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Josefine Paul in BedrängnisMinisterium kannte Namen des Solinger Attentäters früher

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Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) im Landtag

Wann hat die NRW-Flüchtlingsministerin von der Identität des Messerstechers Issa al Hasan erfahren? Ein jetzt aufgetauchter Vermerk lässt die Zweifel an Pauls Version wachsen.

Ein brisanter Aktenvermerk beschäftigt den parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) im NRW-Landtag zum Terroranschlag von Solingen am Abend des 23. August 2024. Die Analyse, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, stammt aus dem Haus der Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). Derzeit versucht die Opposition, das Krisenmanagement der Landesregierung kurz nach dem Attentat aufzuklären. Dabei steht seit Monaten insbesondere die Flüchtlingsministerin in der Kritik. Die Grünen-Politikerin will erst zwei Tage nach dem islamistischen Terrorakt mit drei Toten und acht Schwerverletzten „belastbar“ davon erfahren haben, dass der syrische IS-Dschihadist Issa al Hasan die tödlichen Messerstiche durchgeführt hatte.

Nach und nach bröckelt diese Version. Zumal Pauls Ministerium immer neue belastende Mails und Dokumente an das Untersuchungsgremium weiterleiten musste. So berichtete ein Mitarbeiter aus der zuständigen Flüchtlingsabteilung im Zeugenstand, dass er bereits am Samstagnachmittag, also einen Tag nach dem Terrorangriff, einen Vermerk in dem Fall angelegt und per Mail an seine Vorgesetzten weitergeschickt hatte. Dabei ging es bereits um den Tatverdächtigen.

Diese Zusammenfassung der damaligen Erkenntnislage ist aber erst am Mittwoch in einem größeren Konvolut an den Untersuchungsausschuss weitergeleitet worden. Aus dem Vermerk wird klar, dass der Mitarbeiter bereits am späten Samstagnachmittag den Namen Issa Al Hasan kannte. Seinerzeit war der IS-Terrorist noch flüchtig, allerdings hatten die Ermittler sein Portemonnaie mit dem Namen nahe dem Tatort gefunden.

SMS um 16.47 Uhr

Um 16.23 Uhr meldete sich eine Kriminalhauptkommissarin aus dem Landeskriminalamt bei dem Verfasser. Die Beamtin bat ihn um Amtshilfe, um beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Asylakte zu beschaffen. Die Personalien teilte die LKA-Ermittlerin zunächst nicht mit. Um 16.47 Uhr schickte die Ansprechpartnerin aus dem BAMF dem Ministerium eine SMS, dass besagte Akte bereits dem Bundeskriminalamt übersandt worden sei. Gegen 17.18 Uhr versprach die BAMF-Mitarbeiterin dem Ministerialkollegen in Düsseldorf „die Übersendung einer Kurzhistorie Asyl der nunmehr benannten angefragten Person. In welcher Beziehung die nunmehr benannte Person Issa Al Hasan, geb. 20.01.1998 in Deir ez-Zor/SYR, syrischer Staatsangehöriger mit dem Anschlagsgeschehen stand, konnte die Kollegin auf Nachfrage nicht mitteilen.“

Zu diesem Zeitpunkt lief der Name des gesuchten Terroristen bereits in etlichen Medien über den Online-Ticker. Schnell wurde dem zuständigen Referenten und seinem vorgesetzten Gruppenleiter im NRW-Flüchtlingsministerium klar, dass es sich bei Issa Al Hasan um den Täter handeln musste. Hektisch versuchte man bei den kommunalen Ausländerbehörden in Solingen und Paderborn herauszufinden, warum im Jahr zuvor die Abschiebung des Syrers gemäß dem Dublin-Verfahren ins erste EU-Einreiseland Bulgarien gescheitert war. Als man nach umfassenden Recherchen genügend Informationen zur heiklen Asylchronik zusammengetragen hatte, unterrichtete der der Gruppenleiter am Samstagabend um 21.22 per Mail die Chefin der Abteilung sowie den damaligen persönlichen Referenten der Ministerin. Eine Minute später erhielten Josefine Paul und ihr Staatssekretär die Nachricht. Kurz vor 23 Uhr wurde der Dreifach-Mörder schließlich in Solingen gefasst.

Ministerin Paul aber reagierte nicht. Nach dem bisherigen Stand der parlamentarischen Untersuchungen tauchte die Grünen-Politikerin ab – als hätte sie den Ernst der Lage nicht erkannt, schien sie nicht erreichbar zu sein. Vielmehr brach die Ministerin nach Frankreich zum Gedenken an SS-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg auf. Dort sollte sie eine Rede halten.

Erst am Sonntag zu erreichen

Während Landesinnenminister Herbert Reul und auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (beide CDU) bald am Tatort in Solingen erscheinen, brach Paul ihre Frankreich-Reise zunächst nicht ab. Erst am Sonntagnachmittag war sie letztlich für ihre Kabinettskollegen telefonisch zu sprechen.

Eine Sprecherin des Flüchtlingsministeriums (MKJFGFI) erklärte diesen Umstand unlängst auf Anfrage unserer Zeitung damit, dass „gesicherte Hinweise“ zur Identität des Attentäters an jenem Samstag nicht vorgelegen hätten. „Erst am Sonntag bestätigte das Landeskriminalamt gegenüber dem Ministerium, „dass es sich um den Tatverdächtigen des Solinger Attentats handelte. Bis dahin unterstützte das MKJFGFI die Sicherheitsbehörden mit Recherchen, ohne gesicherte Erkenntnisse zur Identität“, so die Sprecherin.

Die Mails und Vermerke aus der Fluchtabteilung des Ministeriums belegen das Gegenteil. SPD-Fraktionsvize Lisa Kapteinat moniert, dass zahlreiche „Akten erst auftauchen, nachdem Zeugen bereits vernommen worden sind. In diesem Fall wurde ein wichtiger Vermerk sogar durch die Vernehmung eines Zeugen überhaupt erst bekannt.“ Leider liege dem Untersuchungssausschuss immer noch nicht die gesamte Chat-Kommunikation der Landesregierung am Tatwochenende vor. „Im Gegenteil: Vier entsprechende Beweisanträge zur Anforderung dieser Kommunikation auch von leitenden Beamtinnen und Beamten wurden mit Stimmen von Schwarz-Grün sogar verhindert. Deshalb haben wir dagegen auch Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht“, erklärte die SPD-Abgeordnete.

„Unsere Vermutung ist: In diesen Akten gibt es noch viel mehr zu sehen, was wir aber nicht sehen sollen. Dieses intransparente Vorgehen von Ministerin Paul torpediert die Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses regelmäßig und ist inakzeptabel“, so Kapteinat weiter. Schließlich gehe es auch um die Frage, wann das Ministerium und damit die Ministerin selbst Kenntnis davon hatten, dass es sich beim Tatverdächtigen um einen ausreisepflichtigen Asylbewerber handelte, dessen Abschiebung in Verantwortung der Landesregierung zuvor gescheitert war. „Die Hinweise verdichten sich, dass dies weitaus früher der Fall war, als Josefine Paul uns glauben machen will. Aber anstatt endlich alle Informationen transparent auf den Tisch zu legen, setzen sie und mit ihr CDU und Grüne ihre Salamitaktik weiter fort.“

Am heutigen Freitag wird der Untersuchungsausschuss Solingen fortgesetzt.