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Projekt im NRW-Jugendstrafvollzug macht MutBandenboss Alek (23) wird jetzt Straßenbauer

Lesezeit 4 Minuten
Handwerk im Hafthaus: Häftling Alek (23) mit Projekt-Koordinator Thomas Nyhsen im Ausbildungsbereich für Straßenbauer in der JVA-Werkstatt.

Handwerk im Hafthaus: Häftling Alek (23) mit Projekt-Koordinator Thomas Nyhsen im Ausbildungsbereich für Straßenbauer der in der JVA-Werkstatt.

Unternehmen suchen Facharbeiter, Gefangene brauchen einen Job, um nach der Entlassung wieder Fuß zu fassen. Das Projekt „Handwerk im Hafthaus“ führt beide zusammen.  Wie funktioniert das? Ein Ortstermin in der JVA Heinsberg.

Tim Baumann ist Leiter der Abteilung „Infrastruktur“ bei der Florack Bauunternehmung GmbH in Heinsberg. Das Unternehmen spürt, wie viele andere Firmen auch, den Fachkräftemangel. „Es ist nicht leicht, Mitarbeiter zu finden, die zu uns passen und die eine wirkliche Verstärkung sind“, sagt der Abteilungsleiter. Jetzt sei der Firma aber ein „absoluter Glücksgriff gelungen“, berichtet Baumann. „Der Alek war erst Praktikant, jetzt hat er einen unbefristeten Vertrag als Straßenbauer bekommen“, freut sich der Vorgesetzte. Er sei schon „ziemlich überrascht“ darüber gewesen, wie Alek sich eingefügt habe. „Ich dachte, Leute von dort hätten mehr Blödsinn im Kopf.“

„Von dort“ – damit meint Baumann die Justizvollzugsanstalt Heinsberg. In der JVA sitzen derzeit 380 junge Männer im Alter von 14 bis 24 Jahren ein. Alek verbüßt eine Haftstrafe von einem Jahr und elf Monaten.  Das Projekt „Handwerk im Hafthaus“ hat ihm die Chance eröffnet, schon während der Zeit im Vollzug einen Job außerhalb der Gefängnismauern zu übernehmen. Die Initiative wird landesweit beachtet und hat Vorbildcharakter.

Alek hat einen Realschulabschluss - und eine Perspektive

„In unseren Werkstätten bereiten wir die Inhaftierten darauf vor, nach ihrer Entlassung in einem Handwerksberuf zu arbeiten“, sagt Werkdienstleiter Jörg Winkens. Das Ausbildungsangebot ist vielfältig. Die Häftlinge können sich etwa als Dachdecker, Fliesenleger, Schreiner, Schweißer oder Gabelstapelfahrer qualifizieren lassen. Oder – wie Alek – zum Straßenbauer.

Wir treffen den 23-Jährigen im Sozialraum der JVA. Alek hat einen Realschulabschluss und wirkt offen und interessiert.  „Wir haben einen Test gemacht, um herauszufinden, welcher Beruf am besten zu ihm passt“, sagt Projekt-Koordinator Thomas Nyhsen. „Straßenbauer müssen gut in der Flächenberechnung sein.“ Alek nickt und sagt: „Pflasterarbeiten mache ich gerne.“

Im Strafvollzugsalltag gibt es naturgemäß meist mehr Schatten als Licht. Auch im Jugendvollzug sind viele Inhaftierte schwer zu händeln, interessieren sich nicht für ihre Zukunft und lehnen Unterstützungsangebote ab. Es gibt aber auch positive Geschichten. „Wer eine zweite Chance bekommt, braucht auch echte Perspektiven“, sagt NRW-Justizminister Benjamin Limbach. Das Projekt zeige, wie wichtig gute Ausbildung und eine frühe Begegnung zwischen Handwerksbetrieben und Gefangenen seien. Wenn beide Seiten sich früh kennenlernten, würden Vertrauen und Verständnis wachsen. „Damit kommt die gute Ausbildung im Justizvollzug auch dem Handwerk in der Region zugute“, so der Politiker der Grünen.

Viele Unternehmen wissen allerdings nicht, dass im Gefängnis zum Teil gut ausgebildete Kräfte auf einen Neustart warten. Bis zu 30 gut ausgebildete Mitarbeiter könnten in Heinsberg jährlich in die Betriebe der Region vermittelt werden. Die Unternehmen werden zu „Werkstatttagen“ in die JVA eingeladen und können mit den Probanden sprechen. Die Westdeutsche Handwerkskammer hilft dabei, Brücken zwischen Wirtschaft und Vollzug zu bauen.

Peter Dohmen betreut das Projekt Handwerk im Hafthaus für den Westdeutschen Handwerkskammertag

Peter Dohmen betreut das Projekt Handwerk im Hafthaus für den Westdeutschen Handwerkskammertag

Mitarbeiter, die vom Jobcenter vermittelt werden, sind gerade in Berufen für Geringqualifizierte häufig mit Problemen beladen, die ein Arbeitsverhältnis mitunter belasten können. „Wer aus der Haft entlassen wird, hat im Vergleich dazu oft die besseren Startchancen“, sagt JVA-Werkleiter Winkens. „Die Inhaftierten waren schließlich unter permanenter Beobachtung, und konnten – wenn nötig – eine Sucht- oder Schuldnerberatung in Anspruch nehmen.“

Spielsucht löste kriminelle Karriere aus

Bei Alek hat die Spielsucht den Grundstein für seine kriminelle Karriere gelegt. Indirekt zumindest. „An einem Abend hatte ich alles verloren und hatte keinen Sprit mehr im Tank, um nach Hause zu fahren“, erzählt der junge Familienvater. Er habe auf einem Parkplatz neben einem alten Bus gestanden. Da fiel ihm auf, dass das Schrottfahrzeug noch angemeldet war. „Ich habe die Kennzeichen auf mein Auto ummontiert und damit Tankbetrug begangen“, berichtet Alek.

Als der Diebstahl reibungslos funktionierte, entwickelte er daraus ein Geschäftsmodell. Bevor er geschnappt wurde, hatte Alek ein kriminelles Netzwerk aufgebaut, das in drei Bundesländern unterwegs war. Zuletzt war die Bande mit Lieferwagen unterwegs, die bis unters Dach mit Reservekanistern beladen waren. 400000 Liter wurden auf diese Weise gestohlen. „Wir hatten jede Menge Kohle“, sagt der Mann aus der Voreifel. „Aber die Angst, erwischt zu werden, war auch allgegenwärtig. Bis heute zucke ich zusammen, wenn ich eine Polizeisirene höre.“

JVA Werkdienst-Leiter Jörg Winkens

JVA Werkdienst-Leiter Jörg Winkens

Der Bandenboss wird zum Straßenbauer – kann das funktionieren? Thomas Nyhsen ist zuversichtlich: „Alek macht auf uns den Eindruck, dass ihn die Hafterfahrung wirklich geläutert hat. Er hat jetzt eine Perspektive, die doch gar nicht so schlecht für ihn ist.“ Im Gefängnis hat sich Alek an einen geordneten Tagesablauf gewöhnt. Er steht jeden Morgen schon um 4.15 Uhr auf, um sich für den Job bereitzumachen. Die Firma Florack liegt nur wenige Kilometer von der JVA entfernt. „Der Vorarbeiter kommt jeden Morgen an die Pforte und holt mich ab“, sagt der Gefangene, der wegen guter Führung mittlerweile im offenen Vollzug untergebracht ist. In der JVA hat Alek bei seiner Qualifizierung am Tag 17,29 Euro bekommen. Als Straßenbauer verdient er bei Florack einen Stundenlohn, der sehr deutlich über dem Mindestlohn liegt. „Einer wie Alek hat bei uns gute Chancen, seinen Weg zu gehen“, sagt Abteilungsleiter Baumann. „Wenn er sich gut entwickelt, kann er Polier werden. Dann bekommt man ein Gehalt, von dem man dann sehr gut leben kann.“

Auch ohne krumme Geschäfte zu drehen.