Das Mahler Chamber Orchestra irritierte in der Kölner Philharmonie mit einer uninspirierten Melange aus Klassik-Evergreens.
Philharmonie KölnSeltsamer Drang zum Stehgeiger und Kodirigenten

Das Mahler Chamber Orchestra in Aktion
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Der erste Teil des Gastspiels folgte einem klaren Konzept: drei Orchestrationen von Schubert-Liedern im Wechsel mit den beiden Sätze von Schuberts h-Moll-Sinfonie. Der Sinfoniker wurde so mit dem Liedkomponisten verschränkt, allerdings, ohne dass die Stücke dadurch vom Mahler Chamber Orchestra in neues Licht gerückt worden wären.
Der zweite Konzertteil verließ diese an sich spannende Programmidee. Dabei hätten sich die Schubert-Instrumentationen von Liszt, Brahms und Reger in der Kölner Philharmonie problemlos weiter durch das 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart fortsetzen lassen, etwa mit Döhl, Glanert, Reimann, Winbeck, Zender. Stattdessen folgten bekannte Werke von Wagner und Mendelssohn, die weder mit Franz Schubert noch miteinander etwas zu tun hatten. Solche Klassik-Evergreens sind zwar immer wieder schön, aber beliebig und einem Projektensemble wie dem Mahler Chamber Orchestra mit Anspruch auf alternative Programmdramaturgien unangemessen.
Michael Nagy sang Schuberts orchestrierte Lieder ganz ausgezeichnet
Bariton Michael Nagy sang Schuberts orchestrierte Lieder ganz ausgezeichnet, mit klarer Diktion, großer dynamischer und expressiver Spannbreite. „Der Doppelgänger“ gewinnt durch Franz Liszts Instrumentation an Schauerlichkeit. Während die düsteren Akkorde sonst vom Klavier neu angeschlagen werden, bilden nun Bläser und Streicher eine geheimnisvoll dunkel schleichende Fläche, aus der nur zweimal die Flöte mit einer zarten Klagefigur hervortritt. Der düstere Liedschluss geht dann nahtlos in das Bassthema zu Anfang von Schuberts „Unvollendeter“ über. Dem Kopfsatz der Sinfonie folgt Schuberts aufgewühlter Gesang „Gruppe aus dem Tartarus“ in der Bearbeitung für Orchester von Johannes Brahms. Und an den zarten Dur-Ausklang des zweiten Sinfoniesatzes reiht sich Max Regers lichte Orchestration des ruhevollen „Nacht und Träume“.
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Unter Leitung von Philipp von Steinaecker akzentuierte das Orchester markant die vielen schroffen Kontraste zwischen lyrisch-gesanglicher Melodik und abrupt einbrechenden Moll- und Fortissimo-Akkorden. Manche Einsätze der Bläser und Streicher waren jedoch erst beim zweiten Mal punktgenau zusammen. Der Dirigent rührte phasenweise mehr emotionalisierend mit den Armen als pointiert die für exakte Phrasierung nötigten Impulse zu geben. Bei Felix Mendelssohns Bartholdys 3. Sinfonie „Die Schottische“ spielten die vier Hörner zwar ausgezeichnet, aber im Verhältnis zu den Streichern überpräsent. Das finale „Allegro vivacissimo“ zielt zwar auf einen romantisch huschenden, flatterhaften Charakter, doch sind deswegen alle Details umso präzisier und prägnanter zu artikulieren.
Wenig zielführend agierte auch Konzertmeister Afanasii Chupin. Ohnehin schon auf einem ganz nach oben gedrehten Klavierstuhl exponiert platziert, entwickelte er den Drang zum Stehgeiger und Kodirigenten, trug aber mit seinem überambitionierten Aktionismus wenig zur Homogenität der Streichergruppe bei. Während Richard Wagner sein „Siegfried-Idyll“ 1870 zum 33. Geburtstag seiner Frau Cosima uraufführen ließ, widmeten Mahler Chamber Orchstra und von Steinaecker ihre Aufführung nun dem scheidenden Philharmonie-Intendanten Louwrens Langevoort zum 68. Geburtstag.