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Bildband zu Georg BaselitzZu Weltruhm mit kraftstrotzender Alterstattrigkeit

Lesezeit 5 Minuten
Zwei gemalte Adler steht kopfüber in der Luft.

„Fingermalerei Adler II“ von Georg Baselitz

Im Kölner Taschen-Verlag ist eine fantastische Georg-Baselitz-Werkschau im Buchformat erschienen.

Wenn Kunst nicht schön ist, was ist sie dann? Eine gute Frage, zumal, wenn man vor einem Gemälde von Georg Baselitz gestrandet ist. Der Kunstexperte Richard Schiff stellt sie im neusten Riesenband aus dem Kölner Taschen-Verlag und gibt auch gleich die auf Baselitz gemünzte Antwort: ein Mittel, uns das Hässliche erträglich zu machen. Und da es Hässliches in der modernen Welt mehr als genug gibt, geht einem Maler wie Baselitz niemals die Arbeit aus.

Schiff zitiert Baselitz mit den Worten, er sei 1938 als Deutscher „in eine zerstörte Ordnung, eine zerstörte Landschaft, ein zerstörtes Volk“ geboren worden. Und er zitiert mit Baselitz sogar eine Totemfigur für diese hässliche Welt herbei: den Gartenzwerg in Nachbars Garten. Dessen Spezies sei laut Baselitz so „furchtbar hässlich“, weil seine Kultur verloren gegangen ist. „Niemand hat aus ihm eine Tradition gemacht.“ Bis Baselitz kam, so Schiff, und seine „gnomische Malerei“.

Die Gleichung „Teutonisch mal Ironie ergibt Baselitz“ geht nicht ganz auf

Auch wenn Georg Baselitz persönlich das Stichwort liefert, trägt einen der Gartenzwerg nicht allzu weit durch dessen Werk – aber immerhin bis zu jenem entstellten Knaben, der auf einem Skandalbild der sechziger Jahre einen Riesenphallus in seinen Händen hält. Das Grobe und Plumpe des deutschen Gnoms begegnet einem auch auf Baselitz‘ monumentalen Heldenbilder dieser Zeit, auf denen junge Siegfrieds in kurzen Flickenhosen durch nachtschwarze Landschaften irren. Aber die Gleichung „Teutonisch mal Ironie ergibt Baselitz“ geht schon im Jahr 1969 nicht mehr ohne Weiteres auf.

Sein Frühwerk hat Baselitz einmal als „Pubertätsschlamm“ bezeichnet und sein damaliges Berliner Wohnatelier bei anderer Gelegenheit mit einem vollgeschissenen Taubenschlag verglichen. Aus dem einen oder anderen zog sich Baselitz dann in Münchhausen-Manier heraus - und stellte seine Bilder und die Welt auf ihnen einfach auf den Kopf. Als Erstes malte er 1969 ein verschneites Waldstück verkehrt herum und verband dabei die schuldbewusste Liebe zu deutschen Naturschinken mit einem erstaunlichen Ausflug in die Gefilde der Konzeptkunst. Vermutlich wunderte sich Baselitz selbst, dass dieses Markenzeichen noch nicht vergeben war. Für ihn war es aber kein Marketing-Gag, sondern ein Weg, gleichzeitig gegenständlich und ungegenständlich zu malen. Über Kopf gehängt, wirkt selbst ein röhrender Hirsch noch irgendwie abstrakt.

Der kraftstrotzende Baselitz malt Bilder menschlicher Verletzlichkeit

Dieses Gegen- und Miteinander von abstrakter und figurativer Malerei ist die wahre Konstante in Baselitz‘ Werk, wie auch Carla Schulz-Hoffmann in ihrem Beitrag zum Taschen-Band schreibt - und dieser mit seinen großformatigen Abbildungen von mehr als 400 Werken eindrucksvoll belegt. Als Baselitz-Werkschau für die heimische Couch gibt es derzeit nichts Vergleichbares. Man blättert durch das chronologisch geordnete, mit 3,45 Kilo für Taschen-Verhältnisse leichtgewichtige Buch und staunt, wie vielfältig das Werk dieses gerne auf sein weltberühmtes Markenzeichen reduzierten Künstlers ist.

Vermutlich hätte Baselitz auch mit seinen richtig herum gemalten Bildern eine Weltkarriere gehabt. Er war jedenfalls jung und wild genug, um aus den kümmerlichen Resten des Realismus noch einmal etwas Umstürzlerisches zu machen. 1960 malte er Porträts, die langsam verlöschen oder sich buchstäblich zu einem Haken krümmen. Zwei Jahre später steht einem durch den Fleischwolf gedrehten nackten Mann dann eine stattliche Erektion - als Vorspiel der skandalisierten „Großen Nacht im Eimer“. Darauf folgte mit einer Serie von Fußstudien allerdings erst die richtige Fleischbeschau. Spätestens hier zeigte sich: Der kraftstrotzende Baselitz malt Bilder menschlicher Verletzlichkeit.

Gemälde von „zersägten“ Waldarbeitern mit Hund

„Meißener Waldarbeiter“, ein Frühwerk von Georg Baselitz, abgebildet im neuen Baselitz-Band des Kölner Taschen-Verlags

1965 erschien dann der „neue Typ“: kantige Jungs in Uniform und Heldenpose, aber überdeutlich auf verlorenem Posten. Heimatlose, Kriegsheimkehrer, vielleicht auch versprengte Geister im Zwischenreich der Schlachtfelder. Wiederum drei Jahre später setzte Baselitz symbolisch die Säge an seine Figuren. Waldarbeiter, Tiere und Bäume zerfallen in freischwebende Teile - und stehen teilweise schon Kopf. Seit 1969 malt er konsequent verkehrt herum. Ein Geniestreich, wie er im von Taschen abgedruckten Gespräch mit Cornelius Tittel sagt. „Ich dachte, das ist so eine Granate, dass ich eigentlich ausgesorgt habe – geistig zumindest.“ Aber zunächst gab es überhaupt keine Reaktionen.

Mit seinem Dreh zeigte Baselitz, dass er die abstrakte Malerei nicht für das Ende der Kunstgeschichte hielt, aber auch nicht so tun wollte, als hätte es sie nie gegeben. Er malte gegenständlich, um das hässliche Deutsche beim Namen zu nennen, und zugleich abstrakt genug, um an den deutschen Beitrag zur Kunstgeschichte, das Expressive, anschließen zu können, ohne als Geschichtsverleugner dazustehen. Mit dieser geistigen „Granate“ holte sich Baselitz zunächst die Freiheit zurück, wieder beinahe realistische Porträts zu malen; verkehrt herum war für ihn jetzt Verfremdung genug. Aber schon bald änderte sich die Richtung wieder, nun schmierte Baselitz seine Bilder mit den Fingern. Diese in den frühen siebziger Jahren entstandenen Naturstudien von Birken und Adlern sind virtuose Übungen in unreiner Malerei.

Ich dachte, das ist so eine Granate, dass ich eigentlich ausgesorgt habe – geistig zumindest
Georg Baselitz über seine umgekehrten Bilder

In den Achtzigern wurden Baselitz‘ Bilder (wie der malerische Zeitgeist) wilder, zerfurchter und skizzenhafter, und der Maler, der eine exquisite Sammlung afrikanischer Skulpturen besitzt, wird (im Taschen-Bildband) zum Schöpfer grob behauener Holzfiguren. Es sind archaische Menschen, Gesichter und Scham sind mit Farbe markiert – Gegenentwürfe zum Unwesen des deutschen Gartenzwergs, wenn man so will. Auf der Leinwand begann Baselitz mit Gitterstrukturen zu experimentieren, und in den Neunzigern wurden seine Gemälde mitunter gänzlich zeichenhaft; das Menschliche ist nur noch eine gestrichelte Ahnung.

Auch als anerkannter Altmeister blieb Baselitz auf der Suche. Er setzte Löcher ins Farbgefüge, malte auf den Knien, um den Überblick zu verlieren, stürzte sich ins ironisch-postmoderne Scharmützel mit Klassikern wie Mondrian oder Kooning und setzte zarte, aquarellhafte Kompositionen gegen die lastende Schwere der Vergangenheit. In den 2000er Jahren begann er, seine eigenen Frühwerke in diesem Stil zu „remixen“ – plötzlich standen Baselitz-Menschen wieder auf ihren Füßen.

Im Spätwerk des 87-Jährigen dominieren bislang zittrige Wesen und schattenhafte Körperbilder, die vielleicht auch deswegen zu den Höhepunkten in Baselitz‘ Schaffen gehören, weil sie von Anfang an in seiner Malweise angelegt waren. Im Gespräch mit Tittel vergleicht Baselitz seine kraftstrotzende Malerei mit „Alterstattrigkeit“. Er habe eher wie ein Philosoph gearbeitet und schon immer Gespenster gemalt.


Hans Werner Holzwarth: „Georg Baselitz“, Taschen-Verlag, 616 Seiten, dreisprachig, 75 Euro.