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„Für immer seh ich dich wieder“Wie schreibt man über das eigene tote Kind?

Lesezeit 4 Minuten
Federer steht mit Schal vor einer gekachelten Wand.

Der Kölner Autor Yannic Han Biao Federer

Der Kölner Autor Yannic Han Biao Federer hat ein berührendes Buch über den Tod seines ungeborenen Sohns geschrieben.  

Natürlich ist es zum Heulen. Kaum zu ertragen. Ein junger Mann ruft seinen Vater an und sagt. „Wir sind im Krankenhaus, unser Sohn ist tot.“ Dann weiter: „Es ist so schrecklich, es ist so furchtbar, wie kann das sein. Es ist ungerecht. Es ist falsch.“ Das Kind stirbt noch im Mutterleib. Der Oberarzt teilt mit, es habe sich um „eine sehr sehr seltene Komplikation“ gehandelt. Lebensgefahr besteht für die Mutter. Doch die anschließende Operation gelingt. „Und auf der Straße gehen welche, als wäre nichts.“

Yannic Han Biao Federer, der in Köln wohnt, hat bereits zwei Romane vorgelegt. Doch die autobiographische Erzählung „Für immer seh ich dich wieder“ wird in seinem Werkkosmos – möge da kommen, was kommt – stets in einer eigenen Umlaufbahn unterwegs sein. Es ist ein Buch, dem man sich nicht entziehen kann. Es gibt keinen Vorhang und keine Trennscheibe. Leserin und Leser sind hautnah dabei, wenn Tränen fließen oder eine Ohnmacht zupackt, wenn es ins Krankenhaus und auf den Friedhof geht, zu den Ämtern und in ein anderes Leben. Mag auch alle Literatur intime Einblicke gewähren, so tut es diese doch im Besonderen.

Federer schreibt, um Halt zu finden und die Erinnerung zu bewahren

Die Eltern geben dem Kind den Namen Gustav Tian Ming. Wobei Tian Ming für Morgenröte steht. Noch im Krankenhaus-Fahrstuhl bemerkt der Schriftsteller, zunächst erschrocken, dass er bereits über Formulierungen nachdenkt. Zu Charlotte sagt er: „Ich habe immerzu diese Literaturstimme im Ohr, die beschreibt, was passiert, es ist wie ein Radio hinter der Schläfe, das quasselt und schwatzt, als wäre das hier Recherche, als wäre das hier für einen Text, aber das ist kein Text, das ist wirklich. Das ist echt, das ist unser kleiner Sohn, der tot ist (…).“ Doch Charlotte spricht ihm zu: „Natürlich schreibst du über Gustav, bist du verrückt, natürlich schreibst du über ihn.“

Also schreibt er über den Tod, den Schmerz und die Liebe, um Halt zu finden und die Erinnerung zu bewahren. Nicht zuletzt tut er es, um die Trauer aus der öffentlichen Tabuzone zu holen. Dabei wirft er einen kritischen Blick auf Romane von Kolleginnen, in denen der Tod eines Kindes nur ein „Versatzstück“ im Plot sei, wie er meint, also nicht im Zentrum stehe.

Yannic Han Biao Federer und seine Freundin Charlotte stehen vor einem Steg aufs offene Meer.

Eine Reise als Trauerarbeit: Yannic Han Biao Federer und seine Freundin Charlotte

Das Nachdenken über das Schreiben ist dem Text vielfach eingewoben. Der Hinweis, dass das Paar einst ausgerechnet auf einem Friedhof über den rechten Zeitpunkt fürs Kinderkriegen gesprochen hat, veranlasst den Autor zu einem Kommentar: „Das ist jetzt etwas viel, ich weiß, und müsste ich es erfinden, ich erfände es anders, aber so ist es passiert, so ist es geschehen.“ Von solchen Momenten, in denen sich die Realitätsstränge auf merkwürdige Weise kreuzen, gibt es einige. So beginnt das Buch mit der Vorbereitung für eine Hausparty, auf die im zweiten Absatz ein körperlicher Schmerz folgt, der anzeigt: „etwas stimmt nicht“.

Keine Buchseite, die nicht berührt. Weil man während der Lektüre nach Trost lechzt, als wäre man selbst betroffen, ist jeder Zuspruch willkommen, der erwähnt wird. Tatsächlich ist das Netz, das die Verwandten und die Freunde spannen, dicht und stark. Doch geht der Zusammenhalt weit über diesen engen Kreis hinaus. Fast alle, die mit diesem Schicksalsschlag in Berührung kommen, zeigen große Empathie – das medizinische Personal, das berufliche Umfeld, das Energie-Unternehmen, die Zufallsbekanntschaften in der Stadt oder in der Fremde. Nur die Behördengänge sind in dieser Ausnahmesituation in erhöhtem Maße quälend.

Yannic Han Biao Federer findet einen warmen Ton für den Alptraum

Yannic Han Biao Federer findet einen warmen Ton für den Alptraum, den er und Charlotte erleben. Den geschmeidigen Rhythmus unterbricht er immer wieder mit Telefongesprächen und Chatverläufen. Durchaus suggestiv ist die dabei verwendete Anapher – dieses wiederkehrende „Ich sage“ oder „Charlotte schreibt“. Die Schilderungen in chronologischer Folge sind klar und kraftvoll, die Beobachtungen genau. Selbst die Szenen am Rande leuchten.

Das Paar sucht auch den metaphysischen Beistand, findet ihn offenbar in Buddhismus und Christentum. Schließlich begibt es sich auf eine Reise, auf der die Zeichen immerzu auf Gustav verweisen – seien es die Kindersarkophage in den Vatikanischen Museen oder sei es der Straßenmusikant, der „Tears in Heaven“ spielt, den Song, den Eric Clapton auf den Tod seines Sohnes geschrieben hat.

Während Yannic Han Biao Federer an diesem Buch schreibt, prüft er immer wieder, „wie es klingt, ob es stimmt, ob es schön ist“. Denn darauf komme es an. Es müsse schön sein, das Buch, weil es „wie Grabpflege“ sei. Ja, das lässt sich so sagen: „Für immer seh ich dich wieder“ ist traurig, aber auch tröstend und somit geradezu tragisch-schön.


Lesungen mit Yannic Han Biao Federer gibt es u.a. am 15. Mai im Literaturhaus Köln (Moderation: Emily Grunert), am 28. Mai im Haus der Bildung in Bonn (Moderation: Anne Burgmer) und am 10. Juli in der Stadtbibliothek Köln (Moderation: Jana Forkel).

Yannic Han Biao Federer: „Für immer seh ich dich wieder“, Suhrkamp, 188 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.