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Niederländische MeisterKölner Wallraf-Richartz-Museum präsentiert neue Erkenntnis zu Rembrandt-Zeichnung

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Die Skizze zeigt eine Figurengruppe mit Jesus Christus.

Rembrandt oder nicht? Das Wallraf-Richartz-Museum sagt: Ja. Die Skizze „Christus und die Ehebrecherin“ (um 1658) ist in der Kölner Ausstellung „Expedition Zeichnung“ zu sehen. 

In der Ausstellung „Expedition Zeichnung“ nimmt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum niederländische Zeichnungen unter die Lupe.

„In Rom lernt man zeichnen“, schrieb der niederländische Maler Karel van Mander seinen jungen Kollegen ins Lehrbuch und dass es sich lohne, den Gefahren einer Reise ins gelobte Land der Kunst zu trotzen. Auf dem Weg nach Italien lauerten zu Manders Lebzeiten offenbar nicht nur Räuber und leichte Mädchen, sondern auch listige Vermieterinnen, die nicht davor zurückschreckten, säumige Zahler ins Ehejoch zu zwingen. Mancher angehende Maler soll auf dem Weg nach Rom auch in den Künstlerkolonien links und rechts des Weges gestrandet sein.

Um 1600 reiste nach Italien, wer in Mitteleuropa ein Künstler werden wollte, und die Niederländer traten diese Bildungsreise mit besonderem Eifer an. Nach der Heimkehr saßen sie dann wieder auf dem platten Land und wussten oftmals nicht, wohin mit den mitgebrachten Eindrücken – schließlich konnten sie weder Hügel noch antike Stätten aus dem Boden wachsen lassen. Einige findige Zeichner entdeckten im eigenen Fernweh einen Markt: Tobias Verhaecht spezialisierte sich auf fantasievolle Gebirgslandschaften, in denen sich das sehnsuchtsvolle Auge verlieren konnte, ohne dabei von Alpenpanoramen erschreckt zu werden. Seine Blätter waren die Reisefotografien ihrer Zeit, flüchtige Eindrücke, aus (scheinbar) unmittelbarem Erleben festgehalten.

Auch die Erforschung der alten Zeichnungen gleicht einem Abenteuer

Andere Künstler brachten aus Rom einen Blick für heimische Burg- und Schlossruinen mit. Diese waren im niederländischen Unabhängigkeitskrieg in stattlicher Zahl angefallen und wurden während einer längeren Friedensepisode zu beliebten Ausflugszielen und Bildmotiven. Jacob van Ruisdael zeichnete die Ruinen von Schloss Egmond gleich mehrmals – sie waren Monumente heldenmütiger Opferbereitschaft und ein erhebender Blickfang im Einerlei der Ebene.

Die Reiseabenteuer der niederländischen Zeichner des 15. bis 18. Jahrhunderts haben auch in der Sammlung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums ihre Spuren hinterlassen. Beinahe 850 Zeichnungen dieser Herkunft besitzt das Haus, von denen es jetzt 90 Blätter in der Ausstellung „Expedition Zeichnung“ präsentiert. Der Titel trägt eine doppelte Bedeutung: Er verweist auf die Reiselust als Voraussetzung der niederländischen Zeichenkunst und darauf, dass die Erforschung der gesammelten Papierarbeiten selbst einer abenteuerlichen Entdeckungsreise gleicht.

Tatsächlich ist es schon bei Gemälden dieser Zeit oftmals schwierig genug, sie dem richtigen Urheber zuzuordnen: Was ist ein echter Rembrandt, was eine Arbeit seiner Werkstatt und was eine von Dritten angefertigte Kopie? Ab- und Zuschreibungen gehören zum täglichen Geschäft des Kunsthandels und der Museumswelt. Bei den „flüchtigen“, damals wie heute weniger geschätzten und beachteten Zeichnungen, sind die Probleme ungleich größer. Sie wurden selten signiert, oftmals waren sie Nebenprodukte: Entwurfsskizzen für Gemälde oder Skulpturen, als Übung entstandene Kopien oder Archivbilder des Werkstattbetriebs.

Auf der Expedition zur korrekten Benennung einer Zeichnung lauern andere Gefahren, als sie die niederländischen Bildungsreisenden zu überstehen hatten. Aber auch hier gibt es Irrwege und Sackgassen, Ablenkungen am Wegesrand und falsche Fährten. So tummeln sich neben der Egmond-Ruine van Ruisdaels drei fröhliche Spaziergänger, die für das Werk des Zeichners untypisch sind. Ist das Bild gar nicht von ihm? Doch, sagt Annemarie Stefes, Co-Kuratorin der Ausstellung: Die Figuren wurden auf Wunsch eines Sammlers nachträglich eingefügt. Solche „Verschönerungen“, die dem Zeitgeschmack oder den Vorlieben der Besitzer huldigten, waren keine Seltenheit. Es gab sogar Künstler, die sich darauf spezialisierten, die Arbeit ihrer Vorgänger zu „verbessern“.

Ein kahler Mann schaut grimmig drein.

Hendrick Goltzius' „Fantasiekopf eines alten Mannes“ (1593) aus der Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln

Die Kölner Ausstellung ist das Ergebnis eines vierjährigen Forschungsprojekts, für das Stefes gemeinsam mit Thomas Klinke, Graphikrestaurator am Wallraf, sämtliche Werke unter die Lupe nahm – und ein gelungener Spagat zwischen Kunstgenuss und Bildungsstunde. Schließlich soll man verstehen, wie Kunsthistoriker durch das Zusammenspiel von Kennerschaft und kunsttechnologischen Untersuchungen zu ihren Erkenntnissen kommen. Dabei ist nicht selten detektivische Arbeit gefragt, die Fachleute wohl begeistert und den Laien verwundert zurücklässt: Lohnt sich der ganze Aufwand, nur, um am Ende ein unscheinbares Blättchen einem unbekannten Künstler zuzuordnen?

Ein schmales Blatt wird dem Werk Rembrandts zugeschlagen

Eine Sammlung zu erforschen, ist ein demokratischer Prozess, er kommt den Publikumslieblingen ebenso zugute wie den Lückenbüßern. Aber auch bei Letzteren ergeben sich mitunter Erkenntnisse, die für erstere von Gewinn sein können. Bei der Präsentation der Forschungsergebnisse setzt Stefes zudem bewusst auf „Storytelling“, darauf, Kunstgeschichte in Geschichten wie den Mander’schen Reisegefahren oder der Entdeckung des Kölner Doms durch niederländische Kriegsflüchtlinge erlebbar zu machen. Außerdem kann es nicht schaden, eine Zeichnung, die zuletzt als Arbeit der Rembrandt-Werkstatt galt, wieder dem Meister zuzuschlagen.

Das schmale, schöne Blatt zeigt ein Motiv, das man von Rembrandts Gemälde „Christus und die Ehebrecherin“ kennt – oder nimmt es vielmehr vorweg, wie Stefes meint. Bei derartigen „Doppelgängern“ ist die entscheidende Frage, ob sie dem eigentlichen Werk als Entwurf vorausgingen oder ihm nachfolgten; ist letzteres der Fall, spricht beinahe alles dafür, dass ein Schüler die Arbeit als Archivkopie anfertigte. Bei der Christus-Skizze scheint der Schöpfer dagegen noch auf der Suche nach der perfekten Komposition gewesen zu sein. Er probierte herum – ein Mann mit Turban wurde offensichtlich etwas versetzt, ein Papierstreifen angestückelt. Für eine nachträgliche Kopie wäre das untypisch. Bewiesen ist Rembrandts Urheberschaft damit zwar nicht. Aber wer seine Handschrift zu erkennen glaubt, wird durch die „verräterischen“ Korrekturen im Bild, die sogenannten Reuezeichen, darin bestärkt.

Mitunter tritt die Forschungsarbeit aber auch hinter einem verblüffenden Motiv zurück, sei es der gezähmte Kentaur, den Rubens später auf einem Gemälde in einen Christus verwandelte, oder ein grimmiger „Fantasiekopf“ von Hendrik Goltzius, mit dem dieser der Welt vielleicht beweisen wollte, so Stefes, dass Niederländer nicht nur Kühe und Landschaften malen können.

Die meisten Besucher werden aber wohl vor einem „Vogelkonzert“ von Frans Snyders stranden, das eine Vielzahl verschiedener Vögel vor einem kauzigen Dirigenten versammelt zeigt. Allerdings ist das gezeichnete Wortspiel nicht so harmlos, wie es scheint. Bei genauerer Betrachtung geht es hier nicht um vielstimmigen Chorgesang, sondern um Hackordnung, Fressen-und-Gefressen-Werden und die tödlichen Gefahren der Leichtgläubigkeit. Gegen die, lehrt uns diese Ausstellung, sollte man auch als Kunsthistoriker gewappnet sein.


„Expedition Zeichnung – Niederländische Meister unter der Lupe“, Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 14. November 2025 bis 15. März 2026. Der Katalog zur Ausstellung kostet 25 Euro.