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Prozess startetVersagten im Fall des Solinger Attentäters Issa al Hasan die Ausländerbehörden?

Lesezeit 5 Minuten
Der Täter des Messerangriffs von Solingen wird zu einem Hubschrauber gebracht. Zuvor war der Verdächtige dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH) vorgeführt worden, der Haftbefehl erlassen hat.

Der Täter des Messerangriffs von Solingen wird zu einem Hubschrauber gebracht. Zuvor war der Verdächtige dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH) vorgeführt worden, der Haftbefehl erlassen hat.

Auf dem „Festival der Vielfalt“  in Solingen tötete im August 2024 ein Messerstecher drei Menschen. Nun beginnt der Strafprozess in Düsseldorf.

Am 23. August 2024 hat Issa Al Hasan längst seinen Plan gefasst. Auf dem anstehenden „Fest der Vielfalt“ in Solingen will der Syrer ein Blutbad unter den „Ungläubigen“ anrichten. Die sollen sterben, so viele wie möglich.

Der abgelehnte Asylbewerber legt bei seinem IS-Kontaktmann einen Treue-Schwur ab. Für knapp 30 Euro kauft er am Mittag ein Messerset in einem örtlichen Geschäft. Mit einer der langen Stichwaffen geht er abends auf das Fest zum 650-jährigen Bestehen der Stadt. In der Menge vor einer Seitenbühne am Fronhof lässt er die Klinge ohne Vorwarnung von hinten auf seine wehrlosen Opfer niedersausen. Zwei Männer und eine Frau im Alter von 56 bis 67 Jahren sterben, acht weitere Menschen erleiden teils lebensgefährliche Verletzungen, in zwei Fällen verfehlt das Messer die Festival-Gäste, zerfetzt aber ihre Kleidung.

Drei Tote und acht teils schwerverletzte Festbesucher

Gegen 21.37 Uhr gellen verzweifelte Hilferufe über das Festgelände. Tags darauf bekennt sich der IS zu dem Terroranschlag. Seit der tödlichen Lkw-Attacke durch den tunesischen Terroristen Anis Amri auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheid-Platz in Berlin im Dezember 2016 mit elf Toten wieder das erste Mal. Trotz des Niedergangs in Syrien und im Irak sorgt der IS aus der Levante und aus Afghanistan immer wieder für Terrorakte in Westeuropa und Deutschland.

Vom kommenden Dienstag an muss sich der inhaftierte Issa al Hasan im Hochsicherheitstrakt vor einem Düsseldorfer Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) verantworten. Es geht um dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord. Über den Messenger-Dienst Telegram soll der Dschihadist vor der Tat ein IS-Mitglied kontaktiert und den Anschlag ausgeheckt haben. Dem Mittelsmann soll er auch kurz vor den Messerattacken ein Video geschickt haben, das die Terror-Garden im Netz verbreiteten.

Terrorprozess im Düsseldorfer Hochsicherheitstrakt

Der „Spiegel“ berichtete, dass Al Hasan bereits als Islamist eingereist sei. Hierzulande soll er sich demnach während des Nahost-Konfliktes zwischen Israelis und der palästinensischen Hamas weiter radikalisiert haben. Ein Dschihadist, der stets unter dem Radar hiesiger Sicherheitsbehörden agierte.

Im Gefängnis behauptete Al Hasan laut dem Nachrichtenmagazin gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen später, er habe nichts mit dem IS zu tun. Er sei von einem Unbekannten per Chat manipuliert worden, der Mann habe ihm und seiner Familie das Paradies versprochen. Er will Halluzinationen bekommen und wie im Wahn zum Messer gegriffen haben. Erst nachdem ihn die Polizei festgenommen hatte, sei ihm das Ausmaß der Tat bewusst geworden, behauptete der Angeklagte. Die Bundesanwaltschaft hingegen geht von keiner seelischen Störung aus.

Der Messer-Attentäter soll behauptet haben, er habe Halluzinationen gehabt und im Wahn zugestochen

In dem Prozess wird sicherlich auch das Versagen der Ausländerbehörden zur Sprache kommen, allem voran die Pannen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die zuständigen Stellen in NRW. Insbesondere Landesflüchtlingsministerin Josefine Paul geriet wegen eines schlechten Krisenmanagements ins Gedränge. Offenbar agierte die Grünenpolitikerin nach dem Attentat tagelang wie im Blindflug, hielt sich mit Informationen bedeckt, obschon ihr Haus bereits alle Fakten der Ausländerakte des Angreifers kannte.

Seit Wochen durchleuchtet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag die Kommunikationspannen der Landesregierung. Der Fall hat einmal mehr die Diskussionen über Sicherheitslücken bei der Einreise junger Männer aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan befeuert.

Der Attentäter sollte zuvor nach Bulgarien abgeschoben werden

Die Befragungen Al Hasans durch das BAMF dokumentiert das häufige Dilemma in solchen Fällen. Die Angaben über angebliche Verfolgungen oder Bedrohungslagen in der syrischen Heimat des mutmaßlichen Attentäters waren kaum nachprüfbar. Bald nach seinem Asylantrag am 27. Januar 2023 stellte sich heraus, dass der Syrer alle Voraussetzungen für einen Abschiebe-Fall nach dem europäischen Dubliner Flüchtlingsabkommen erfüllte. Schließlich war er bereits in Bulgarien als Asylbewerber per Fingerprint über das Eurodac-System aktenkundig geworden war.

Seine Asyl-Akte belegt indes, wie leicht es dem Syrer fiel, die hiesigen Ausländerbehörden zu täuschen. Zu den Fluchtgründen befragt, behauptete der Asylbewerber, dass ihm in seiner Heimat der Wehrdienst drohe. Zugleich bat er darum, ihn nicht nach Bulgarien abzuschieben. „Die Behörden dort schicken Menschen wieder nach Syrien zurück“, so seine Behauptung.

Der ausreisepflichtige Syrer war verschwunden, als die Mitarbeiter der Ausländerbehörde kamen

Am 5. Juni 2023 sollte Al Hasan per Flugzeug die Rückreise nach Sofia antreten. Als Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld den Abschiebekandidaten aus seiner Unterkunft abholen wollten, war dieser verschwunden. Kurz darauf tauchte der Gesuchte zwar wieder auf. Die Rückführung nach Bulgarien aber scheiterte, weil ein zweiter Versuch unterblieb. Im BAMF spricht man in diesem Zusammenhang von einem dilettantischen Abschiebeversuch durch die NRW-Behörden.

Fortan jedenfalls erhielt Issa Al Hasan in NRW einen subsidiären Schutzstatus. Er kam in einer Flüchtlingseinrichtung in der Solinger City unter. Nur noch einmal unterzog sich der Migrant beim BAMF einer weiteren Anhörung. „Aber auch hier hat sich nichts Auffälliges ergeben“, hieß es.

Anwalt fordert lebenslange Haft

Im August vergangenen Jahres griff Al Hasan dann zu seinem Messer, verließ das Flüchtlingsheim und schlug zu. Der syrische Migrant hatte sich unbemerkt von den Behörden zum „Heiligen Krieger“ entwickelt, der die westlichen „Kreuzzügler“ bekämpfen wollte.

Seine Opfer, die überlebt haben, und Angehörige der Toten sind laut ihrem Anwalt Simon Rampp schwer traumatisiert. Er habe allen acht Mandanten geraten, zunächst einmal nicht im Prozess zu erscheinen. „Die Gefahr ist groß, dass bei der Anklageverlesung Emotionen hochkommen, das ist harter Tobak“, sagte der Solinger Strafverteidiger dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Nur einer der Klienten werde sich dem Ganzen vor Gericht aussetzen.

„Aus meiner Sicht ist die Beweislage erdrückend. Die Ermittler haben extrem gute Arbeit geleistet“, ergänzte Rampp. Er sich werde sich für die Höchststrafe gegen Issa Al Hasan einsetzen, sollten die Strafvorwürfe zutreffen. Dies würde bedeuten: Lebenslange Haft nebst Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie eine anschließende Sicherungs-verwahrung. „Wir setzen alles daran, dass der Prozess im Sinne der Opfer zu einer vollständigen Aufklärung führt.“