Bilderbuch, immer noch Österreichs beste Band, spielten im Palladium. Unsere Kritik.
Konzert in KölnBilderbuch-Sänger ätzt gegen die Fitnessmesse

Maurice Ernst, Sänger der Wiener Band Bilderbuch, zieht im Palladium blank.
Copyright: Martina Goyert
In Köln, conférenciert Maurice Ernst, gehe es ja derzeit mit der Fitnessmesse drunter und drüber. Und fügt nach einer Kunstpause hinzu: „Scheiß auf die Fitnessmesse! Wer kennt das nicht, Leute zu verlieren an diese Selbstoptimierung? Wer hier hasst Smartwatches so wie ich?“ Jubel im Palladium. Und zum Dank ein weises Wort des Bilderbuch-Sängers: „Jeder ist schon gut so, wie er ist.“
Je mehr Konzerte man besucht, desto größer die Freude über Ansagen, die den Bereich des generischen „Was geht ab?“ verlassen und der charmante Ernst beherrscht die Kunst der persönlichen Ansprache an die Allgemeinheit perfekt: „Köln, fühlst du das Stechen in der Hüfte? Dann sag: Aua!“
„Jeder ist schon gut so, wie er ist“, sagt Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst
„Halt die Luft an, hör auf zu hecheln“, hatte er ein unbekanntes Gegenüber gleich im ersten Song der Show, „Softpower“, angefahren und Bilderbuchs Wunder-Gitarrero Michael Krammer hatte die Botschaft mit einem herrlich übersteuerten Monsterriff in sämtliche Köpfe geblasen, während der Sänger mit seinem Freddy-Mercury-Gedächtnis-Mikrofonständer über die Bühne wirbelte.
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Auf ihrer aktuellen EP – ebenfalls „Softpower“ betitelt – leben die vier Wiener – fürs Konzert um einen Keyboarder ergänzt – offensichtlich ihre Hawkwind-Phase aus. So nämlich halten sich Bilderbuch fit, mit musikalischem Hakenschlagen. Wer hätte schon mit einer englischen Space-Rock-Band der 70er Jahre als Referenzgröße gerechnet?

Bilderbuch spielten eindreiviertel Stunden in Köln.
Copyright: Martina Goyert
Das psychedelische Gedröhne hebt in der Mitte des Kölner Sets zum Höhepunkt ab, in der schier endlos langen kosmischen Coda zum gründlich verrätselten Song „Aber Airbags“. Auf den konkav um die Musiker angeordneten LED-Wänden überschlagen sich Autos in Zeitlupe auf nächtlichen Straßen, die Gitarre deutet den Refrain von Bowies „Heroes“ an, Philipp Scheibl trommelt sich die Seele aus dem Leib, aus dem Keyboard tönt eine Weltraumschlacht, dann endlich geht der Beat motorisch nach vorne und man fragt sich kurz, ob man sich nicht doch auf ein Geheimkonzert der australischen Psych-Rock-Wiederbeleber King Gizzard & the Lizard Wizard-Konzert verirrt hat.
Aber dann gibt es als Belohnung fürs Ausharren und zum größtmöglichen Kontrast den Überhit „Maschin“, an dem man sich auch nach zwölf Jahren noch nicht sattgehört hat. Bis dahin hatte die ehemalige Schülerband aus dem oberösterreichischen Kremsmünster nur zwei wohlwollend von der Kritik aufgenommene, ansonsten jedoch eher wenig beachtete Indie-Rock-Alben veröffentlicht. Plötzlich hatten sie den heißesten Sound der Stunde gefunden, eine schaumige Melange aus Prince und P-Funk, aus Falco und Kanye West – der damals noch nicht toxisch war, so lange ist das schon her.
Bilderbuch hätten weitermachen können wie Wanda, stattdessen erfanden sie sich neu
Und während ein Popstar-blonder Maurice Ernst einer hypothetischen Schönen lasziv befahl „steig jetzt in mein Auto ein“, ließ er dabei lustig die Augenbrauen hüpfen und prahlte mit den „sieben Türen, 70 PS“ seines Boliden, um noch einmal zu unterstreichen, dass er a) keine Ahnung von Autos hat und b) ihren Gebrauch für eine potenzielle Todsünde hält. Das folgende Album „Schick Schock“ löste die Verheißung von „Maschin“ locker ein, so souverän tanzbar, so sexy, so international und dabei doch voller schlitzohrigem Schmäh, sehr schön etwa im gelallten Refrain ihres zweitgrößten Hits „Bungalow“: „Hab' keine Power in mein Akku/ Baby, leih mir deinen Lader/ Ich brauch' mehr Strom“, der im Palladium eifrig mitgesungen wird.
Kurz: Bilderbuch hätten ewig so weitermachen können, die zur gleichen Zeit bekannt gewordenen Wiener Kollegen von Wanda machen es ja auch, ohne dass sie deshalb kleinere Hallen buchen müssten. Stattdessen folgte das Quartett konsequent allein der eigenen Nase, blonde Haare wurden schwarz gefärbt, die zickige Funkyness wieder zurückgefahren. Man verlor sich in introvertierten Studioexperimenten, erfand sich auf dem unterschätzen Album „Gelb ist das Feld“ noch einmal neu als schwärmerisch-naive Indie-Pop-Band.

Maurice Ernst im Palladium
Copyright: Martina Goyert
Wenn Bilderbuch im Zugabenteil des Kölner Konzerts auf das sparsam muskulöse „Willkommen im Dschungel“ die butterweichgespülte, dicht instrumentierte Urlaubssex-Hymne „Nahuel Huapi“ folgen lässt, glaubt man, zwei völlig unterschiedliche Formationen zu hören. Noch eindrucksvoller ist es, wenn das im selben Song passiert: „Baba“ ist eine Rückschau auf längst vergangene Nächte mit einer gewissen Monika im flockigen Reggae-Rhythmus – bis Michael Krammer seinen inneren Brian May mit einem bombastisch-geilen Gitarrenzwischenspiel channelt.
Dass der Band auf ihren Wegen und Umwegen einige Fans abhandengekommen sind, weiß sie selbst. Aber sie weiß auch, dass sie schon gut so ist, wie sie ist. Dass es auch völlig okay ist, wenn Krammer zum Finale der Show breitbeinig auf den Subwooferboxen posiert und sich ein masturbatorisches Saitensolo gönnt, das man eher in die Einzelkabine eines Musicstores verbannen möchte.
Dass es hier schon lange nicht mehr um Teenagerträume, sondern um ein Lebensprojekt geht, um eine Wette, wie lange man mit denselben Freunden immer neue Lösungen finden und wie oft man sich dabei selbst überraschen kann: Die Band, wundert sich Maurice Ernst auf der Kölner Bühne, feiere dieses Jahr wirklich bereits ihr 20-jähriges Bestehen.
Da mag er sich immer noch kleiden wie ein bunter Hund – mit rosa „Chupa Chups“-Leibchen oder gleich oberkörperfrei, mit fingerlosen Handschuhen aus Silberpailletten, mit Handschellen und Plüschapplikationen die am Gürtel baumeln – er und seine Bandkollegen haben die Mitte 30 überschritten und müssen nun verwundert feststellen, dass, so Maurice Ernst, „da draußen eigentlich alles viel wahnsinniger ist, als das, was wir hier drinnen machen“.