Das Gürzenich-Orchester und Kölner Mezzosopranistin Anna Lucia Richter luden zum Bach'schen Meisterwerk in die Philharmonie.
Weihnachtsoratorium in KölnBeim Frieden auf Erden ist noch Luft nach oben

Anna Lucia Richter, Klassikweltstar aus Köln
Copyright: Flo Huber
Da wurde es ja wirklich mal Zeit! Seit zwanzig Jahren hat, wie Orchesterdirektor Stefan Englert zu Konzertbeginn in der Kölner Philharmonie bekanntgab, das Gürzenich-Orchester nicht mehr das Weihnachtsoratorium gespielt. Am gestrigen vierten Adventsonntag war es mal wieder so weit: In zwei „Fuhren“ – um 11 und um 15 Uhr, mit jeweils drei der insgesamt sechs Kantaten – stellte der stadtkölnische Klangkörper unter dem britischen Alte-Musik-Experten Jonathan Cohen Bachs Meisterwerk hin.
Die Neuauflage war freilich nicht der Grund, warum Englert und die (Köln-gebürtige) Mezzosopranistin Anna Lucia Richter vor der Aufführung das Podium betraten. Ein Teil des Erlöses geht, so erläuterten sie, an die deutsche NGO „Casa Hogar“, die benachteiligte Mädchen und Frauen sowie marginalisierte Gruppen in einer der ärmsten Regionen des Andenstaates Kolumbien unterstützt. Ticketerlöse und Spenden hätten zusammen 45.000 Euro erbracht, gab Richter, die auch Casa-Hogar-Kulturbotschafterin ist, unter dem Beifall der ausverkauften Philharmonie bekannt. Schöne Musik hören und gleichzeitig Gutes tun – da mag Weihnachten ungehindert kommen!
45.000 Euro für die ärmsten Regionen Kolumbiens
Das 11 Uhr-Konzert – der Schreiber dieser Zeilen konnte nur dieses besuchen – hielt viele schöne Erlebnisse bereit, wobei allerdings in vielen Belangen auch noch Luft nach oben war. Cohen, der in den meisten Arien vom Cembalo aus dirigierte, vermied allzu sportive Tempi – gleich der Eingangschor kam angemessen tänzerisch-beschwingt, mit leichten Akzenten auf der jeweiligen Takt-Eins, aber zum Glück nicht als Schnellwalzer. Trotzdem ging die Geschwindigkeit zuweilen an eine Obergrenze – worunter zumal der „Ehre sei Gott“-Chor im zweiten und der Rahmenchor im dritten Chor litten.
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Nicht nur wurden etwa die harten Dissonanzen unterspielt, mit denen Bach im erstgenannten Chor den „Frieden auf Erden“ bedenkt. Die mirakulöse Stelle konnte unter den gegebenen Umständen nicht die Aura entwickeln, die sie verdient. Vielmehr erreichte da auch der gut präparierte Chor des Bach-Vereins eine Grenze. Das ist kein Wunder, schließlich handelt es sich bei ihm um einen hervorragenden Laien-, aber eben nicht um einen Profichor, dem man solche Anforderungen sicher zumuten kann. Die Einsätze in den Fugen zum Beispiel kamen akkurat, aber eben auch angezurrt, ja angestochen. Eine unerquickliche Hetze machte sich da breit, verbunden noch mit Intonationstrübungen und Stützverlusten. Weithin überzeugend gerieten allerdings die Choräle, denen Cohen ganz aus der vertonten Sprache heraus unterschiedliche Farben und schöne Binnendifferenzierungen angedeihen ließ.
Luft nach oben, die gab es auch bei den Vokalsolisten. Der Lorbeer dürfte tatsächlich Richter gebühren. Die mit drei langen Arien unter den Kollegen am stärksten Geforderte erfreute mit einer gut dosierten Mischung aus Innigkeit und vokalem Glanz, vertraute sich mit spürbarer emotionaler Beteiligung der Schönheit der Bach'schen Gesangslinie an. Ihre Sopranpartnerin Anna-Lena Elbert hingegen befremdete durch eine aseptische und zugleich ungedeckt-schrille Tongebung. Durch so stilunangemessene wie selbstverliebte Manierismen (geschmäcklerisch intonierte Mischlaute) fiel der vom Material her ausgezeichnete Tenor Linard Vrielink auf, während der Bariton James Atkinson von Klangfarbe, Stil und Ausdruck her erfreute, es indes zuweilen an Durchsetzungskraft missen ließ.
Das Gürzenich-Orchester aber überzeugte bei dieser neuerlichen Begegnung mit dem Stück durch einen nicht nur routinierten Auftritt. Die Solisten – ganz gleich ob Konzertmeisterin, erster Trompeter oder Flötistin – warteten mit ausgezeichneten Vorstellungen auf, während der Ensembleklang gut belüftet, vital und in der Artikulation schön beweglich war. Auf dass es bis zum nächsten Weihnachtsoratorium nicht 20 Jahre dauere!

