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Der Sommer, eine Katastrophe?Warum wir den Sommer tatsächlich einer Katastrophe verdanken

4 min
Ein Juli-Tag 2025 in Köln

Ein Juli-Tag 2025 in Köln

Wie wir von einem planetarischen Wumms vor 4,5 Milliarden Jahren profitieren.

"Dieser Sommer ist eine einzige Katastrophe“, sagt eine Frau mit typisch rheinischer Maßlosigkeit, als sie in unserem Stadtteil die kleine italienische Eisdiele verlässt. Es gibt sie erst seit ein paar Jahren, aber obwohl sie weder Tische noch Stühle hat, sondern nur zwei Holzbänke vor dem kleinen Verkaufsraum, hat sie sich zu einem wichtigen sozialen Treffpunkt entwickelt. In den Wintermonaten hat sie geschlossen, und jedes Frühjahr warten wir voller Bangen, dass sie auch ja wieder aufmacht und wir sie dann fleißig mit unserem Besuch unterstützen können. Italienisches Eis und das Schimpfen über das mal zu heiße und mal zu nasse Wetter gehören einfach zu einem richtig deutschen Sommer.

Dabei verdanken wir den Sommer tatsächlich einer Katastrophe. Rund 100 Millionen Jahre nach Entstehung des Sonnensystems wurde unsere künftige Heimat von einem gewaltigen Planetoiden gerammt. Der Theia genannte kosmische Bolide von der Größe des Planeten Mars plumpste in die heiße, aus brodelnder Magma bestehende junge Erde wie eine Vanilleeiskugel, die man in eine Tasse mit heißem Kakao fallen lässt. Forscher glauben, Reste des verschluckten Planetoiden kürzlich noch unverdaut im Erdinneren entdeckt zu haben. Statt heißer Schokolade spritzte Theia bei seinem Einschlag heißes Gestein in den Himmel und ließ dort den Mond entstehen, so die heute gängige Theorie.

Die Erde wurde zwar in ihren Grundfesten erschüttert, zerbrach aber nicht. Im Gegenteil, seit dieser Zeit reisen Erde und Mond als scheinbar unzertrennbare Partner durch das Sonnensystem. Dabei sorgt unser Begleiter für die Gezeiten und stabilisiert wohl auch die Erdachse. Ohne den Mond würde die Erde über die Jahrmillionen hinweg wahrscheinlich wie ein Betrunkener um die Sonne torkeln und katastrophale Klimaveränderungen durchmachen. Seit dem planetaren Wumms hat die Erde allerdings einen Schlag weg. Ihre Achse steht schief. Dadurch zeigt für ein halbes Jahr lang der Nordpol Richtung Sonne, und unserer Halbkugel wird es Frühling und Sommer. Zieht die Erde auf ihrer Bahn weiter um die Sonne, bekommt der Südpol mehr Sonnenstrahlen ab, und bei uns ist es Herbst und Winter. So gibt es seit fast viereinhalb Milliarden Jahren den festen Rhythmus der Jahreszeiten, der auch das Leben aller Menschengenerationen geprägt hat.

„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“, schrieb schon der Prophet Jeremia vor rund zweieinhalbtausend Jahren und sang das Lob der Jahreszeiten. Unser Planet hat in seiner Entwicklung enorme Katastrophen und dramatische Klimaveränderungen durchgemacht. Der Wechsel der Jahreszeiten aber ist eine seiner wahrhaft großen Konstanten – neben der menschlichen Unzufriedenheit natürlich. In einer Welt, in der vieles zusammenzubrechen scheint, ist es manchmal gut, auch das Beständige wahrzunehmen und dafür dankbar zu sein.

Die Erde und die Menschheit haben schon viel überstanden. Ob das Wetter mal besser oder schlechter ist, ist eine Fußnote der Geschichte, so flüchtig wie das Wetter selbst. Manche Probleme relativieren sich angesichts kosmischer Dimensionen. Mit dieser Erkenntnis, etwas mehr Leichtigkeit im Herzen und zwei Kugeln Eis im Hörnchen gehe ich in den Nieselregen. Sommer ist, was man draus macht. Gott sei gedankt für die Eisdielen und das Stück italienischer Lebensart mitten in unseren Städten. 

Über den Autor

Heino Falcke ist Professor für Radioastronomie an der Radboud-Universität in Nijmegen (NL). Für seine Forschungen erhielt er unter anderem den Spinoza-Preis und die Einstein-Medaille. Im Ehrenamt ist der Frechener ordinierter Prädikant (Laienprediger) der Evangelischen Kirche im Rheinland. Für den Kölner Stadt-Anzeiger schreibt er die Kolumne „Unterm Sternenhimmel“.


Buchpremiere

Mehr zum Thema gibt es am 11. September in der Kölner „Kulturkirche“. Heino Falcke stellt im Gespräch mit KStA-Chefkorrespondent Joachim Frank sein neues Buch „Zwischen Urknall und Apokalypse – die große Geschichte unseres Planeten“ vor. Der Premierenabend wird mitgestaltet von Hörbuchsprecher Frank Arnold und von FALCKE, dem Sohn des Autors, mit einem Konzert exklusiv zum Anlass. Donnerstag, 11. September, 20 Uhr. Siebachstraße 85, 50733 Köln. Karten zum Preis von 21,90 Euro bei:www.koelnticket.de