Der Angeklagte steht unter Verdacht, Patienten durch Überdosierung von Medikamenten getötet zu haben. Auch in Köln-Merheim war er als Krankenpfleger tätig.
Urteil steht bevorEx-Pfleger aus Würselen soll 13 Menschen getötet haben

Am Mittwoch, 5. November wird das Urteil gegen den im Prozess gegen den ehemaligen Pfleger erwartet.
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„Schlafen ist die beste Medizin“, sagt Ulrich S. Er hätte seinen Patienten doch nur „etwas Gutes“ tun wollen, als er ihnen das Narkosemittel Midazolam verabreicht habe. Er habe die Gefährlichkeit des Präparats zudem unterschätzt. Seine „Unbedarftheit“ tue ihm unendlich leid, er könne seine „Taten“ aber leider nicht mehr rückgängig machen.
Es ist etwa eine Woche her, dass der ehemalige Krankenpfleger als Angeklagter im Prozess vor dem Landgericht Aachen das letzte Wort hatte. Der 44-Jährige soll in Würselen reihenweise Patienten getötet haben. Von 13 Morden und 24 Mordversuchen geht die Aachener Staatsanwaltschaft aktuell aus. Welche Strafe dem Angeklagten bevorsteht, darüber entscheidet das Aachener Landgericht am Mittwoch, 5. November.
Gegen weitere Klinik-Mitarbeitende laufen die Ermittlungen: Hätten die Taten verhindert werden können?
S. hatte seit Herbst 2020 im Würselener Rhein-Maas-Klinikum gearbeitet. Zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 soll er Patienten auf der Palliativstation so große Mengen des Narkosemittels Midazolam teilweise in Kombination mit Schmerzmitteln gespritzt haben, dass einige das nicht überlebten.
Die Anklage nennt niedrige Beweggründe und Heimtücke als Mordmerkmale. Der Pfleger habe die Patienten ruhigstellen wollen, um sich selbst die Arbeit während der Nachtschichten zu erleichtern. Einigen Patienten verabreichte er die Überdosen wiederholt.
Die Ermittlungen wurden durch einen Hinweis aus der Klinik ins Rollen gebracht. Das Krankenhaus hatte die Polizei im Mai 2024 eingeschaltet, nachdem nicht genehmigte Injektionen aufgefallen waren. Sechs Tage zuvor hatte die Klinik den Pfleger von seinen Aufgaben entbunden. Der Freigestellte war empört. Im abgehörten Telefonat mit seinem Bruder sagte er nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass er die Mittel seit drei Jahren ohne die nötige Erlaubnis der Ärzte im Nachtdienst injizieren würde. Nach seinem Dienst hätten die zuständigen Ärzte die mangelhaften Einträge am nächsten Morgen fraglos abgehakt.
Riesige Bestellungen von Narkosemitteln hätten auffallen müssen
Bei Vernehmungen durch die Polizei hatten mehrere Pflegerinnen gesagt, dass der Angeklagte Sätze gesagt haben soll wie „Das sind alles Zombies, die sind doch sowieso zum Sterben hier“. Er habe von „abschießen“ im Zusammenhang mit der eigenmächtigen Medikamenten-Vergabe gesprochen. Oder über einen Schwerkranken gesagt: „Hoffentlich kratzt der bald ab, damit ich meine Ruhe habe.“
Der Angeklagte selbst streitet ab, absichtlich Menschen durch das Verabreichen von Medikamenten geschädigt zu haben. Die Patienten seien medikamentös gut eingestellt gewesen. Hätten die Taten verhindert werden können? Aktuell wird noch ermittelt, ob sich auch Kolleginnen und Kollegen des Angeklagten strafbar gemacht haben. Es fiel auf, dass sich viele der Zeuginnen und Zeugen vor Gericht plötzlich nicht mehr an ihre Aussagen der Polizei gegenüber erinnern konnten.
Die bei den Taten missbrauchten Medikamente waren vor der Beschäftigung des Angeklagten nur selten auf der eher kleinen Palliativstation eingesetzt worden. Niemand der Krankenhausmitarbeitenden wollte aber bemerkt haben, dass sich die Bestellungen der Midazolam-Ampullen 2023 und Anfang 2024 plötzlich extrem häuften. Auch dem Klinik-Apotheker, bei dem die Mittel bestellt wurden, war dies nicht aufgefallen.
Auch in Köln wird ermittelt: Angeklagter arbeitete zuvor bei den städtischen Kliniken in Merheim
Der palliativmedizinische Gutachter Matthias Thöns bezeichnete dieses Verhalten im Prozess als „wirklichkeitsfern“. In den Anklageschriften war anfangs noch von neun vollendeten Morden und 34 Mordversuchen die Rede. Nach der Beweisaufnahme hatten sich diese Zahlen geändert. Im Zuge der Ermittlungen waren mutmaßliche Opfer exhumiert und obduziert worden. „In einigen Fällen ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht sicher festzustellen, ob der Tod der Geschädigten durch eine Handlung des Angeklagten erfolgt ist oder aus anderen Gründen“, so eine Sprecherin des Landgerichts Aachen.
Die Ermittler prüfen aktuell, ob der Angeklagte in noch mehr Fällen eigenmächtig Medikamente zum Schaden von Patientinnen und Patienten verabreicht hat. Eine weitere Anklage sei wahrscheinlich, hieß es vonseiten der Aachener Staatsanwaltschaft. Vor seiner Beschäftigung in Würselen soll der Angeklagte bei den städtischen Kliniken in Köln-Merheim als Krankenpfleger gearbeitet haben: Zwischen April 2010 und Januar 2011, außerdem zwischen Februar 2014 und September 2020.
Auch die Staatsanwaltschaft Köln ermittele hier in alle Richtungen, teilt Staatsanwalt Sinan Şengöz mit: „Insbesondere werden derzeit sichergestellten Datenträger, Dokumente und Unterlagen ausgewertet.“ Zum Schutz der laufenden Ermittlungen könne er weitere Informationen hierzu aktuell nicht öffentlich machen.
Am Mittwoch, 5. November soll gegen 12 Uhr das Urteil verkündet werden. Die Verteidigung des Angeklagten plädierte auf Freispruch. Die Anwältin des Angeklagten pochte in ihrem Plädoyer auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) und darauf, dass ihr Mandant zwar tatsächlich vielfach unerlaubt Midazolam und Morphine verabreicht habe, dies jedoch ohne jede böse Absicht erfolgt sei.
Die Staatsanwaltschaft dagegen fordert eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Dies würde bedeuten, dass auch nach 15 Jahren eine Freilassung in der Regel ausgeschlossen wäre. „Er wollte Ruhe vor dem Zustand der Patienten, den er nicht ertragen konnte. Der Zeitpunkt zum Einschlafen war gekommen, wenn er es für richtig hielt. Ihr Lebensrecht war ihm gleichgültig“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer.

