Frank Schätzing schreibt in seinem neuen Buch „Spaceboy“ über den Musiker David Bowie und sein eigenes Aufwachsen und Leben in Köln. Ein Gespräch.
Kölner Bestseller-Autor„Als Jugendlicher habe ich mich gehasst“

Frank Schätzing wäre lange Zeit am liebsten Musiker geworden.
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Herr Schätzing, Sie waren zwölf, als Sie Ihren Helden David Bowie entdeckt haben. Wie ging es Ihnen damals an der Schwelle zum Teenager?
Das Gymnasium war eine finstere Zeit. Auf der Volksschule hatte man uns noch zum Träumen angehalten, für mich war immer Kindergeburtstag. Dann kam ich auf das Gymnasium Kreuzgasse hier in Köln, da wehte ein eisiger Wind. Eine Kaltfront des Erwachsenwerdens ging allem voraus, es drehte sich nur ums Pauken. Alles, was ich als Kind gut konnte, zeichnen, schreiben, später auch Musik machen, war null gefragt. Damals waren sehr schräge Vögel unter den Lehrern. Da flogen Schlüsselbunde, da wurde an den Haaren gerissen, wurden Ohrfeigen verteilt. Mein alter Musiklehrer stand den Nazis erschreckend nah. Ich befand mich also in einer kleinen Depression.
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Und dann kam dieser neue Musiklehrer mit den langen Haaren.
Eine totale Fehlfarbe an diesem Gymnasium, der einen ganz anderen pädagogischen Ansatz pflegte. Der alte Musiklehrer hatte uns immer Bilder von alten Komponisten gezeigt, die aussahen wie vom Sterbebett vor die Kamera gezerrt. Uns wurde gesagt, was wir bei deren Musik zu denken haben. Der Neue dagegen legte Platten auf, ohne vorher was darüber zu verraten. Dann sollten wir erzählen, wie wir die Musik empfanden. Eines Tages spielte er uns „Space Oddity“ von David Bowie vor und sagte: Ich glaube, das ist die Zukunft der Popmusik. Nach dem Lied dachte ich: Wenn der Typ damit Erfolg hat, ist er der König aller Träume. Dann kann auch aus mir was werden.
Was haben Sie beim Schreiben dieser Autobiografie über sich selbst gelernt?
Meine Teenagerzeit war eine eher unglückliche Zeit. Ich war Spätentwickler, blieb lange sehr klein und schmächtig, hatte keinen Bartwuchs. Jeden Morgen sah ich im Spiegel diesen puttenbäckigen Knaben. Ich fühlte mich ausgegrenzt, weil ich mich nicht mochte. Natürlich hatte ich null Erfolg bei den Mädels. Irgendwann habe ich das komplette Gegenprogramm gestartet, mir eingebildet, ich könnte diesen peinlichen Jungen in die Wüste schicken. Aber das geht nicht. Je mehr du versuchst, dein vergangenes Ich loszuwerden, weil du dich seiner schämst, desto mehr macht es sich bemerkbar. Du musst dich mit diesem Teenager versöhnen.
Ihr „Programm“ sah doch tatsächlich vor, ein schöner Mann zu werden.
Klingt vermessen, aber ich war 17 und hasste mich als pickliges Milchgesicht. Dazu noch dieser Parka, der eher mich trug als ich ihn. Ich schlich rum wie ein Gespenst. Und dann dachte ich: So kann es nicht weitergehen. Du wirst jetzt ein schöner Mann. Ich bin wirklich generalstabsmäßig rangegangen: Friseur, Gesichtswasser, neue Kleidung. Ich hatte Angst, dass ich ausgelacht werde. In meinem Parka war ich ja vor allem übersehen worden. Aber es hat funktioniert. Und dann dachte ich: Mach weiter! Ob ich dann schön geworden bin, darüber kann man trefflich streiten. Aber ich bin aus dem Schatten ins Licht getreten.

Der junge Frank Schätzing - geschminkt wie sein Idol David Bowie.
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Was macht David Bowie für Sie so einzigartig, dass Sie ihm ein Buch widmen wollten?
Erstens kenne ich keinen Popstar, der es geschafft hat, über 50 Jahre Avantgarde zu sein und immer wieder neue Impulse zu setzen. Die Beatles haben das für ein paar Jahre hingekriegt. Bob Dylan ist ein Gigant, hat sich aber über die Jahrzehnte kaum erneuert. Die Stones sind großartig, aber jedes Album klingt wie das davor.
Und zweitens?
Kenne ich keinen Popstar oder Künstler, der ähnlich risikofreudig war wie Bowie. Wir sind in Deutschland risikoscheu, versuchen immer nur, möglichst wenig Verkehr zu machen. Bowie hat sich und seine Musik immer wieder so radikal neu erfunden, dass er damit jedes Mal seine Fanbase aufs Spiel gesetzt hat. Dieses Wagnis musst du erstmal eingehen.
Er schockte damit auch seine Plattenfirma.
Absolut. „Low“, das erste Album seiner Berlin-Trilogie, wollten die erst gar nicht rausbringen, weil sie der festen Überzeugung waren, dass keiner das hören will. Dann erschien es doch verspätet, und es stellte sich etwas heraus, was ich seit meinen Tagen als Werber predige: Haltet die Leute nicht für doof! Entsprechend wurde das Album euphorisch aufgenommen.
Ihr Lieblingssong von David Bowie?
„Aladdin Sane“ vom gleichnamigen Album. Da erfindet er seinen Gesangsstil neu und schafft es, aus sehr wenigen Akkorden eine sehr geheimnisvolle Stimmung zu bauen. Und dann gibt es darin das legendäre, atonale Klaviersolo von Mike Garson, ein komplettes Novum in der Popmusik. Was auch beweist, dass Bowie nicht nur ein toller Performer und Songwriter, sondern auch ein genialer Produzent war.
Was haben Sie bei Ihren Recherchen über Bowie gelernt?
Dass er sein ganzes Leben eigentlich nur über sehr wenige Themen gesungen hat, die ihn beschäftigten. Über seine große, verlorene Liebe Hermione, eine Tänzerin, die er vergrault hatte. Noch in seinen letzten Songs und Videos hat er ihr immer wieder kleine versteckte Botschaften geschickt. Und über seinen Halbbruder Terry, der an Schizophrenie litt und in der Anstalt gestorben ist. Die ganze Familie seiner Mutter hatte psychische Probleme. Bowie hatte panische Angst davor, ebenfalls verrückt zu werden.
Welche Eigenschaft hätten Sie gerne von David Bowie geklaut?
Der Mann sah definitiv besser aus als ich. Der war so verdammt attraktiv. Und in seinen Konzerten hat er Tsunamiwellen an Charisma ausgestrahlt.
Über sich selbst geschrieben haben Sie bisher nie. Was war die größte Schwierigkeit daran?
Wenn man schon ein paar Jahrzehnte auf der Welt ist, sollte man meinen, dass die Vergangenheit im Dunkeln liegt und die Kindheit in Rabenschwärze. Das Gegenteil ist der Fall: Sehr frühe Momente erscheinen hell beleuchtet. Dazwischen liegen große Flächen, in denen es tatsächlich stockdunkel ist. Ich habe versucht, aufzuhellen, was zwischen den erleuchteten Spots lag. Besonders wichtig war mir, nicht in die Falle zu tappen, dass Leute denken, ich wolle mich mit David Bowie gleichsetzen - natürlich nicht! Es ist eine Hommage an ihn.
Ich habe bei der Bundeswehr durchaus bleibende Eindrücke hinterlassen, nur nicht die, die sich die Armeeführung vorgestellt hat
Sie schreiben über sehr private Dinge. Welche Szenen sind vor dem Andruck wieder rausgeflogen?
Mich selbst habe ich schon ziemlich nackig gemacht. Da habe ich nur bei zwei, drei Stellen am Ende gedacht: Nein, das ist jetzt doch zu intim. Und einige Passagen habe ich gestrichen aus Sorge, die Rechte anderer zu verletzen. Nicht, dass ich schlecht über sie geschrieben hätte. Aber trotzdem wollen sie vielleicht nicht, dass andere Menschen Privates über sie erfahren.
Der – wie Sie sagen – peinlichste Moment Ihres Lebens ist auf jeden Fall dringeblieben.
Im Nachhinein sehr lustig. Mitte der 70er Jahre wollte ich unbedingt in diesen Erotikfilm „Emmanuelle“, von dem es damals hieß, er zeige alles. Aber ich sah viel zu jung aus, um reinzukommen. Also habe ich mir Haare abgeschnitten und mir mit Tesafilm einen Schnurrbart gebastelt. Eine Riesen-Sauerei, überall Haare. Vor der Kinokasse beim Rex am Ring habe ich mir den aufgepappt. Leider waren es 30 Grad, ich schwitzte wie ein Schwein, und gerade in dem Moment, als ich vor der Kassiererin rumnuschelte, in welchen Film ich will, löst sich der Schnurrbart einseitig und steht ab wie ein Gartentürchen. Wir wechselten dann einen langen, tiefen Blick. Wahrscheinlich fragte sie sich, ob mir als Nächstes die Nase abfällt. Ich drehte um, die Scham brannte mir im Gesicht.
Sie haben schon zur Schulzeit mit Musik begonnen, gezeichnet, hatten auch Interesse fürs Theater. Ihre Kreativität hat sich ausgerechnet bei der Bundeswehr zum ersten Mal richtig gelohnt.
Ich habe durchaus bleibende Eindrücke hinterlassen, nur nicht die, die sich die Armeeführung vorgestellt hat. Nach meiner Grundausbildung saß ich auf der „Zeichenstelle“ in Köln-Longerich, nachdem ich vorher erfolglos versucht hatte, zu verweigern. Meine Aufgabe war, Feindbewegungen hinter den Linien einzuzeichnen. In Ermangelung von Feinden hatte ich nix zu tun. Also fing ich an, Leute aus der Bundeswehr mit dieser blauen Knetmasse nachzuformen, mit der man eigentlich die Schreibmaschinen sauber machte, und sie zu zeichnen. Daraus wurde ein gutgehendes Geschäftsmodell. Es gab keinen Dienstgrad, den ich nicht porträtiert habe. Ich habe damit richtig Kohle verdient.
Sie haben lange in Werbeagenturen gearbeitet und sich mit einer eigenen selbständig gemacht. Nachts haben Sie Bücher geschrieben, die immer erfolgreicher wurden. Aber den traurigen Jungen von früher spürten Sie immer noch. Welches Verhältnis haben Sie heute zu ihm?
Ich habe jahrelang gearbeitet wie ein Irrer, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche. Ich wollte es allen zeigen, mal mit großem Erfolg, mal mit Abstürzen. Mit meiner Agentur bin ich zweimal fast pleite gegangen, zwischendurch waren wir ganz oben. Dann fing ich an, Bücher zu schreiben, um meine eigenen Geschichten zu erzählen und nicht mein Leben lang Werbung machen zu müssen. Aber die Landschaft meiner Seele kannte ich dabei nicht. Also wer ich bin, wenn ich mal nichts tue. Nach Jahren der Selbstüberforderung, als ich mit „Der Schwarm“ so erfolgreich war wie nie, ging plötzlich gar nichts mehr. Darauf war ich nicht vorbereitet.
Diagnose Burnouot. Wie sind Sie da rausgekommen?
Ich habe angefangen zu meditieren. Dabei muss man dem Impuls, irgendetwas zu tun, komplett widerstehen. Am Anfang hat mich das wahnsinnig gemacht. Ich hatte Angst davor, nicht permanent zu funktionieren, vor der Leere, wenn du nichts tust. Viele Menschen haben vor dieser Leere Angst, weil das wie ein schwarzes Loch ist. Unliebsame Gedanken stürmen auf dich ein. Am Ende gerät man in einen Zustand, in dem man nicht mehr wertet. Man atmet und ist einfach da. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich es kapiert habe, aber es hat mir sehr geholfen.
Leiden Sie unter Selbstzweifeln?
Immer. Ich kenne niemanden im künstlerischen Bereich, der das nicht tut. Alle haben das Hochstapler-Syndrom, glauben, man kommt uns eines Tages auf die Spur, dass wir in Wirklichkeit gar nichts können.
David Bowie ist vor zehn Jahren mit 69 gestorben. Sie sind jetzt 68. Was macht dieser Gedanke mit Ihnen?
Ich habe kein Gefühl von Alt- oder Ältersein, nicht im Mindesten. Es fühlt sich so an, als hätte ich gestern erst losgelegt. Manchmal denke ich: Du musst dich nicht endgültig entscheiden, was du machst. Du bist ja noch so jung. Ich glaube, auch Bowie fühlte so. Er arbeitete, kämpfte und wütete gegen das kränkende Konzept der Natur an, uns ein Ende zu setzen, es uns sogar wissen zu lassen im Gegensatz zu anderen Tierarten. Diesen Widerspruch versuchte Bowie aufzulösen, indem er so viel wie möglich erschuf. Ich hoffe, dass mein Leben noch ein bisschen andauert. Ich werde meine limitierte Zeit auswringen bis zum letzten Tropfen.
„ Spaceboy“ erscheint am 6. November beim Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch.




