Mit der Ausstellung „Kids Take Over“ von Francis Alÿs möchte das Kölner Museum Ludwig zum Kindermuseum werden. Keine schlechte Idee.
„Kids Take Over“Das Museum als Schulhof zur besten Pausenzeit

Das Video „Children’s Game #7 Stick and Wheels“ von Francis Alÿs ist im Kölner Museum Ludwig zu sehen.
Copyright: Francis Alÿs
Museen sind keine Spielplätze, weshalb man dort weder etwas anfassen noch toben, schreien oder, Gott bewahre, laut lachen darf. Stattdessen ist hier vor allem andächtiges Staunen angesagt – das Eintrittsgeld garantiert ein stilles Glück. Darin unterscheiden sich auch die heiligen Hallen der modernen Kunst kaum von gotischen Kathedralen.
Allein das Kölner Museum Ludwig am Dom klingt jetzt wie ein Schulhof zur besten Pausenzeit. Es lärmt, es kreischt und platzt vor Energie aus den Betonnähten. Überall spielen Kinder, so laut, wild und scheinbar unbeobachtet, wie es die Aufsicht sonst gerade nicht erlaubt. Allerdings nur auf den Videobildschirmen, die wie Teile eines Spiegelkabinetts im Ausstellungssaal hängen. Auf ihnen laufen 30 Filme aus der „Children’s Games“-Serie des belgischen Künstlers Francis Alÿs, die dieser in den letzten 25 Jahren in aller Herren Länder aufgenommen hat.
Die „Children’s Games“ gehören zu den Publikumslieblingen der globalen Kunstwelt, seitdem sie 2022 auf der Biennale von Venedig noch dem griesgrämigsten Kunstkritiker ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Sie zeigen Kinder, die Himmel-und-Hölle oder Schnick-Schnack-Schnuck spielen, Seil springen, Gummi-Twist tanzen, sich selbst schwindelig drehen, einen Reifen rollen, Sirenentöne nachahmen oder auf Rollbrettern eine abschüssige Straße hinunterjagen. Es ist ein herrliches Chaos, und die Lautsprecher sind ordentlich aufgedreht. Das Lachen und Schreien der Kinder verbindet sich zu einer Symphonie des unbeschwerten Glücks. Oder der Hoffnung. Denn das Spiel ist nicht selten einer kinderfeindlichen Umwelt abgetrotzt.
Francis Alÿs interessiert sich nicht für Kita-Idyllen
Das erste, 1999 in Mexiko entstandene Video zeigt einen Jungen, der in Sisyphus-Manier eine leere Plastikflasche eine triste Straße hinaufschießt. 22 Jahre später filmte Alÿs’ Team einen kongolesischen Knaben, der einen Autoreifen die Abraumhalde einer Kobaltmine hinaufrollt – und dann als Passagier des Reifens den Berg wieder hinabsaust. Ukrainische Kinder ahmen den Klang von Luftalarmsirenen nach oder jagen mit Holzgewehren russische Spione. In Mossul spielen Jungs Fußball ohne Ball, weil das Spielen mit Ball unter dem Islamischen Staat verboten war.
Alÿs interessiert sich nicht für Kita-Idyllen, auch wenn er behütete dänische oder Schweizer Kinder zeigt. Er will die Welt des kindlichen Spiels als Utopie feiern, in der die Welt der Erwachsenen nicht existiert. Das ist schon deswegen ein paradoxes Unterfangen, weil die „Children’s Games“-Filme von Erwachsenen (vor allem) für Erwachsene sind – zumal, wenn sie in Museen laufen. Gestellt sind sie ohnehin. Die Kinder spielen für die Kamera nach, was sie sonst tun. Die Kunst der Videos liegt darin, dass die Darsteller vergessen, dass sie gefilmt werden und scheinbar vollends im Spiel aufgehen.

Francis Alÿs steht vor Videoleinwänden in seiner Kölner Ausstellung „Kids take over“
Copyright: Oliver Berg/dpa
Aber das Museum Ludwig will mit seiner Ausstellung nicht (oder nicht nur) die Kunstwelt mit einem Blockbuster bedienen. Im Titel „Kids Take Over“ klingt es an: Es will sich, ganz im Einklang mit Alÿs, für Kinder öffnen; sie sollen von den Bildschirmen in die Wirklichkeit springen und das Museum übernehmen. Dafür hat das Ludwig mit den Klassen 3b der Gemeinschaftsgrundschule Köln-Lindweiler und der 6a/b der Adolph-Kolping-Hauptschule in Köln-Kalk an einem „Kindermuseum“ gearbeitet, das auf das Vorspiel der „Children’s Games“ folgt.
Im großen DC-Saal durften sich die 50 Mädchen und Jungen dann tatsächlich ein wenig austoben – oder jedenfalls für das „Kindermuseum“ per demokratischer Sticker-Wahl ihre Lieblingsstücke aus der Ludwig-Sammlung küren. Die Auswahl macht Spaß, ist aber nicht gerade überraschend. Es gibt einen Streichelzoo mit Tierplastiken (und einem Plüschmonster von A.R. Penck), viel Buntes und Poppiges, Kinderporträts, einen riesigen Katzen-Comic von Michel Majerus, und ein auf den Boden geklebtes Viereck, in dem man mit dem eigenen Körper einen Jackson Pollock nachmalen kann. Gemälde haben Sprechblasen, die Künstler durchweg nur Vornamen. Peter (Fischli) und David (Weiss) lassen eine Katze Milch aus einer Schüssel schlecken. Und wer in der Sammlungspräsentation Christa Dichgans’ grandiose „Grüne Enten/Kakadus“ (1969) verpasst hatte, wird jetzt endlich mit der Nase auf diese lange vergessene Pop-Malerin gestoßen.
Man glaubt dem „Kindermuseum“ anzusehen, dass seine Kuratoren Spaß hatten
Man glaubt dem „Kindermuseum“ anzusehen, dass seine Kuratoren Spaß hatten und die verlorene Unterrichtszeit gut angelegt war. Übernommen haben die Kinder den Laden deswegen aber natürlich nicht – die Spielwiesen im DC-Saal sind dezent, aber deutlich genug markiert. Es gibt eine kleine Arena, in der man mit Bindfäden Bilder auf Steckwände ziehen kann, zwei Orangen liegen zum Auf-dem-Kopf-Balancieren bereit; im Vorraum kann man ein (kopiertes) Wimmelbild von Breughel puzzeln. Allzu wildes Herumrennen dürfte weiterhin verboten sein.
Sehr hübsch ist die Bildergalerie, für die sämtliche Schülerinnen und Schüler ihre Fotoporträts im expressionistischen Gabriele-Münter-Stil bemalt haben. Sie leitet die Besucher in die „Freie Spielzone“, in der sie einen Malen-nach-Zahlen-Warhol zu Ende malen oder sich verkleiden können. Alÿs hat diese Räume überaus gerne den Kindern überlassen, sagt er. Sein 50. „Children’s Game“ hat er kürzlich in Chorweiler gedreht. Ab Juni soll es in der Kölner Ausstellung zu sehen sein.
Läuft es wie erhofft, sieht man die Kunst in „Kids take over“ bald vor lauter Kindern nicht mehr. Hinterher dürfen sie ihre Lehrer und Eltern in einem etwas abseits gelegenen Raritätenkabinett abholen. Dort zeigt Alÿs erstmals seine Vorzeichnungen zu den „Children’s Games“ und zarte Ölbilder im Postkartenformat. Hier wird einem schon wieder andächtig zumute. Auch das stille Glück hat im Kindermuseum seinen Platz.
„Francis Alÿs – Kids Take Over“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 12. April – 3. August 2025. Eröffnung: Freitag, 11. April 2025, 19 Uhr.