Team Scheisse, Deutschlands derzeit beste Punkband, füllt das Kölner Palladium. Unsere Kritik.
Team Scheisse in KölnDarf eine Punkband so erfolgreich sein?

Team-Scheisse-Sänger Timo Warkus
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In „England's Dreaming“, seinem Standardwerk zur Punk-Explosion des Jahres 1976, zitiert Jon Savage den russischen Ur-Anarchisten Michail Bakunin: „Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust.“ Timo Warkus, der, nun ja, Sänger der Bremer Punkband Team Scheisse, gewinnt seine kreativen Impulse eher aus dem für jedermensch nachvollziehbaren Alltagsfrust im Spätkapitalismus: „Ich hab' noch nicht ma' 'n Kaffee gehabt/Und bin schon abgefuckt“, grölt Warkus. Seine dritteltätowierte Stirn leuchtet dazu zornesrot. „Was dieser Tag wohl bringt/Wenn er jetzt schon stinkt?“
Der arg naheliegende Reim dient nur dazu, der nachfolgenden Parole den Steigbügel zu halten: „Alle meine Finger sind Mittelfinger/Alle zehn Fingеr Mittelfinger.“ Die fröhlich rempelnde Menge im Palladium skandiert den Refrain begeistert mit, hält die Hände in die Höhe, wenn auch nur mit zwei ausgestreckten Mittelfingern.
Angefangen hatte Team Scheisse all launiges Nebenprojekt
Gut fühlt sich das an. Und doch bieten Team Scheisse eine ganze Menge mehr, als nur ein Ventil für aufgestaute Aggressionen. Ihre Härte ist zärtlich, ihre Zärtlichkeit ein schneidendes Schwert. „Ich bin ein fucking Schmetterling/Flatter, flatter, flap, flap“, heißt es in ihrem bekanntesten Song, sie spielen ihn am Mittwochabend gleich zweimal. „Du willst Stress mit mir?/Mit 'nem Schmetterling?/Bist Du scheiße im Kopf?“, droht Warkus zu – und zum ersten Mal freut man sich darüber, dass das deutsche Wort für die fragilen Falter – „fantastisch, wunderschön und bunt“ – eher an einen Schwergewichtsboxer erinnert.
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Angefangen hat Team Scheisse als launiges Nebenprojekt aller Beteiligten, als Spaßcombo der linksalternativen Szene. Bis das erfolgreiche Produzententeam Kitschkrieg und der Rapper Trettmann die Bremer für ihr gemeinsames Label Soulforce Records verpflichteten, als einsam schrammelnde Punker inmitten schicker Hip-Hop- und Dancehall-Sounds. Auch das war vielleicht nur eine Bierlaune, aber für Team Scheisse bedeutete es den Durchbruch, den man eigentlich nie angestrebt hatte: Top-Ten-Plätze in den Charts, Auftritte beim Bremer Landsmann Jan Böhmermann, ausverkaufte Hallen.
In die trägt die Band nun nicht nur ihre aufs Wesentliche abgespeckte Abfahrtsmusik, sondern auch ihr linkes, antisexistisches Ethos. Ein Leben im inneren Widerspruch ist da vorprogrammiert. Wie sich das anfühlt, konnte sich Team Scheisse bereits im Vorprogramm der Toten Hosen angucken. Noch hat es die Situation erstaunlich gut im Griff.
Als die ersten Plastikbecher fliegen, ermahnt Bassist Thomas Tegethoff die Fans, doch lieber das Pfandgeld zu spenden. Dann bittet er die Frauen (und Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen) im Publikum zum Flinta-Flitzer, einem männer- und angstfreien Moshpit: „Ihr Cis-Dudes könnt ja dafür sorgen, dass das Ding für zwei Songs stabil bleibt.“ So lüftet das Team den unangenehmen Beigeschmack von Testosteron und schalem Bier, der Punk von Anfang an begleitet hat – am Ende ist nichts mehr Punk, als alte Punkgewissheiten zu zerstören.
Sehr schön auch, wenn sich die Band in ihrer aktuellen Single „Erwachsencosplay“ in Metal-Gefilde vorwagt, Timo Warkus das schwere Intro-Riff aber mit einem stimmlosen „Nmnmhm“ begleitet. Das klingt, als hätte man einem Muppet das Klappmaul zugenäht, herrlich unrockig jedenfalls. Dass sie bereit sind, auch selbst Opfer zu bringen, haben die Teammitglieder zuletzt bewiesen, als sie ihren äußerst beliebten Instagram-Kanal abschalteten, nachdem sich Mark Zuckerberg bei Trump angedient hatte. Ein innerer Widerspruch, schon vor dem ersten Abfuck-Kaffee beseitigt.