Wenn zwei sich streiten, ist Bruno Kosmala zur Stelle. Ob es um Gartenzäune, Sicherheitskameras oder Männer geht – der Schiedsmann klärt das Problem, damit es der Richter nicht tun muss.
SchiedsmannBruno Kosmala schlichtet, wenn es zwischen Nachbarn knallt

Seit rund elf Jahren ist Bruno Kosmala ehrenamtlicher Schiedsmann.
Copyright: Oliver Wahl
Innerhalb von zwanzig Minuten klingelt das Telefon viermal, und jedes Mal läuft das Gespräch gleich ab: Bruno Kosmala geht ran, stellt sich vor und fragt, worin das Problem bestehe. Die Antwort? Gartenzaun. Der 74-Jährige sagt erst mal nichts, lehnt sich in seinem schwarzen Schreibtischstuhl zurück und hört zu. Nach einigen Minuten fragt er schließlich: „Haben Sie da schon mit Ihrem Nachbarn drüber gesprochen?“ Die Antwort lautet, in allen Fällen, nein.
„Das ist eigentlich der Punkt, die Menschen reden nicht mehr miteinander“, sagt Kosmala, nachdem er am Telefon erklärt hat, wo der Gartenzaun stehen darf und welcher Abstand zur Grundstücksgrenze eingehalten werden muss. Und hier merkt man deutlich, dass Kosmala mal Politiker war - er hat etwas Staatsmännisches an sich. Wenn Kosmala spricht, hört man zu. Seit elf Jahren ist der Rentner ehrenamtlicher Schiedsmann. Einmal im Monat hat er Telefonsprechstunde: Zwei Stunden lang berät er dann Menschen aus ganz NRW – wegen Gartenzäunen, spielender Kinder oder Kameras, die auf das Haus des Nachbarn gerichtet sind.
Am häufigsten geht es um Zäune, Hecken und Bäume
An allen anderen Tagen ist er für den Stadtteil Baumberg in Monheim am Rhein zuständig, in der Stadt, in der er schon seit rund 40 Jahren wohnt. Dort schlichtet er die Art von Streitigkeit, die gut und gerne vor dem Bundesgerichtshof landen könnten. Zu hohe Hecken und Bäume, die über die Grundstücksgrenze wachsen – damit beschäftigen sich am Ende die Richter in Karlsruhe, wenn es Menschen wie Kosmala nicht schaffen, den Zwist vorher zu schlichten.
Es gibt die kuriosesten Geschichten, mit der die Justiz sich hier beschäftigt. Wie zuletzt eine Bambushecke, die laut Kläger zu hochgewachsen war. In Karlsruhe verwies man jedoch darauf, dass es für Hecken keine Höhenbegrenzungen gibt. Und dann waren da noch Regina Zindler, ihr Maschendrahtzaun und der Knallerbsenstrauch ihres Nachbarn, der um die Jahrtausendwende für Schlagzeilen und Lacher sorgte.
Zindler hatte klären wollen, ob der Strauch des Nachbarn ihren Zaun ruiniere, und den Streit bei TV-Richterin Barbara Salesch ausgetragen. Komiker Stefan Raab macht aus dem Zwist ein Lied – und das ging, wie man heute sagen würde, viral. Plötzlich war die Auerbacherin ein Star, wenngleich sie ihren Ruhm nicht genießen konnte. Menschen feierten Partys vor ihrem Zaun, die Polizei musste einschreiten. Etwas Gutes hatte Raabs Späßchen am Ende aber doch: Zindlers Nachbar willigte schließlich ein, den Strauch umzupflanzen.

Regina Zindler trug ihren Nachbarschaftsstreit im Fernsehen aus.
Copyright: picture alliance / dpa
Ähnlich absurd war Kosmalas erster Fall, berichtet der Schiedsmann. Vor etwa elf Jahren hätten zwei ältere Damen in seinem Büro gesessen, das der Schiedsmann in der oberen Etage seines Hauses eingerichtet hatte. Am Glastisch stritten sie nicht etwa über den Garten oder die Grundstücksgrenze. „Nein, die zwei stritten sich um einen Mann“, erzählt Kosmala, verschränkt die Arme vor der Brust und lacht.
Sie stritten und stritten, bis es schließlich eskalierte und vulgär wurde. „Da sagt die eine zu der anderen: ‚Ich weiß, warum du abends deine Zähne ins Glas tust“, berichtet Kosmala und grinst. Dann folgten intime Details und Unterstellungen. Zu einer Einigung sei es schließlich doch gekommen, erzählt er. Die Dame, die den Antrag auf Schlichtung gestellt habe, durfte den Mann behalten. „Mit den Worten ‚Nimm den Alten doch, der taugt sowieso nichts‘ hat die Antragsgegnerin den Streit beendet. Und ich habe mich nur gefragt, auf was ich mich hier eingelassen habe.“
Doch Kosmala hat sich nicht abschrecken lassen, sitzt auch heute noch in seinem Büro und berät Mitbürger. „Weil ich schon immer gerne mit Menschen und deren Probleme gearbeitet habe“, so der Schiedsmann. Zunächst war er Niederlassungsleiter einer süddeutschen Maschinenbaufirma, dann saß er für die CDU im Rat der Stadt Monheim. Als er 2014 sein Mandat verlor, habe er sich auf das Amt des Schiedsmanns beworben.
Zwischen 10 und 15 Streitigkeiten schlichtet der Schiedsmann jährlich
Kosmala verändert durch seine Arbeit das Leben der Menschen, aber das Ehrenamt hinterlässt auch Spuren bei ihm. „Ich bin nicht mehr so emotional, wie ich es mal war.“ Er rege sich beispielsweise beim Fußball nicht mehr so sehr auf. Auch sei er nachdenklicher geworden. Denn er müsse „zur Kenntnis nehmen, wie unterschiedlich unsere Mitmenschen gestrickt sind, zu was sie in der Lage sind und zu was nicht.“
Zwischen 10 und 15 Streitigkeiten schlichtet Kosmala im Jahr. „Die Tendenz ist aktuell eher rückläufig“, sagt er. Das liege zum einen an den Nachwirkungen der Coronapandemie, als niemand in sein Büro kommen konnte. Zum anderen wüssten viele Menschen nicht, was ein Schiedsmann mache und wieso es sinnvoll sei, seine Probleme dort zu regeln.
Mein Ziel ist, dass zwei Personen das Haus verlassen, ohne ihr Gesicht zu verlieren
„Das Ziel ist, dass hier zwei Personen das Haus verlassen, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Wenn man sich mit einem Vergleich einigt, gibt es hier keine Verlierer.“ Außerdem habe das Schiedsamt den Vorteil, dass die zuständigen Personen Probleme klären könnten, ohne, dass die Polizei oder Justiz eingeschaltet werden müsse. Zu diesen Streitigkeiten zählen neben nachbarrechtlichen Konflikten auch Privatdelikte, etwa Beleidigungen, Hausfriedensbruch und üble Nachrede.
Bei einer Schlichtung versuchen beide Konfliktparteien in einem Gespräch zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, Kosmala dient als Vermittler. „Das ist ein psychologisches Spiel“, sagt er. „Ich darf keinen Druck ausüben.“ Aber er dürfe das Gespräch lenken. Und manchmal reiche es, die Argumente eines Streitpartners zu wiederholen. Dadurch „wird ihm dann bewusst, was er überhaupt von sich gegeben hat“.
Als Schiedsexperte sollte man nicht parteiisch sein
Ist ein Streit geklärt, stellt Kosmala einen Vergleich aus. Der ist 30 Jahre vor Gericht vollstreckbar. Wenn ein Nachbar bei einem solchen Vergleich beispielsweise zustimme, zweimal pro Jahr seine Hecke zu schneiden, könne das gerichtlich durchgesetzt werden, erläutert der Schiedsmann. „Scheitert eine Schlichtung, stelle ich eine Bescheinigung aus, damit kann man dann direkt vor Gericht gehen und den Streit dort verhandeln.“
Kosmalas Schlichtungen seien in 80 Prozent der Fälle erfolgreich, sagt er. Hin und wieder gebe es auch Situationen, die ihm Schwierigkeiten bereiteten. Dann spreche er mit einer Kollegin, tausche mit ihr Erfahrungen aus oder frage sie nach Rat. Einige Menschen seien zu starrsinnig für Kompromisse, sagt Kosmala. „Da ist es nicht immer einfach, zu vermitteln. Als Schiedsmann muss man unparteiisch bleiben. Sobald ich parteiisch werde, verliere ich das Vertrauen der Menschen.“
Manchmal muss die Polizei eingeschaltet werden
Bei einem seiner Fälle sei ihm das besonders schwergefallen, als die Nachbarin einer Tagesmutter ein ätzendes Mittel auf die Treppe neben ihrer Wohnungstür gesprüht hatte. „Die Dame fühlte sich von den Kindern, die dort ihre Schühchen auszogen, gestört. Den Kindern hat es den Popo verätzt.“
Kosmala habe der Tagesmutter empfohlen, die Polizei hinzuzuziehen. Danach sei es zur Schlichtungsverhandlung gekommen, bei ihm im Büro. „Und dann habe ich wirklich mal meinen alten Grundsatz beiseitegelegt. Dann bin ich parteiisch geworden und habe zu der Frau gesagt: Sie haben sich an den schutzlosesten Geschöpfen unserer Gesellschaft vergriffen. Schämen Sie sich gar nicht?“ Am Ende habe die Dame alles zugegeben, sich entschuldigt und ein Bußgeld bezahlt.
„Doch dann kam sie an einem anderen Tag wieder, heulte wie ein Schlosshund und erzählte mir, sie wäre, seitdem ihr Mann verstorben ist, so allein. Das war der Knackpunkt“, sagt Kosmala. Oft seien die Streitigkeiten, die er schlichten müsse, gar nicht das Hauptproblem, sondern eher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. „Der Mensch ist schon ein sehr kompliziertes Wesen.“ Um damit umzugehen, brauche man eine „gehörige Portion Lebenserfahrung“. Deshalb finde er es gut, dass zu junge Menschen das Ehrenamt noch nicht ausüben dürfen. Die Altersgrenzen unterscheiden sich je nach Bundesland, in NRW müssen Schiedsleute zwischen 25 und 75 Jahre alt sein.
Neben Lebenserfahrung brauche es außerdem Empathie und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, um als Schiedsperson zu arbeiten, erklärt Kosmala. Gerade lasse er sich zum Mediator ausbilden, auch, um die Psyche des Menschen besser zu verstehen. Doch eine ganz bestimmte Sache, die müsse man in jedem Fall mitbringen: „Du musst Menschen lieben. Dann kannst du was bewegen.“