Stephen Kings Roman „The Institute“ war 2019 eine Kritik am Verlust der Empathie während Donald Trumps erster Amtszeit. Die Verfilmung der Geschichte über staatliche Gewalt gegen Kinder passt perfekt.
Neue Stephen-King-Serie„The Institute“ passt perfekt in Trumps zweite Amtszeit

Kinder mit besonderen Gaben: Luke Ellis (Joe Freeman) bei einem der Tests im „Institut“, wohin man ihn entführt hat. Szene aus der Stephen-King-Serie „The Institute“.
Copyright: Chris Reardon/MGM+
Das Schlimmste ist, wenn dich das Vertrauteste betrügt. Wenn beispielsweise dein geliebtes Jungenzimmer sich als fremder Raum erweist.
Alles stimmt, als der 14-jährige Luke Ellis erwacht – die Lavalampe steht auf dem Sideboard, wie immer, das Schach-Poster hängt an der Wand. Aber am Tag zuvor hatte Luke ein Loch in sein Sporttrikot gerissen. Das Oberteil, das jetzt am Fuße seines Bettes liegt, ist aber unbeschädigt. Und als Luke die Tür öffnet, ist draußen ein Betonflur.
Er ist im „Institut“, wie er bald erfahren wird. Und „The Institute“ heißt denn auch die neue Prime-Video/MGM+-Serie nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King.
Die Monster von „The Institute“ sind Menschen
„Monster gibt es wirklich und Geister auch“, hat King einmal gesagt. „Sie leben in uns und manchmal gewinnen sie.“ In „The Institute“ werden sie auf Kinder losgelassen. Sie sind nicht etwa Wesen aus der „Twilight Zone“, sondern bloß unfassbare Menschen. Der Sicherheitschef Stackhouse (Julian Richings) und der Chefarzt Hendricks (Robert Joy) wirken zwar, als wären sie in einem früheren Sein schon mal Beelzebubs Behelfsteufel gewesen. Aber die Leiterin Miss Sigsby (Mary-Louise Parker) sieht aus wie eine aparte, nicht ganz junge Geschäftsfrau.
Zuhause tanzt sie zu Warren Zevons „Werewolves of London“, vor dem Herd, auf dem sie Würstchen brät. Bevor sie sich mit der glühenden Grillzange Brandzeichen ins Bein drückt und stöhnt, als habe der Schmerz ihre Libido aufgescheucht.
Miss Sigsbys Happy-End-Behauptung muss misstraut werden
Gerade hatte das Mathegenie Luke seinen Eltern in der Pizzeria von einem Studium am Massachusetts Institute of Technology vorgeschwärmt. „Es macht mich fertig, dass ich so wenig weiß“, rief er, und fegte in der Aufregung glatt das Pizzablech vom Tisch. In der Nacht darauf wird er gekidnappt, erwacht im Zwilling seines Zimmers.
Und nun sitzt Sigsby vor ihm und erzählt ihm vom Vorderhaus des Instituts, wo Tests laufen, und vom Hinterhaus, wo es ernst wird. Danach würde sein Gedächtnis gelöscht, und es gehe zurück nach Hause. Was Luke im Institut machen dürfe, sei „zweifellos die wirklich wichtigste Arbeit, die in der gesamten Gesellschaft auf der Erde stattfindet“, drückt Sigsby es etwas ungelenk aus.
Das mit dem Happy End glaubt man ihr nicht, denn schwarzer Rauch steigt aus dem Hinterhaus. Luke hatte das Blech im Restaurant übrigens nicht vom Tisch gefegt, er hatte es … bewegt.
Noch nie ist einem Kind die Flucht gelungen
Telepathisch und telekinetisch begabte Kinder und Jugendliche sind Versuchskaninchen im Institut. Ihre Kräfte werden hier verstärkt. Nichts darf darüber bekannt werden. Die Erwachsenen sorgen dafür, dass jeder der Angestellten stirbt, bevor er ein Sterbenswörtchen außerhalb der Betonmauern verlauten lassen kann.
Und noch nie in den Jahrzehnten, in denen die Einrichtung existiert, ist einem Kind die Flucht gelungen. Was Luke und Nicky aber nach einem abendlichen Schachspiel ins Auge fassen.
Viggo Hanvelt ist stark als zarter Avery mit Superkräften
Hier kommt Tim (Ben Barnes) in Spiel, ein hochdekorierter Polizist, der nach einem Unglück neu anfangen will – als Wachmann, der nachts durch die Straßen patrouilliert. Eine obdachlose Verschwörungstheoretikerin bringt ihn auf das geheimnisvolle Gebäude im Sperrgebiet. Sein Interesse ist geweckt, das des Zuschauers nicht so ganz.
Barnes‘ Figur bleibt blass und vage. Bis auf Sigsby ist in den „Großen“ wenig Charakter auszumachen. Die Darsteller der gefangenen Kinder sind stärker – voran Viggo Hanvelt, der den zarten Avery spielt, einen Jungen, dessen Talente im Rang einer Superkraft stehen.
Schon früher gab es bei King paranormal begabte Kinder
Unheimlich ist wenig in der Serie von Benjamin Cavell („The Stand“). Allein das Institut liegt geduckt wie ein urzeitliches Biest auf dem Hügel, graugrün gefärbt von übermoostem Beton. Dass in dem offiziell als „mikrobiologisches Labor“ firmierenden Gebäudekomplex Kinder gequält werden, ist schwer erträglicher Horror.
Paranormal begabte jugendliche „Solisten“ gab es übrigens schon einige im Werk von Stephen King – voran Charlie McGee aus „Feuerkind“, die dem „Institute“-Protagonisten Luke Ellis am nächsten steht – ein Mädchen, das durch reinen Willen die Garderobe der Regierungsagenten entflammt, die sie einfangen und als Versuchskaninchen an den „Shop“ ausliefern wollen.
King verstand seinen Roman auch als Trump-Kritik
Was die neue Stephen-King-Serie beschwört, ist die Solidarität der Schwachen. Was der Trump-Kritiker King 2019 beklagte, war der Verlust an Mitgefühl in seinem Land, das sich einen Präsidenten leistete, der Kinder an der Grenze zu Mexiko von ihren Eltern trennen ließ, während er in Sonntagsreden die Familie als wichtigstes Gut der Gesellschaft beschwor. Die Verfilmung kommt nun zu einer Zeit, in der Trump ein zweites Mal an der Macht ist, immer noch bar jeder Empathie für Menschen.
Auch die Mitarbeiter des „Instituts“ kennen keinen Welpenschutz. Sie misshandeln ein Kind auf schlimmste Art und schwärmen danach liebevoll von den eigenen Söhnen und Töchtern. „Es tobt ein Krieg“, raunt Sigsby, die auch im Nazireich gut funktioniert hätte.
Der Krieg fällt seinen Beschwörern freilich aufs Haupt. Weil es das gute Amerika doch noch gibt - wie die Monster, von denen King behauptet: „Sie leben in uns.“
„The Institute“, erste Staffel, acht Episoden, mit Joe Freeman, Mary-Louise Parker, Ben Barnes, Viggo Hanvelt, Simone Miller, Fionn Laird, Robert Joy, Birva Pandya, Jason Diaz, Hannah Galway Julian Richings, Jane Luk, Jordan Alexander, Martin Roach (streambar bei Prime Video/MGM+)