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Musikfestival Monheim TriennaleMehr als herausragende Weltmusik

Lesezeit 6 Minuten
Shannon Barnett beim Posaune-Spiel im Film „Every Note You Play“,

Die Posaunistin Shannon Barnett beim Spiel im Dokumentarfilm "Every Note You Play"

Der Dokumentarfilm „Every Note You Play” fängt das Besondere der zweiten Triennale Monheim ein, wo kreative Ungewissheit zum tragenden Fundament wird.

Der finnische Filmemacher Mika Kaurismäki ist nur schwer auszurechnen. Nach Lust und Laune scheint der bald 70-jährige Bruder von Aki Kaurismäki vom Spiel- zu Dokumentarfilm zu wechseln, mal melancholisch bis trübsinnig, mal warmherzig bis komödiantisch. Fast immer aber ist Kaurismäki ein Reisender, interessiert an fremden Kulturen, anderen Denk- und Lebensweisen – und: an Musik. In „Mama Africa“ (2011) erzählte er von Miriam Makeba, in „Sonic Mirror“ (2008) begleitete er den Jazz-Schlagzeuger Billy Cobham, in „Brasileirinho“ (2005) und „Moro no Brasil“ (2002) faszinierte ihn die Vielfalt der brasilianischen Musik.

Der Film „Every Note You Play“ entstand binnen weniger Tage

Insofern war es konsequent, Mika Kaurismäki mit der Herstellung eines Dokumentarfilms zu betrauen, der vehement die verbindende Energie weltweit musizierender Menschen beschwört. „Every Note You Play“ entstand binnen weniger Tage in Monheim am Rhein, als im letztjährigen Sommer 16 Musizierende aus aller Welt zum „Prequel“, der ersten Etappe der Monheim Triennale II, zusammenkamen. Sie lernten sich kennen, improvisierten spontan miteinander, entwickelten Konzepte, aus denen ein Experiment von außergewöhnlicher, künstlerischer Strahlkraft erwuchs. In Monheim vernetzen sich genre- und stilübergreifende Positionen in der Gegenwartsmusik und hinterlassen nachhaltig Spuren.

Dass sich Reiner Michalke, Intendant der Monheim Triennale, Kaurismäki als filmenden Chronisten gewünscht hatte, erwies sich als Glücksfall. So aufmerksam wie entspannt beobachtet der Regisseur das musikalische Geschehen, fängt Statements der Musizierenden ein, begleitet sie dicht bei Auftritten, aber auch bei Begegnungen mit Menschen in der Stadt. So entstand dank der klugen Montage ein höchst vitaler Musikfilm, der die vielen Facetten des Projekts Monheim zum Leuchten bringt.

Kaurismäki: Ein Glücksfall für Monheim

Eine Woche nach Kinostart von „Every Note You Play“ beginnt in Monheim „The Festival“, der finale Abschnitt und künstlerische Höhepunkt im dreiteiligen Veranstaltungszyklus. Dafür kehren die 16 Musizierenden der Prequel-Phase als Signature Artists an den Rhein zurück: Oren Ambarchi, Shannon Barnett, Peni Candra Rini, Brìghde Chaimbeul, Anushka Chkheidze, Peter Evans, Heiner Goebbels, Shahzad Ismaily, Selendis S.A. Johnson, Darius Jones, yuniya edi kwon, Muqata’a, Rojin Sharafi, Terre Thaemlitz, Julia Úlehla und Ludwig Wandinger. Auch wem diese Namen (noch) nichts sagen, kann erahnen: Die Welt ist tatsächlich zu Gast in Monheim.

Die australische Posaunistin Shannon Barnett, die seit 2014 in Köln lebt, sammelte während der Prequel-Phase ebenfalls Ideen und Inspirationen. Kaurismäkis Film sah sie erstmals bei der Vorpremiere im Kölner Filmhaus, anfangs ein wenig aufgeregt, am Ende aber einhellig begeistert: „Es vermittelt sich viel von den Begegnungen und der Musik, auf jeden Fall. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Während der Dreharbeiten bekamen wir nicht allzu viele Infos, was mich ein bisschen nervös machte, weil ich gerne weiß, was der Plan ist. Auch kannte ich zuvor nur wenige der Musikerinnen und Musiker, aber es war fantastisch, sich in dieser nicht-großstädtischen Atmosphäre kennenzulernen. Wir waren alle im selben Hotel, konnten uns näherkommen, spielten und improvisierten an ungewöhnlichen Orten. Das war etwas Besonderes.“

Singend auf der Suche nach sich selbst

Im Rahmen des Festivals präsentiert die Monheim Triennale II nun auch die Weltpremiere von Shannon Barnetts jüngstem Projekt, das ihre Qualitäten als Singer-Songwriter ins Zentrum rückt und sie mit den kammermusikalischen Möglichkeiten des Kölner EOS Chamber Orchestra verknüpft. „Die Idee dazu hatte Hendrika Entzian, weil sie meine Musik für EOS neu arrangieren wollte. Fast zeitgleich fragte Reiner Michalke bei mir an, sodass es sich ergab, alle Aspekte in meinem Signature-Projekt zu vereinen.“ Ausgangspunkt dafür ist Shannon Barnetts jüngstes Album „How Much Is The Moon“, für das sie im Verlauf mehrerer Jahre acht Stücke komponierte: sanfte, intime und sehr persönliche Songs, in denen sie sich singend auf die Suche nach sich selbst macht: „Hier kulminieren etliche Gedanken der letzten Jahre, aber auch Bekanntschaften und Freundschaften, Beziehungen; dazu gesellt sich die nachgerade existenzielle Frage, was überhaupt ‚Zuhause sein‘ bedeutet.“

Die in Melbourne eingespielten Songs führt Shannon Barnett in Monheim mit James Gilligan, David Helm, Jan Philipp und Stephan Vester auf. Den neuen, orchestralen Ansatz sieht sie nicht als Widerspruch, vielmehr als willkommene Erweiterung: „Es gibt Freiräume für Improvisationen sowohl für einzelne Instrumente als auch für die Gruppe. Hendrika Entzian hatte mich im Vorfeld nach klanglichen Anregungen gefragt, und ich hatte ihr ‚Skies of America‘ von Ornette Coleman und dem London Symphony Orchestra genannt. Auch hier musizieren die Orchestermitglieder nie ausschließlich begleitend. Ich wollte unbedingt diese Lebendigkeit, die eintritt, wenn einzelne Musiker ihre eigenen Entscheidungen treffen.“

Ich wollte unbedingt diese Lebendigkeit, die eintritt, wenn einzelne Musiker ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Shannon Barnett

Dass die weltweit gefragte Jazz-Musikerin zudem Professorin an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz im Fach „Posaune Jazz“ ist, kommt ihr in Monheim bei einem weiteren Projekt zugute: In der Peter Ustinov Gesamtschule werden die Klassen des fünften und sechsten Jahrgangs als „Bläserklassen“ geführt, in denen alle Kinder auch gemeinsam als Ensemble musizieren. Shannon Barnett: „Dafür habe ich mit den Leitern Richard Brenner und Achim Tang zwei New-Orleans-Stücke ausgesucht. Sie gemeinsam mit den Kindern zu entwickeln, macht richtig Spaß. Und dazwischen lernen sie auch noch ein wenig über freies Improvisieren.“

Spätestens hier wird deutlich, dass es bei der Monheim Triennale um mehr geht als „nur“ um die Präsentation herausragender (Welt-)Musik. Auch der Film „Every Note You Play“ verdeutlicht dies: Die Idee des ambitionierten Monheim-Projekts fußt unter anderem auf der Einsicht, dass Musik und Musikvermittlung eine qualitativ hochwertige Daseinsvorsorge innerhalb einer funktionierenden Kommune sind. Dafür kann und darf es nicht allzu festgefügte Regeln geben, sodass sich vertrauensvolle Umgangsformen entwickeln. Im Film bringt dies der amerikanische Trompeter Peter Evans auf den Punkt, auch wenn er weniger kulturpolitisch als musikalisch seine Konzeption erläutert: „Es gibt darin viele festgelegte Elemente. Doch dann gibt es diesen weiten Ozean der Ungewissheit, in dem man sich zurechtfinden muss. Bis wir später alle zusammenfinden.“ In Monheim gibt es keinen Ozean, immerhin aber einen Fluss, auf dem die kreative Ungewissheit zum tragenden Fundament wird.


Das internationale Musikfestival Monheim Triennale zwischen Köln und Düsseldorf fand im Sommer 2022 zum statt und kehrt nun in einem dreijährigen Turnus wieder. Nach dem Prequel 2024 findet vom 2. bis 6. Juli das große Festival als Höhepunkt und Abschluss der Monheim Triennale II statt.

Konzerte mit Shannon Barnett: Konzert der Bläserklasse, 2.7., 18 Uhr, Sojus 7 Monheim / Mit dem EOS Chamber Orchestra: How Much is the Moon? 5.7, 19 Uhr, Festivalschiff Monheim. Ihr Album „How High is the Moon“ gibt es digital bei Bandcamp.

Every Note You Play, Film von Mika Kaurismäki, ab 26.6. im Kino