Der italienische Fotograf Massimo Vitali macht fantastische Bilder von Menschenmengen am Strand - jetzt in der Kölner Zander Galerie.
Ausstellung in KölnMit Massimo Vitali in der Menschensuppe baden

Ausschnitt aus Massimo Vitalis „Monopoli Twins“ (2022), derzeit in der Galerie Zander in Köln zu sehen.
Copyright: Massimo Vitali, courtesy Zander Galerie
Sonne, Sand und Meer, dieser verheißungsvolle Dreiklang hat mittlerweile einen bedrohlichen Unterton. Allzu oft entpuppt sich der Sehnsuchtsort als schaurig-schöne Desillusionierung: Glücklich, wer verstopfte Strände und betonierte Küsten nur von Bildern und nicht aus eigener Erfahrung kennt. Oder sind wir alle miteinander zu Katastrophentouristen geworden, die es jeden Sommer wieder in Massen an die Unglücksstellen der von uns selbst verschuldeten Misere zieht?
Anders als Martin Parr rückt Vitali den Menschen nicht auf die gerötete Pelle
In der Kölner Galerie Zander kommt man um diese Frage kaum umhin – auch wenn die Menschensuppen des italienischen Fotografen Massimo Vitali deutlich bekömmlicher sind als etwa die Urlaubsbilder eines Martin Parr. Zeigen dessen Aufnahmen eine verlorene Welt fernab der Schönheit, spielen Vitalis Aufnahmen gerade mit dem Lockruf des Schönen und den tragikomischen Folgen, wenn ihm zu viele von uns erliegen. Anders als Parr rückt er den Menschen nicht auf die gerötete Pelle, sondern bindet sie in weitläufige Panoramen ein. Der einzelne Mensch bleibt darauf erkennbar, ist aber zugleich Teil einer zerstreuten Menge. Auf Vitalis Wimmelbildern findet der moderne Massentourismus die ihm vorherbestimmte Form.
Thomas Zander zeigt seine erste Vitali-Soloschau zur besten Zeit, nämlich während der Ferien. Man kann seine Ausstellung daher mit dem erleichterten Seufzer des Daheimgebliebenen abschreiten, dem ein Sommer in Freibad, Büro und Garten nun geradezu erstrebenswert erscheint; mit dem Blick des Ethnologen, der sich an den Sitten des durchschnittlichen Mitteleuropäers nicht sattsehen kann; oder mit dem mitleidigen Lächeln des Individualtouristen, der sich über derartige Pauschalerlebnissen erhaben wähnt. Allerdings hat, wer vor Vitalis Bilder glaubt, er habe alles richtig gemacht, diese falsch verstanden.

Massimo Vitalis „Yellow Life Saver“, 2020
Copyright: Massimo Vitali, courtesy Zander Galerie
Seit 1994 fährt Massimo Vitali an die Küsten seiner italienischen Heimat, um sein Markenzeichen zu perfektionieren. Vor Ort stellt er einen mehrere Meter hohen Dreifuß ins Wasser oder auf halbwegs sicheres Terrain, klettert mit der Großbildkamera hinauf und wartet so lange, bis sich die Urlauber an den seltsamen Anblick über ihnen gewöhnt haben. Auf seinen Bildern sieht man die Banalität alltäglicher Badevergnügen, und dabei kann man selbst den Menschen in den hintersten Reihen ins Gesicht schauen. Diese Tiefenschärfe ist ein wesentlicher Teil seines Erfolgs; der andere ist die Abwesenheit von Voyeurismus.
Wenn man Vitalis Bilder absucht, findet sich immer jemand, der in die Kamera blickt; man sieht Paare, die so tun, als wären sie allein, und Menschen, die zwar wissen, dass sie im Blickfeld stehen, sich aber nicht darum scheren. Am Strand ist das Kameraauge nur eines unter vielen und sieht nicht mehr als die Summe der Urlauber. In dieser Komplizenschaft liegt ein weiteres Geheimnis von Vitalis Bildern. Sie enttäuschen die Sehnsucht, am Strand allein oder unter sich zu sein. Aber gerade diese Enttäuschung erzeugt eine Gemeinschaft, in die man eintauchen und in der man untertauchen kann.
Man sucht die Einsamkeit und findet lauter Gleichgesinnte
Vitali interessiert sich weder dafür, einzelne Menschen vorzuführen, noch sie aus der Menge herauszuheben. Auf „Monopoli Twins“ sehen wir Urlauber, die in einer Bucht auf den Sonnenuntergang zu warten scheinen. Es ist eine Szene, deren Romantik durch die kollektive Erwartung nicht gesteigert, sondern trivialisiert wird. Aus der Postkarte wird Alltag, die Enttäuschung übertriebener Hoffnungen ist bereits eingepreist. Aber die Menschen scheint es nicht kümmern, solange sie die Desillusionierung miteinander teilen können.
Auf einem Bild, das seinen Titel einem gelben Rettungsring verdankt, stehen die Badenden in milchig-weißem Wasser – als habe jemand eine gigantische Brausetablette im Meer aufgelöst. Vermutlich sorgen Abflüsse einer nahen Industrie für den malerischen Effekt, der niemanden zu betrüben scheint: Alka-Seltzer für die Massen, denen nichts fremd ist außer ausgelassenem Badespaß.
Man sucht die Einsamkeit und findet lauter Gleichgesinnte – mit diesem Paradox kann der moderne Reisende offenbar gut leben. In dieser Hinsicht sind Vitalis Panoramen Trostbilder, zumal er seine Kamera bevorzugt an unscheinbaren und gerade noch überschaubaren Orten in die Höhe schraubt. Vielleicht suchen die Menschen auf seinen Bildern sogar die Gesellschaft anderer, und vielleicht stellen sich gerade die Paare, die auf ihnen alles um sich herum zu vergessen scheinen, den anderen bewusst zur Schau.
Zander und Vitali zeigen in Köln ausschließlich unveröffentlichte Bilder aus den Jahren 1995 bis 2022. Die Zeitspanne ist weit genug, um Veränderungen in Mode und Verhalten einzufangen. Man sieht, wie die Bevölkerung allmählich zur Leinwand wird (auf den ältesten Bildern trägt kaum jemand Tätowierungen) und die Landschaft zum Schnappschuss. Aus dem Touristen ist ein allzeit bereiter Fotograf geworden. Massimo Vitali hat Gesellschaft bekommen, aber keine Konkurrenz.
„Massimo Vitali: 94/22“, Zander Galerie, Schönhauser Str. 8, Köln, Di.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 11-17 Uhr, bis 22. August 2025