Der Kölner Medienwissenschaftler Martin Andree über Elon Musk, mächtige Plattformen wie Facebook oder X und sein neues Buch „Krieg der Medien“.
Nach Einmischung in WahlkampfKölner Wissenschaftler: „Musk wird das, was Köln ausmacht, niemals begreifen“

Elon Musk im April
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Herr Andree, Elon Musk hat sich gerade ganz offiziell in den Kölner Wahlkampf eingemischt. Der reichste Mann der Welt hat auf seiner Plattform X eine Falschinformation über das Kölner Fairness-Abkommen geteilt und dazu geschrieben: „Entweder ihr wählt Deutschland oder es wird das Ende Deutschlands sein.“ Wäre es nicht so ernst, müsste man lachen, oder?
Tja, wenn Musk in Köln mal Karneval feiern würde, könnten wir ihn vielleicht kurieren. Aber da ich aufgrund meiner Arbeit gedanklich sehr viel Zeit mit diesem faschistoiden Schurken verbringe, fürchte ich, dass er das, was Köln und die wunderbare Gemeinschaft in dieser Stadt ausmacht, niemals begreifen wird.
Bei dem Fairness-Abkommen, dass die demokratischen Parteien im Wahlkampf unterschrieben haben, geht es, anders als in den Falschinformationen dargestellt, keinesfalls darum, dass sich die Parteien nicht kritisch zu Migrationsfragen äußern dürfen. Ist allein die Tatsache, dass es ein solches Abkommen gibt, trotzdem ein gefundenes Fressen für Rechtsaußen-Kräfte?
Klar. Das wird am Ende immer in irgendeine Richtung gedreht. Es ist wichtig für uns zu verstehen, was sich da gerade zusammenbraut. Nicht nur Elon Musk persönlich mischt sich in den deutschen Wahlkampf ein, auch seine Plattform X verstärkt massiv AfD-affines Material. Mittlerweile haben wir sogar eine Äußerung vom US-Außenministerium, dass die USA jetzt „zivilisatorische Alliierte“ in Europa sucht, hier offenbar trumpistische Vorhutorganisationen aufgebaut werden sollen. Damit sind Parteien wie die AfD gemeint.
Nicht nur Elon Musk beklagt fehlende Meinungsfreiheit in Deutschland, auch US-Vizepräsident J.D.Vance hat das in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz getan. Ist Meinungsfreiheit zu einem Kampfbegriff geworden?
Ja, und zwar in der naivsten Auslegung: Ich will alles sagen dürfen. Ich dürfte Sie also auch verleumden, Ihnen die schlimmsten Beleidigungen an den Kopf werfen oder öffentlich behaupten, Sie seien längst privatinsolvent. Aber diese Form der unlimitierten Hetz-Freiheit würde dazu führen, dass ganz viele Menschen in unserer Gesellschaft verstummen. Genau das geschieht auf den Plattformen: Wegen der zunehmenden verbalen Gewalt trauen sich immer weniger, mitzureden und ziehen sich zurück. Das ist inakzeptabel.
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Ihre These: Der vorgebliche Kampf um Meinungsfreiheit dient als Narrativ für eine Heldengeschichte. Die Tech-Firmen, die die Plattformen betreiben, aber auch politische Rechtsaußen-Kräfte können sich als Befreier eines Unterdrückersystems feiern.
Ich vergleiche das mit einem Zauberkünstler, der uns ein rosa Plüschhäschen vor die Nase hält, das ist die Meinungsfreiheit. Wie bei jedem Zaubertrick ist gewollt, dass wir nur auf den Hasen schauen und nicht auf das, was der Zauberkünstler hinter dem Rücken tut. Da nämlich baut der Zauberer, hier die amerikanischen Tech-Konzerne, Medienmonopole auf, die unsere digitale Öffentlichkeit kontrollieren können – was wirklich das Gegenteil von Meinungsfreiheit ist. Deswegen müssen wir diese Monopole dringend abschaffen.
„Krieg der Medien“ heißt Ihr neues Buch. Wer bekriegt hier genau wen?
Es gibt die klassischen Medien wie etwa den „Kölner Stadt-Anzeiger“ oder das ZDF – und es gibt die digitalen Medien und die Plattformen. Beide sind Medien, die meisten Menschen unterscheiden da gar nicht und nennen die Plattformen ja auch „Social Media“. Die Plattformen haben es in ihren Entstehungsjahren aber geschafft, nicht wie Medien reguliert zu werden, sondern wie Netzwerke – als wären sie Telefonkabel. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Sie wollen für die Inhalte, die auf ihren Plattformen ausgespielt werden, rechtlich nicht verantwortlich sein. Gleichzeitig verdienen sie aber ihr Geld mit genau diesen Inhalten.
Während der „Kölner Stadt-Anzeiger“ für Holocaust-Leugnung oder andere schlimme Falschinformationen haftbar gemacht werden könnte, sind es die Plattformen nicht.
So ist es. Die Plattformen können also nach Herzenslust oder aus politischen Gründen Polarisierung und Radikalisierung verstärken und werden dafür von niemandem zur Verantwortung gezogen. Gleichzeitig verdienen sie mit genau diesen Inhalten das meiste Geld. Mir fällt kein anderer Bereich in unserer Gesellschaft ein, wo milliardenschwere Wirtschafts-Akteure mit Straftaten Geld verdienen dürfen. Das wäre so, als könnte man Crack im Supermarkt kaufen und der Supermarkt würde sagen: Ich habe das Crack doch nicht hergestellt, ich vertreibe das nur, ich bin nur Intermediär. Genau das machen die Plattformen aber. Da merken Sie, wie irre das ist.
Wie konnte es so weit kommen?
Wie wir diese Rechtsprivilegien und Vorzugsbehandlungen für US-Monopolisten erschaffen haben mit dem Ergebnis riesiger Machkonzentrationen, ist eine sehr komplexe Geschichte. Fakt ist: Wir könnten die rechtlichen Rahmenbedingungen wieder ändern. Denn so, wie es jetzt läuft, drücken sie die redaktionellen Medien finanziell an die Wand – und zwar ganz bewusst.

Martin Andree und Sarah Brasack im Podcast-Studio des Kölner Stadt-Anzeiger
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Wie das?
Die natürliche Aufmerksamkeit ist beschränkt. Während wir früher Medien wie Fernsehen, Radio oder Zeitung hatten, wandert die Aufmerksamkeit immer mehr in die digitalen Medien ab. Das wäre prinzipiell auch kein Problem – wenn in der digitalen Welt nicht die Monopole herrschen würden. Aber unter den Bedingungen der Monopole haben redaktionelle und andere Anbieter keine faire Chance, einen Zugang zum Markt zu erhalten. So schaffen die Monopole Stück für Stück Medienfreiheit ab. Zugleich behaupten sie, nur bei ihnen gäbe es die ganze Wahrheit. Dieser Anti-Eliten-Diskurs dient nicht nur dazu, die alten Medien platt zu machen, sondern auch die Wissenschaft, die Politik und alles, was unter den Begriff der Eliten gefasst wird. Es ist dasselbe Narrativ wie bei der AfD und anderen Rechtspopulisten heutzutage.
Die Rechtspopulisten profitieren von den Plattformen und diese von ihnen?
Genau. Es gibt von den geistigen Vordenkern der Tech-Bewegung, den Libertären, ganz viele Schriften, in denen sie sehr offen sagen, was sie wollen: In „Das souveräne Individuum“ von Dale Davidson und William Rees-Mogg aus dem Jahr 1997, einem der Lieblingsbücher des Tech-Vordenkers von Peter Thiel, steht, dass der demokratische Staat abgeschafft werden muss. Durch die Digitalisierung lassen sich neuartige Strukturen bauen, mit denen sich Steuerzahlungen umgehen lassen und mit denen man sich an dem untergehenden demokratischen Staat auch noch bereichern kann. Das ist im Prinzip die Agenda dieser Tech-Libertären, die sehr erfolgreich ist. Man sollte sich nur fragen, wohin wir hier „befreit“ werden, wenn der demokratische Staat untergeht – denn die Tech-Libertären werden sicher nicht unsere Schulen und Krankenhäuser finanzieren.
Die angebliche Befreiung führt zum maximalen Profit einer kleinen, sehr mächtigen Elite, die sich als Anti-Elite inszeniert?
Genau. Wenn Sie sich die Liste der mit Abstand am reichsten Männer der Welt anschauen, sind das neben Elon Musk fast ausschließlich Tech-Firmen-Besitzer oder Manager, diejenigen, die in der ersten Reihe bei Donald Trump Inaugurationsfeier standen.
Wäre Donald Trump ohne Social Media jemals Präsident geworden?
Natürlich nicht. Social Media hat ihn nach oben gespült, das hat er auch selbst oft gesagt. Trump ist ein Geschöpf der Plattformen, er handelt wie ein Troll. Er ist wie ein Frankenstein-Monster, das aus den Algorithmen entstanden ist. Wir erleben durch den Vormarsch der Plattformen insgesamt eine Trollifizierung des politischen Diskurses.
Wie meinen Sie das?
Wir sind in allen nur denkbaren Dimensionen erpressbar geworden
Plattformen verstärken Polarisierung und Radikalisierung. Steile Thesen, Wutrede, Populismus, Memes werden mit viel mehr Aufmerksamkeit belohnt und gehen viral, wie man sagt. Dadurch entsteht ein Kampf aller gegen alle. Wenn Markus Söder bei Instagram zum Food-Influencer wird, können wir das lächerlich finden, aber er macht genau das Richtige, weil er zum Taktstock der Algorithmen tanzt. Wer da nicht mitmacht, ist kaum sichtbar auf den Plattformen. Dass die AfD in Deutschland gerade auch bei jungen Menschen so beliebt ist, hat damit zu tun, dass die AfD dieser Troll-Logik folgt und auf den bei den Jungen so beliebten Plattformen extrem erfolgreich ist.
Könnte es eine moderate Partei überhaupt schaffen, auf den Plattformen ähnlich erfolgreich zu sein?
Das ist eine Lose-Lose-Situation. Entweder man fährt seinen rationalen politischen Diskurs fort, wird aber immer weniger bis gar keine Aufmerksamkeit mehr bekommen. Oder man folgt der Logik der Trolle und macht mit.
Noch einmal ganz konkret: Warum genau macht es uns verwundbar, dass Google, Facebook, Youtube und Co. so mächtig sind?
Monopolstrukturen bei öffentlichen Gütern machen immer verwundbar. Öffentliche Güter sind typischerweise Güter, auf die wir nicht verzichten können, so wie Straßennetze oder der Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Tech-Unternehmen haben es geschafft, riesige neue Mediengattungen durch Monopole abzudecken. Jetzt sitzen wir in der Falle, weil wir beispielsweise nicht ohne Suchmaschinen leben können, aber 90 Prozent des Suchtraffics bei der Firma Alphabet, also Google, liegt. Social Media liegt zu 85 Prozent bei Meta und so weiter. Noch schlimmer ist, dass unsere Behörden abhängig sind von den Cloud-Services, die bei denselben Tech-Konzernen liegen - unsere Verwaltungsdaten, Gesundheitsdaten, Transaktionsdaten. Wir sind in allen nur denkbaren Dimensionen erpressbar geworden.
US-Vizepräsident J.D. Vance hat schon vor seinem Amtsantritt damit gedroht, dass die USA aus der Nato austreten wird, wenn die EU versucht, die Big-Tech-Firmen strenger zu regulieren. Eine weitere Falle?
Hier sieht man, wie beide Dimensionen, die feindliche Eroberung unserer politischen Öffentlichkeit mit militärischen Dimensionen explizit miteinander in Verbindung gebracht werden. Deutlicher geht es kaum.
Wie ließen sich die Monopole zerschlagen?
Selbst, wenn wir es ändern wollten, haben wir leider momentan weder in Deutschland noch in der EU gesetzliche Regelungen, die es ermöglichen, Monopole auf effiziente Art und Weise zu entflechten oder zu zerschlagen. Wir müssten diese Rechtsgrundlagen erst einmal schaffen. Parallel sehen wir, dass die EU ihre Digitalregulierung aus Angst vor Trumps Zöllen weitgehend zurückfährt.
Was könnte Deutschland tun, was müsste die EU tun?
Die EU oder das deutsche Kartellamt können nichts unternehmen, wenn Monopole auf natürliche Weise zustande kommen, wie das bei der Google-Suchmaschine der Fall gewesen ist. Sie könnte nur etwas gegen Zusammenschlüsse tun. Ein weiteres Feld ist das Medienrecht, viele Regelungen liegen jedoch in der Kompetenz der Bundesländer, die einstimmig entscheiden müssen. Das macht es sehr schwierig, auch, weil die Firmen massiven Lobby-Druck auf einzelne Bundesländer ausüben können, um eine gesetzliche Regelung zu verhindern.
Wir sind wie ein Vogel, der schon so lange im Käfig sitzt, dass er sich nicht mehr traut, den Käfig zu verlassen
Wir haben noch maximal vier Jahre, um unsere Demokratie zu retten, warnen Sie. Ist das nicht ein bisschen alarmistisch?
Nein. Schon die vergangene Regierung hat dieses Thema nicht angepackt. Jetzt haben wir eine neue Regierung, die die Fahne in die Hand nehmen und zur Lokomotive Europas werden müsste für digitale Souveränität. Sie müsste sagen: Unsere Demokratie geht über alles! Aber ich sehe nicht, dass das passiert. Die Maßnahmen Kein Wort dazu im Koalitionsvertrag sind nicht ausreichend. Auch deshalb habe ich mein Buch geschrieben: Ich will, dass wir uns alle noch einmal in die Augen schauen und hinterher nicht sagen können: Wir haben nicht gewusst, dass so etwas passieren könnte.
Woran liegt es, dass es kaum eine öffentliche Debatte über das Thema gibt?
Weil das Thema sehr komplex und schwer erkennbar ist. Viele Menschen verstehen nicht, dass es ein Problem gibt. Aus einer oberflächlichen Perspektive würde man denken – Katzenvideos auf Instagram und Freunde kontaktieren auf WhatsApp – wo ist das Problem?
Was sind die Konsequenzen für die digitale Öffentlichkeit?
Es ist natürlich problematisch, wenn der Algorithmus den Menschen Holocaust-Leugnung und Rassismus in den Kanal spült. Dadurch sind wir zunehmend in unterschiedlichen Realitäts-Dimensionen unterwegs, haben keine gemeinsame Grundlage der Wahrheit mehr. Gerade wird sehr viel Meinungsmacht für sachlich falsche oder gar strafbare Informationen aufgebaut und gleichzeitig die Meinungsmacht derjenigen abgebaut wird, die das noch balancierend einordnen oder korrigieren könnten. Der Brexit konnte nur deshalb passieren, weil vorab massive Falschinformationen gestreut wurden – mit desaströsen wirtschaftlichen Folgen.
Was würden Sie Bundeskanzler Friedrich Merz raten?
Auch wenn wir die Monopole nicht zerschlagen können: Es wäre möglich, die Rechtsprivilegien der Plattformen abzuschaffen. Sie müssten sich etwa entscheiden, ob sie Netzwerke sein wollen, die keine Inhalte zu Geld machen dürfen; oder aber ob sie mit Inhalten Geld verdienen wollen, aber dann dafür haften müssen, so wie andere Parteien oder redaktionelle Medien und Inhalteanbieter auch. Wir könnten die Plattformen auch dazu zwingen, sich zu öffnen, damit sich neue Anbieter an sie andocken können, wie wir es in den neunziger Jahren in der Telekommunikation umgesetzt haben. Wenn wir das täten, würde das jedoch eine massive Konfrontation mit der US-Regierung bedeuten. Einen anderen Weg sehe ich aber nicht. Wir sind wie ein Vogel, der schon so lange im Käfig sitzt, dass er sich nicht mehr traut, den Käfig zu verlassen. Dabei steht die Tür noch auf. Sicher, wenn wir den Käfig verlassen, würde es ein paar Jahre total ruckeln. Aber danach könnten wir eine Riesendynamik entfalten in unserer digitalen Wirtschaft. Wir müssten uns nur trauen. Wir müssen nur aus diesem Käfig der Monopole raus.
Zu Person und Buch
Martin Andree ist Medienwissenschaftler, er forscht an der Universität Köln und unterrichtet im Schwerpunkt Digitale Medien. Sein „Buch Big Tech muss weg. Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft – wir werden sie stoppen“ ist 2023 im Campus-Verlag erschienen. Sein neues, ebenfalls bei Campus erschienenes Buch heißt „Krieg der Medien – Dark Tech und Populisten übernehmen die Macht“.