammen aus Rumänien, viele aus der Gegend um Brasov in den Karpaten und Fagaras in der Region Siebenbürgen.

Eine Frau hat sich letztlich doch bereit erklärt, aus ihrem Leben zu erzählen, sie kommt im nächsten Teil dieser Reportage-Serie ausführlich zu Wort. Darüber hinaus haben wir mit der Polizei gesprochen, mit dem Ordnungsamt und mit einer Sozialarbeiterin, die Rumänisch spricht und die Szene kennt.

Bettler übernachten vor einem Geschäft auf der Hohe Straße.

Bettler übernachten vor einem Geschäft auf der Hohe Straße.

Ein Montagnachmittag, Gebäude des Kommunalen Ordnungsdienstes in Junkersdorf, ein Besprechungsraum in der fünften Etage. An einem Tisch sitzen Thomas Frenzke, Leiter des Ordnungsdienstes, und seine Kollegin Natalie Riha. „Viele der bettelnden Menschen kennen und helfen sich untereinander. Es handelt sich häufig um Familien“, weiß Riha, die die Betreffenden schon oft kontrolliert hat.

Sie leben mit ihren Familien in Rumänien, einem der ärmsten Länder der Europäischen Union. Abwechselnd und in verschiedenen Zusammensetzungen kommen sie für mehrere Wochen oder Monate im Jahr nach Köln, um hier zu betteln. 

Verboten ist das nicht. Als EU-Bürger dürfen sie sich bis zu 90 Tage am Stück visumfrei und ohne weitere Voraussetzungen in Deutschland aufhalten. Ein gültiger Personalausweis oder Reisepass genügt. Auch normales Betteln ist in Köln grundsätzlich erlaubt. Untersagt sind laut Stadtordnung nur bestimmte Formen, zum Beispiel aggressives Betteln, solches, das den Verkehr behindert sowie bettelnde Kinder und das Vortäuschen körperlicher Behinderungen. Haben sie Tiere dabei, müssen die Besitzer tierseuchenrechtliche Nachweise vorlegen können.

Wir können niemanden einfach mitnehmen oder wegsperren
Natalie Riha, Ordnungsamt Köln

Untersagt ist auch organisiertes oder bandenmäßiges Betteln. Aber auch dies treffe – nach allem, was man wisse – auf die Personen nicht zu, betonen Thomas Frenzke und Natalie Riha vom Ordnungsamt. „Wir haben keine Hinweise darauf, dass hier in irgendeiner Form Zwang eingesetzt wird“, betont Frenzke. 

Dass sich die Pappschilder vieler rumänischer Bettlerinnen und Bettler in Wort, Schrift und Aufmachung ähneln, ist für sich genommen kein Beweis für organisierte Ausbeutung oder sogar kriminelle Hintergründe. „Einer bastelt die Schilder und gibt sie an die anderen weiter, man hilft sich gegenseitig“, sagt ein Insider. Ein Polizeisprecher bestätigt, auch die Polizei Köln habe „keine belastbaren Informationen oder Hinweise auf eine organisierte Struktur“.

Eine Bettlerin sitzt auf einer Einkaufstasche in der Hohe Straße.

Eine Bettlerin sitzt auf einer Einkaufstasche in der Hohe Straße und telefoniert.

Viele bettelnde Menschen aus Osteuropa meiden die Obdachlosenunterkünfte oder Notschlafstellen in der Stadt – auch wenn die Einsatzkräfte des Ordnungsamtes und städtische Sozialarbeiter ihnen das immer wieder anböten, betont Natalie Riha. „Aber sie leben lieber auf der Straße.“

Köln: Händler und Gastronomen bezeichnen Bettelei als „anhaltendes Problem“

Wenn die Geschäfte schließen und der Fußgängerstrom versiegt, treffen sich die Männer und Frauen oft in größeren Gruppen. Sie sitzen vor den verlassenen Läden, unterhalten sich, essen zusammen und schlafen auf Matratzen in Hauseingängen oder vor Geschäften – so wie an einem Abend Ende Oktober gegen Mitternacht. Zehn Männer und Frauen liegen vor H&M auf der Hohe Straße in Schlafsäcken, die sie auf dünnen Matten ausgebreitet haben. Als der Fotograf des „Kölner Stadt-Anzeiger“ Bilder macht, wird er von einem Mann, der gegenüber in einem Hauseingang offenbar Wache hält, aggressiv angesprochen und bedroht.

Das nächtliche Campieren in einigen Bereichen werde geduldet, solange die Bettlerinnen und Bettler niemanden stören, sagt Riha – etwa durch Lärm oder aggressives Verhalten. Es sei jedermanns Recht, nachts draußen zu schlafen. „Wir können deswegen niemanden einfach mitnehmen oder wegsperren.“

Tagsüber, wenn die Straßen belebt seien, sei das anders. Dann ist es untersagt, im öffentlichen Raum seinen Hausstand auszubreiten, in beengten Fußgängerzonen zu lagern, also etwa ein Zelt aufzubauen oder zu schlafen. „Dann schreiten wir ein“, sagt Riha – und stößt damit offenbar auf breite Zustimmung bei Einzelhändlern und Gastonomen. Denn vielen von ihnen ist die Bettelei in Dorn im Auge. Die Präsenz von Ordnungskräften und Polizei nehme man wahr und begrüße sie sehr, betont Annett Polster, Geschäftsführerin von Stadtmarketing Köln, eine Interessensvertretung der Kölner Wirtschaft.

Für Handel, Gastronomie und Immobilieneigentümer sei das Betteln in den Fußgängerzonen der Innenstadt ein „seit vielen Jahren anhaltendes Problem“, sagt Polster. „Es verunsichert Passanten und Gäste, aber auch Mieter und trägt damit nicht zum Sicherheitsgefühl, einem Grundbedürfnis von Menschen, bei.“ Immer wieder werde in Umfragen und Gesprächen eine verbesserte Aufenthaltsqualität für die Kölner Innenstadt gefordert. „Dazu gehören viele einzelne Themen und eines davon ist die Bettelei, die teils auch in der Außengastronomie sehr aggressiv ist.“

Bei H&M auf der Hohe Straße gehen um kurz nach 20 Uhr an diesem Abend im November die Lichter aus. Im McDonald’s-Becher liegt noch immer keine Münze. Die Frau packt das Pappschild in ihre Einkaufstasche, nimmt den Becher in die Hand. Sie schultert die schwere Tüte und geht langsam die Hohe Straße hinunter. Morgen wird sie wieder hier sitzen.