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Angela Steideles neuer RomanDie Garbo und die Dietrich als feministische Influencerinnen

6 min
Die Kölner Schriftstellerin Angela Steidele hat einen Roman über Greta Garbo und Marlene Dietrich geschrieben.

Die Kölner Schriftstellerin Angela Steidele hat einen Roman über Greta Garbo und Marlene Dietrich geschrieben.

Die Kölner Schriftstellerin erzählt in „Ins Dunkel“ die Geschichte der beiden Filmstars als Spielfilm.

Das Fernsehen kann zuweilen wegweisende Einblicke ermöglichen. Als Angela Steidele zwölf Jahre alt war, sah sie zum ersten Mal Greta Garbo in dem Spielfilm „Königin Christine“. Der Anblick hat sie unmittelbar gepackt: „Eine Königin in Männerkleidern, in Hosen und hohen Stulpenstiefeln, die ihre Hofdame auf den Mund küsst!“ Imponiert habe ihr zudem eine Herrscherin, die den Krieg beenden und die Kunst und Wissenschaft fördern möchte. Eigentlich habe sie damals „nichts kapiert“, sagt Angela Steidele im Gespräch mit dieser Zeitung, „aber ich war unendlich beeindruckt und habe die folgenden Jahre damit zugebracht zu verstehen, welche Begegnung ich da erlebt hatte.“

Lange Zeit habe sie die Garbo-Verehrung als privates Hobby gepflegt. Doch jetzt ist die Filmikone eine Zentralgestalt ihres Romans „Ins Dunkel“. Zunächst lautete der Arbeitstitel „Greta und Marlene“ – Marlene wie Marlene Dietrich, denn wer von Greta Garbo rede, komme an ihrer Kollegin schwerlich vorbei. Doch beim Schreiben hat die Schriftstellerin aus Köln gespürt, dass sie da etwas Größeres unter den Händen hatte. Daran ist unsere Gegenwart schuld. Hätte Kamala Harris die Präsidentenwahl in den USA gewonnen, wäre es ein anderer Titel geworden. Doch nach dem Sieg von Donald Trump habe der Roman nur „Ins Dunkel“ heißen können. „Mittlerweile bin ich sehr glücklich mit dem Titel – traurig glücklich.“

Die Parallelen zum Heute sind zahlreich

Der Roman erzählt die Geschichte der Stars Garbo und Dietrich, dann auch die ihrer Freundinnen und Bekannten. Es geht um Rollenspiele vor und hinter der Kamera, um Liebe und Karriere in Berlin, Los Angeles und den Schweizer Bergen. Dabei erleben wir nicht nur den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm, sondern auch jenen von der Demokratie zur Nazi-Diktatur. Die Parallelen zum Heute sind derart zahlreich, dass einem mulmig wird. Das reicht vom Missbrauch eines neuen Mediums, damals des Films und heute des Internets, bis zu Zensur und Selbstzensur im alten Hollywood und neuen Amerika. Und den Kampfbegriff „Lügenpresse“ strapazierten schon die Nazis.

„Das Verzweifeln an unserer Gegenwart hat mir ungemein geholfen, aus der privaten Greta-Garbo-Obsession einen Stoff zu gestalten“, sagt Angela Steidele. Sie habe begriffen: „Einmal errungene Freiheiten sind nicht für immer errungen, sondern müssen ständig neu erkämpft werden.“ Das Thema Abtreibung sei für sie ein Indikator dafür, wie es um die Grundrechte bestellt sei. Wer Frauen die Autonomie über ihren Körper abspreche, wolle sie bevormunden: „Deswegen steht dieser Vorgang sinnbildlich für den Angriff auf die Demokratie – es sollen nicht alle gleich sein.“ Das treffe die Schwarzen in den USA, das treffe dort die Frauen.

Dabei ging es in den 1920er Jahren gut los. Die Garbo und die Dietrich, so steht es im Roman, haben „mehr für die Frauenemanzipation getan als alle klugen Bücher zusammen“. Genau so sei es, sagt Angela Steidele, die ihre Fiktion fest in der Historie verankert. Die Schauspielerinnen seien „Influencerinnen von unermesslichem Ausmaß“ gewesen. Sie hätten „die völlige Freiheit in der Liebe“ gelebt. „Sie nehmen sich, wen sie wollen und welches Geschlecht sie wollen. Sie rauchen öffentlich und erobern den Frauen die Hose. Greta Garbo hat dann auch noch ihren Büstenhalter weggelassen – das Korsett war da wirklich gesprengt.“

„Das Verzweifeln an unserer Gegenwart hat mir ungemein geholfen, aus der privaten Greta-Garbo-Obsession einen Stoff zu gestalten“
Angela Steidele

Erzählt wird die Geschichte als Spielfilm. Während nur allzu oft ein Roman verfilmt werde, sagt Angela Steidele, habe sie den Spieß umdrehen wollen. So sitzen wir Leserinnen und Leser gleichsam im Kinosaal. Überhaupt wird häufig „wir“ gesagt, wenn sich die Erzählerin bemerkbar macht. Das meint Angela Steidele programmatisch. Gegenwärtig werde das Spalten so sehr betont, obwohl viel stärker und wichtiger sei, was uns Menschen vereine. Da dachte sie sich: „Vielleicht ist es mal an der Zeit, ein freundliches Wir in einem wohlwollenden Miteinander zu betonen.“

So kann man also eintauchen in die deutsch-amerikanische Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist ein Stelldichein der Prominenz, die sehr beredt ist. Das ist mal amüsant und mal tiefschürfend und geht Schlag auf Schlag voran. Angela Steidele sagt, sie liebe Screwball-Komödien.

Das Wort führen die Frauen. Doch Männer finden auch Erwähnung. Dabei kommt Thomas Mann nicht so gut weg. Der Großschriftsteller sei ihr „Abgott und Lehrherr“, wenn es ans epische Erzählen gehe, bekennt Angela Steidele. „Doch inhaltlich habe ich als Demokratin und Feministin große Schwierigkeiten mit dem Gesamtoeuvre.“ So habe er nicht eine überzeugende Frauenfigur geschaffen. Ihr Roman verstehe sich „augenzwinkernd als ein kleines feministisches Contra“ zum „Zauberberg“. Dort redeten die Männer im Sanatorium in Davos, bei ihr die Frauen im nahegelegenen Klosters. „Natürlich gibt es eine Fallhöhe: Davos liegt höher als Klosters.“

Einen besonderen Auftritt hat Angela Steidele selbst

Einen besonderen Auftritt hat Angela Steidele selbst. Sie betritt die Wohnung von Marlene Dietrich in Paris, als gerade Erika Mann zu Besuch ist. Das ist mehr als ein Gag. Der Schriftstellerin geht es darum, ihre Lesart infrage zu stellen. So wie alle Personen eine individuelle Version der Vergangenheit erzählen, so tut sie es eben auch. Prompt widersprechen die Damen der Besucherin. Bert Brecht, dessen Name im Roman ebenfalls auftaucht, hätte diese Volte als Verfremdungs-Effekt bezeichnet.

Für die Schauspielkunst der Greta Garbo kann sich Angela Steidele immer noch begeistern. Sie habe das Spiel im Film subtil gemacht. Allerdings äußerte sie sich nie zu irgendetwas, schon gar nicht politisch. Dabei sei sie heute politischer denn je: „Wenn wir Begriffe wie ‚genderfluid“ oder ‚nonbinär‘ verwenden, könnten wir auf Greta Garbo gucken.“

Marlene Dietrich hingegen sei keine große Schauspielerin gewesen, aber ein Gesamtkunstwerk: Antifaschistin, Sängerin, Berliner Schnauze, Persönlichkeit. Künstlerisch sei der Fall zwischen Garbo und Dietrich entschieden, sagt Angela Steidele. „Aber menschlich bin ich mir nicht so sicher.“ Sie ziehe den Hut vor der Dietrich: „Die Nazis haben ihr den roten Teppich ausgelegt, doch sie hat ‚nein‘ gesagt.“ Die Frau habe einen klaren moralischen Kompass gehabt: „Das gehört sich nicht.“

„Ins Dunkel“ ist ein buchstäblich vielstimmiger Roman. Fast möchte man sagen: Ein Film für die ganze Familie. Bestens ausgeleuchtet. Reich an Perspektiven. Sorgfältig geschnitten. Mit einer Vorliebe für Nahaufnahmen. Dazu ein starker Fokus auf die Aktualität. Es könnte also klappen mit den drei Wünschen, die Angela Steidele zum Erscheinen formuliert: „Man soll lachen, man soll sich wie im Kino fühlen und man soll Schwung mitnehmen für den eigenen Kampf für die Demokratie.“


Angela Steidele: „Ins Dunkel“, Suhrkamp, 358 Seiten, 26 Euro. E-Book: 21,99 Euro.

Premierenlesung des Literaturhauses Köln im Kölner Filmhaus am 9. September um 19.30 Uhr.