Kölns neuer Generalmusikdirektor Andrés Orozco-Estrada überzeugt mit dem Gürzenich-Orchester beim Saisonauftakt in der Philharmonie
Saisonauftakt des Gürzenich-OrchestersGelungener Einstand als GMD

Andrés Orozco-Estrada und das Gürzenich-Orchester zum Saisonauftakt
Copyright: Bettina Stöß
Draußen schwingt der Spätsommer seine goldenen Fahnen, aber drinnen, in der Kölner Philharmonie, war am Sonntagmorgen Frühling total angesagt: als orgiastische Explosion von Lebensfreude und Liebeslust. Das Gürzenich-Orchester führte dort Carl Orffs unsterbliche „Carmina Burana“ auf, zusammen mit erlesenen Vokalsolisten, dem (aus passionierten Laien zusammengestellten) Kölner Bürgerchor, dem Kammerchor der Universität sowie Knaben und Mädchen der Dommusik. Die besondere Aufmerksamkeit des gut gefüllten Saals galt freilich dem Dirigenten: Andrés Orozco-Estrada, der mit diesem Konzert seinen Einstand als neuer Kölner Generalmusikdirektor gab.
Irgendwie war zu vermuten gewesen, dass für den Kolumbianer diese Musik ein Heimspiel sein würde, und diese Erwartung wurde auch nicht enttäuscht. Es mag ein Klischee sein, das in diesem Fall aber ein Stück weit mit der Wirklichkeit zusammentreffen könnte: Vielleicht mobilisierte die elementare Gewalt des Rhythmischen, die Orffs Partitur eigen ist, bei Orozco-Estrada tatsächlich Herkunftserinnerungen. Aus der unwiderstehlichen, vertikal bestimmten, vor Energie schier berstenden Ekstase, die hier losbrach, konnte man, wenn man wollte, eine Portion lateinamerikanischer Fiesta heraushören. Darob wurde, bei Gürzenich-Konzerten eher selten, spontan applaudiert. Und am Schluss hielt es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Mission accomplished – ein so beschriftetes Schildchen kann sich der Neue fürs Erste ruhig ans Revers heften.
Lustvoll, flexibel und mit großem Können
Wer die „Carmina Burana“ einmal mitgesungen hat, weiß um die Tücken unter der Oberfläche simpler Strophenformen und einer kalkulierten Primitivität. Da gibt es nicht nur Synkopen, Takt- und Tempowechsel. In der Kneipenszene etwa muss, bei der Aufzählung der Trinkertypen, viel Text in kurzer Zeit absolviert werden. Und den kann man nicht ablesen, sondern muss ihn in ständigem Kontakt mit dem Dirigenten auswendig liefern – andernfalls geht die artikulatorische Präsenz, von der die Musik essenziell lebt und ihre Wirkung bezieht, unrettbar verloren. Und die Beschleunigungen, die hier (etwa bei dem „O! O! O!, totus floreo“) mit der Wucht alter Dampfloks anrollten, müssen ebenfalls genau organisiert werden. Das alles funktionierte jetzt auf weite Strecken ausgezeichnet. Und gerade der (von Nico Köhs einstudierte) Bürgerchor machte rundum eine „bella figura“ neben dem Uni-Kammerchor und der Dommusik, für deren Präparierung erstmals neben Oliver Sperling der neue Domkapellmeister Alexander Niehues verantwortlich zeichnete.
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Die Choreinteilung brauchte übrigens nicht eigens vorgenommen zu werden, sondern konnte Orff folgen, der neben dem großen Chor einen „Coro piccolo“ verlangt. Nur manchmal kam die so begeisterte wie geballte vokale Macht in die Nähe eines rustikalen Gebrülls – was man allerdings auch als spezifische Stilnote goutieren konnte. Die leuchtenden lyrischen Farben und Töne kamen indes keineswegs zu kurz – da wurden dann Druck und Dampf spürbar herausgelassen, auch vom Orchester, das den Pult-Direktiven allzeit lustvoll, flexibel und mit großem Können folgte.
Gleichfalls hoch zu rühmen ist, was die Lyrik betrifft, die auch in der Koloraturhöhe innige und warme Stimme der lettischen Sopranistin Annija Adamsone. Die Herren Michael Nagy (Bariton) und Michael Schade (Tenor) fielen da aber keineswegs ab. Schade absolvierte seinen Rollenpart als gebratener Schwan mit amüsant-quäkender Weinerlichkeit. Merkwürdig: Während das Fleisch von Schwänen heute als ungenießbar gilt, war es auf dem mittelalterlichen Speisezettel der „Carmina Burana“ offensichtlich beliebt.