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Verleihung des Jazzpreises in KölnWeltreise zwischen Tradition und Moderne

Lesezeit 4 Minuten
Philo Tsoungui, Preisträgerin in der Kategrie „Schlagzeug / Perkussion“ bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises.

Philo Tsoungui, Preisträgerin in der Kategrie „Schlagzeug / Perkussion“ bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises. 

Divers, bunt, engagiert, musikalisch überragend: Der Deutsche Jazzpreis wurde im Kölner E-Werk vergeben.

Für Musikerinnen und Musiker aus Köln war die fünfte Verleihung des Deutschen Jazzpreises im Kölner E-Werk kein Heimspiel: In einer der 22 Kategorien gingen nahezu alle Nominierten in diesem Jahr leer aus. Eine Ausnahme war der Trompeter Matthias Schriefl, der bereits 2023 den begehrten Preis in der Kategorie Blechblasinstrumente gewonnen hatte und nun gemeinsam mit der hr-Bigband für das Projekt „Allgäu meets India” als Rundfunkproduktion des Jahres geehrt wurde.

Tatsächlich zeugt „Allgäu meets India” einmal mehr von Schriefls außergewöhnlicher Gestaltungskunst. Stile und Formen, Einschübe und Zitate verbinden sich zum brodelnden Mix aus Improvisationen, alpiner Folklore und indischen Klangfarben. Womit Schriefl im Trend des Abends lag: Die Preisvergabe präsentierte sich als Weltreise entlang den vielen Spielarten des Jazz zwischen Tradition und Moderne, (re-)präsentiert von mitreißenden Temperamenten, viele von ihnen mit musikalischen Wurzeln in der afrikanischen Diaspora zwischen New York und Berlin. Entsprechend international, weltoffen, divers, bunt und engagiert gab sich der diesjährige Deutsche Jazzpreis. Nicht zu überhören war seine Einladung zu mehr Mut und Empowerment angesichts sich dramatisch ändernder Zeiten, in denen viele Menschen mit ihren Lebensgeschichten, Kulturen und Mythen ausgegrenzt werden.

Eva Klesse bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises 2025 in der Kategorie „Künstler:in des Jahres“.

Eva Klesse bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises 2025 in der Kategorie „Künstler:in des Jahres“.

Deutlich positionierte sich der Deutsche Jazzpreis als Versuch einer Selbstverortung, nicht zuletzt, um resilienter zu werden gegenüber verändertem, gesellschaftspolitischem Denken, aber auch gegenüber den in allen Kulturbereichen einsetzenden Mittelkürzungen. Immer wieder klang im Verlauf des Abends die Sorge um die Zukunft einer freien und frei denkenden Jazz-Szene an. Die Initiatorinnen des „Peng Festivals“ in Essen, geehrt als Festival des Jahres, verbanden ihr Freude darüber, dass ihr Engagement für benachteiligte Frauen im Jazz Anerkennung fand, mit einer Warnung vor knapper werdenden Ressourcen. Während sie spielerisch dazu aufriefen, den Kapitalismus kreativ zu überwinden, verdichtete das Berliner Künstlerkollektiv Sonic Interventions (Newcomer des Jahres) seinen fulminanten Live-Auftritt zur politischen Performance. Mit verbundenen Augen und zugeklebten Mündern betrat die diaspora-futuristische Band die Bühne, um sich ihre vermeintlich bedrohte Rede- und Meinungsfreiheit dann doch nicht nehmen zu lassen. Ihr rhythmisch drängender Auftritt gipfelte in der Frage, wie viele Genozide man denn noch hinnehmen wolle, bevor die Revolution ausbricht.

Politiker aus dem Bereich Kultur hielten sich da zurück, glänzten teils eher durch Abwesenheit. Wolfram Weimer, als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Hauptförderer des Deutschen Jazzpreises, teilte über eine Pressemitteilung lediglich mit, dass Jazz „in Deutschland ein wichtiger Teil des Musiklebens“ sei. „Wir zeigen mit dem Deutschen Jazzpreis zugleich auch, wie lebendig, spannend und vielseitig die Jazz-Szene ist.“ Konkreter äußerte sich die Kölner Bürgermeisterin Brigitta von Bülow (Grüne) in ihrer live vor Ort gehaltenen Rede. Eine lebendige Jazzszene, betonte sie, sei kein Naturgesetz, und wenn man in Nordrhein-Westfalen jeden Abend in ein gutes Jazzkonzert gehen könne, sei dies keine Selbstverständlichkeit, vielmehr das Resultat unzähliger, mutiger Entscheidungen. von Bülow: „Jazz ist kein Add-On für die Lebensqualität. Jazz ist Lebensqualität.“

Jazz ist kein Add-On für die Lebensqualität. Jazz ist Lebensqualität
Brigitta von Bülow (Kölner Bürgermeisterin, Grüne)

Zur Lebensqualität gehört auch, dass sich Jazz-Musizierende immer wieder öffnen, um an ihren inneren Klangreisen teilhaben zu lassen. Das war an diesem Abend nicht anders. Während Pianist Nduduzo Makhathini aus Südafrika (ausgezeichnet als Live Act des Jahres international) mit seiner Ehefrau, der Sängerin Omagugu Makhathini, in seinem hingebungsvoll schönen Live-Auftritt kulturelle Gegensätze miteinander aussöhnte, erinnerte sich Philo Tsoungui (Preis in der Kategorie Schlagzeug/Perkussion) an ihre eher schrittweise gewachsene Widerstandskraft. Ihr dichtes, perkussiv-elektrisches Duett mit Ludwig Wandinger begann sie spontan damit, dass sie auf ihrer Preisskulptur trommelte und sie kurzerhand zum Resonanzkörper machte.

Zuallererst steht der Deutsche Jazzpreis für herausragende Jazzmusik und traf dafür mit den Auszeichnungen viele richtige Entscheidungen. Eva Klesse, geehrt als Künstler:in des Jahres, dürften viele eher nicht auf dem Schirm gehabt haben, und doch steht die brillante Schlagzeugerin für eine zukunftsgewandte Jazzmusik, die subtile Klanggespinste mit gedanklicher Tiefe verbindet. Hochverdient auch die Ehrung der Saxofonistin Ingrid Laubrock (Kategorie Holzblasinstrumente), die mit ihrer technischen wie klangsprachlichen Virtuosität in ihrer Zweitheimat New York längst überschwänglich gefeiert wird. Ein ganz anderes Fenster öffnete der Deutsche Jazzpreis mit der Auszeichnung der Sängerin Uschi Brüning für ihr Lebenswerk. Brünings spannendes Leben als Musikerin erzählt seine eigene Ost-West-Geschichte – und passt am Ende doch wunderbar zu den vielen Jazzgeschichten, die an diesem Abend erzählt wurden.

Wer Uschi Brüning (noch) nicht kennen sollte, dem mangelt es womöglich ein wenig an Jazzbildung, wie wir die in unterschiedlicher Abstufung ja alle kennen. Da kommt die neue Kategorie Musikvermittlung und Teilhabe gerade recht, die neue Wege zum Jazz auszeichnen will. Dass zur Premiere die Jazzpilot*innen bedacht wurden, ist ein gutes Signal: Die Initiative der Deutschen Jazzunion will Jazz und Improvisierte Musik mit politischer Bildung zusammenzubringen und Jazz sowohl Kindern, Jugendlichen als auch Erwachsenen praxisnah nahebringen. Denn auch im Jazz fußt ein offene Weltsicht nicht nur auf der guten Ausbildung von Musizierenden, sondern auch auf der Bildung der Zuhörenden. Damit Jazz auch zur Herzensbildung wird.

Alle Preise auf deutscher-jazzpreis.de