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Zum Tod von Claus PeymannWeltverbesserer auf der Bühne, Giftspritzer in Interviews

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25.05.2022, Berlin: Der Theaterregisseur und Intendant Claus Peymann bei einem exklusiven Fototermin im Renaissance Theater.

Theaterregisseur und Intendant Claus Peymann bei einem Fototermin im Berlienr Renaissance-Theater.

Claus Peymann ist mit 88 Jahren gestorben. Er war der umstrittenste, aber auch lange Zeit erfolgreichste Theatermacher Deutschlands.

Als Theatermacher sah sich Claus Peymann fest verankert in der Schiller'schen Tradition der moralischen Anstalt: Seine Bühne sollte ein helles Licht auf dunkle Zeiten werfen. Als öffentlicher Akteur und Gesprächspartner dagegen machte Peymann keine Gefangenen.

Im Interview mit dieser Zeitung lästerte er etwa, noch kurz vor dessen frühen Tod, über Christoph Schlingensief. Der, so Peymann, laufe völlig zu Unrecht als Genie durch die Gegend: „Der kann eigentlich überhaupt nichts, seine Akteure sind oft Behinderte. Da gibt es einen Behinderten namens Brecht, der bekommt immer Bier auf der Bühne, und dann torkelt er da herum, und die Berliner schlagen sich auf die Schenkel. [...] Dass sich Schlingensief jetzt selber zum Teil dieses Dokumentarismus macht, in dem er seinen schrecklichen Lungenkrebs zum Bühnenthema macht, empfinde ich als obszön und tragisch zugleich.“

Uff. Mit solcherlei Invektiven schleuderte der Intendant freilich ohne eine Spur von Bitterkeit um sich, sondern mit großer Liebenswürdigkeit und Lausbubenspaß am Stinkbombenschmeißen. Es ging ihm um die Aufmerksamkeitsökonomie. Außerhalb der Mauern seiner Spielstätte blieb eben einzig die Selbstinszenierung. Im Stück „Der Theatermacher“ hat Thomas Bernhard seinem Frenemy und treuen Uraufführungsregisseur mit der ihm eigenen Boshaftigkeit als Größenwahnsinnigen porträtiert, der im Wirtshaus eines Dorfes seine Weltkomödie aufführen will. Die herrlich gemeine Pointe: Im Pfarrhof nebenan schlägt während der Aufführung ein Blitz ein und das neugierige Publikum flüchtet aus dem Saal, lässt den Theatermacher als armen Tropf unterm undichten Wirtshausdach zurück.

Claus Peymann wurde zum meistgehassten Deutschen von Wien

Peymann fühlte sich dennoch geschmeichelt. Wer will sich nicht als Kunstverrückter literarisch verewigt sehen? Außerdem: Wenn er zur Vorstellung rief, war ihm allseitige Aufmerksamkeit sicher. Mit dem „Theatermacher“ eröffnete er 1986 seine erste Spielzeit als Direktor des Wiener Burgtheaters, Traugott Buhre spielte die Titelrolle. Der in Bremen als Sohn eines Lehrers – „ein typischer Nazi mit gutem Charakter“, so Peymann – Geborene avancierte in Rekordgeschwindigkeit zum meistgehassten „Piefke“ der österreichischen Hauptstadt. Burg-Premieren wurden unter seiner Leitung zu Staatsaffären, kulminierend 1988 in der Bernhard-Uraufführung „Heldenplatz“, einer Auftragsarbeit Peymanns zum 50. Jahrestag des allzu willigen Anschlusses ans Hitler-Reich. Österreich selbst sei nichts als eine Bühne, lässt Bernhard seine Figuren darin wettern, und seine Bevölkerung eine „sich selber verhasste Statisterie“ von „sechseinhalb Millionen Debilen und Tobsüchtigen“.

Die „Kronen“-Zeitung, Politiker aller Parteien, der selbst in einen Skandal um seine Beteiligung an Nazi-Kriegsverbrechen verstrickte Bundespräsident und der Wiener Weihbischof überboten sich gegenseitig in Abscheu und Empörung: Volk und Land waren mit ihren eigenen Steuergeldern beleidigt worden, von einem Deutschen. Vor dem Theater wurde Kuhmist abgeladen. „Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“, forderte der Rechtspopulist Jörg Haider und die „Süddeutsche Zeitung“ feixte, dass sich Österreich gerade bemühe, „die größtmögliche Übereinstimmung der Wirklichkeit mit Bernhards grotesken Texten herbeizuführen“.

Skandal um RAF-Spende in Stuttgart

Doch als sich Claus Peymann elf Jahre später vom Burgtheater verabschiedete, weinten die Wiener ihm heiße Tränen nach. Er war ihr Piefke geworden und bis heute gilt Peymanns radikale Modernisierung der Burg von der selbstverliebten Schauspielerverehrungshalle zum kantigen, wirkmächtigen Meinungsführer als goldene Zeit. Das eine schloss das andere auch gar nicht aus: Peymann-Importe wie Gert Voss, Ignaz Kirchner und Kirsten Dene wurden nach anfänglichem Sträuben schnell als Publikumslieblinge adoptiert.

Mit ihnen hatte er bereits als Schauspieldirektor in Stuttgart zusammen gearbeitet, sein Ensemble galt damals als das beste der Republik. Als er es zuließ, dass am Schwarzen Brett des Theaters um Geld für eine Zahnersatzbehandlung der damals in Stammheim einsitzenden RAF-Terroristin Gudrun Ensslin gebeten wurde (er selbst spendete 100 Mark), tobte ein Chor aus CDU-Granden, Polizeigewerkschaft und aufgebrachten Bürgern. Peymann musste Stuttgart vorzeitig verlassen. Es ging nach Bochum, wo er sofort den Zorn der Theaterszene auf sich zog, als er 44 Ensemblemitgliedern und Mitarbeitern der Zadek-Zeit kündigte, unter anderem Herbert Grönemeyer.

Doch seine sieben Jahre im Pott wurden zum künstlerischen Triumph. Peymann brachte dem Publikum zeitgenössische Autoren wie Peter Handke, Peter Turrini, Elfriede Jelinek, und naturgemäß Thomas Bernhard nah, inszenierte aber auch Klassiker – Goethes „Tasso“ oder Kleists „Hermannsschlacht“ mit Gert Voss als germanischen Guerillero, machte Bochum „zu einem der aufregendsten Theaterhäuser der Bundesrepublik“, wie der derzeitige Intendant Johan Simons in seinem Nachruf schreibt. Man werde seinen Mut zur politischen Einmischung, so Simons, seinen unerschütterlichen Glauben an die utopische Kraft des Theaters und seinen rebellischen Geist vermissen.

Den vermisste Peymann im Herbst seiner Karriere selbst, dem Berliner Ensemble hatte er sich großmäulig wie eh und je als „Reißzahn im Arsch der Mächtigen“ angekündigt. Aber es blieb bei der Besitzstandswahrung, die Zeit war an ihm und seinem heroischen Theaterbegriff vorübergezogen, im „Stadt-Anzeiger“-Gespräch beschrieb er sich als ewigen Don Quichotte, über den sich die Leute königlich amüsieren: „Bei den Schauspielern gibt es längst Wettbewerbe, wer den besten Peymann macht. Aber am besten mache ich mich natürlich selber nach.“ Am Mittwoch ist Claus Peymann 88-jährig im Berlin gestorben.