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Mitte-StudieGroßteil der Deutschen sorgt sich vor Rechtsextremismus

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Ein junger Mann steht auf einem Platz in Solingen, um die Schultern hat er sich eine Deutschlandfahne geschwungen.

Besonders häufig stimmen junge Männer rechtsextremen Positionen zu (Archivbild: Rechte Demo in Solingen)

3,3 Prozent der befragten Erwachsenen zeigen ein eindeutig rechtsextremes Weltbild - ein deutlicher Rückgang. Die Forscher warnen trotzdem: Der Graubereich hat sich verfestigt.

Der Anteil der Menschen in Deutschland, die ein offen rechtsextremes Weltbild teilen, ist wieder gesunken. Das geht aus der „Mitte-Studie“ 2024/2025 hervor, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Auch die Billigung politischer Gewalt aus der Mitte nimmt ab. Eine Entwarnung geben die Wissenschaftler trotzdem nicht. Denn: Das Vertrauen in die Demokratie sinkt. 

3,3 Prozent der befragten Erwachsenen zeigten demnach ein eindeutig rechtsextremes Weltbild. Ein deutlicher Rückgang: In der letzten „Mitte-Studie“ aus dem Zeitraum 2022/2023 waren es noch acht Prozent. Damit liegt der Wert nur noch leicht über den Erhebungen der Jahre 2014 bis 2021, in denen 1,7 bis 2,9 Prozent der Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild zeigten. „Das ist eine gute Nachricht für die Demokratie“, betont Andreas Zick, Studienleiter und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.

Einen Grund für den Rückgang sehen die Forscher in dem Krisenklima der Erhebung 2022/23. Die Pandemie war noch nicht beendet, als mit der Invasion der Ukraine, der Inflation und hohen Energiepreisen die nächsten Krisen einsetzten. Einige dieser Ängste hätten sich mittlerweile gelegt. In der Zwischenzeit erlebte Deutschland die größten Demonstrationen gegen Rechts in seiner Geschichte. Zudem könne die Bevölkerung seit der Wiederwahl von Donald Trump verfolgen, wie schnell demokratische Errungenschaften zurückgedreht werden können. 

Eine Entwarnung sei das trotzdem nicht. Jeden fünften Befragten ordnen die Wissenschaftler in einen Graubereich zwischen Zustimmung und Ablehnung rechtsextremer Positionen ein. Dieser Wert ist im Vergleich zur letzten Erhebung leicht angestiegen und hat sich somit verfestigt. Männer, junge Leute und Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss vertraten besonders häufig rechtsextreme Positionen.

„Das Demokratiemisstrauen ist sehr deutlich angestiegen“

Die Kriterien für ein „rechtsextremes Weltbild“ sind in der „Mitte-Studie“ hoch: Befragte mussten 18 rechtsextremen Aussagen eindeutig zustimmen. Nur knapp sieben Prozent lehnten jedoch alle diese Aussagen ab. „Das ist der geringste Wert, den wir je gemessen haben“, sagt Zick. „Auch der Anteil, der überwiegend ablehnt, sinkt.“

Einige Befragte verfügten zwar nicht über ein klar rechtsextremes Weltbild, teilten aber rassistische, antisemitische, klassizistische oder sexistische Positionen. Mehr als jeder siebte Befragte würde Verhältnisse wie in einer Diktatur befürworten: Der Aussage „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“ stimmten 15 Prozent voll und zehn Prozent zum Teil zu. Insgesamt 15 Prozent der Befragten stimmten ganz oder zum Teil der Aussage „Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen“ zu. Mehr als jeder Zweite stimmte ganz oder zum Teil der Position zu, Deutschland sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Elf Prozent fordern, Frauen sollten sich wieder mehr auf ihre Rolle als Mutter und Ehefrau besinnen. Fast jeder Vierte stimmte ganz oder zum Teil der Behauptung zu, der Einfluss der Juden sei auch heute noch zu groß. 

Derweil nimmt das Vertrauen in die Demokratie ab. Nur jeder Zweite hält die deutsche Demokratie im Großen und Ganzen für funktionsfähig, jeder Vierte lehnte die Aussage komplett ab. „Das Demokratiemisstrauen ist sehr deutlich angestiegen“, warnt Studienleiter Zick. „Das öffnet die Tore für Extremismus und Populismus.“ Das Vertrauen in Institutionen und die Umsetzung demokratischer Prinzipien schwinde drastisch. Besonders anfällig für antidemokratische Einstellungen sind Befragte, die die Lebensqualität und Versorgung in ihrer Region nicht gut finden, die kritisch auf die Coronamaßnahmen blicken, gesundheitlich belastet und unzufrieden mit ihrem Leben sind. 

Befragte wünschen sich mehr politische Bildung

Was die Studie jedoch auch zeigt: Die Mehrheit der Deutschen denkt anders. Knapp vier von fünf Befragten bezeichnen sich grundsätzlich als überzeugte Demokraten – sechs Prozentpunkte mehr als vier Jahre zuvor. Drei Viertel lehnen rechtsextreme Einstellungen ab, 70 Prozent empfinden den zunehmenden Rechtsextremismus als Bedrohung für Deutschland. Gleichzeitig sehen die Forscher eine verbreitete „Verharmlosung und Ignoranz“: Zwei Drittel stimmten der Aussage „Der Rechtsextremismus wird in den Medien hochgekocht“ ganz oder teilweise zu. 

Eine deutliche Mehrheit der Befragten wünscht sich mehr Bildung zu den Themen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Demokratie, schreiben die Forscher. Nun komme es umso mehr darauf an, „dass die Politik ein Vertrauenszeichen sendet und die politische Bildung stärkt“. 

Die Mitte-Studie wird seit 2014 alle zwei Jahre von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben und von den Forschern der Universität Bielefeld durchgeführt. Sie untersucht, wie verbreitet rechtsextreme, menschenfeindliche und demokratiegefährdende Einstellungen in der Bevölkerung sind. Für die diesjährige Studie befragten sie zwischen dem 30. Mai und dem 4. Juli dieses Jahres 2000 Menschen im Alter zwischen 18 und 94 Jahren.