Fünf junge Menschen sollen sich an einer rechten Terrorzelle beteiligt haben. Ist das die aufgegangene Saat, die in rechtsextremen Jugendgruppen gesät wird?
14-Jähriger in U-HaftSport, Natur, Radikalisierung – der Boom rechtsradikaler Jugendgruppen

Die Bundesanwaltschaft ist am frühen Mittwochmorgen in mehreren Bundesländern gegen eine mutmaßliche rechte Terrorgruppe vorgegangen. Fünf Verdächtige lässt die oberste Strafverfolgungsbehörde festnehmen - sie sind zwischen 14 und 18 Jahre alt.
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Als Polizisten am Mittwochmorgen fünf Mitglieder der rechtsextremen Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ festnahmen, fiel vor allem eins auf: Bei den Beschuldigten handelt es sich größtenteils um Teenager, zwei der Festgenommenen sind gerade einmal 15 Jahre alt. Ein 14-Jähriger befindet sich bereits in Untersuchungshaft. Die vier Mitbeschuldigten werden ebenfalls dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgeführt werden.
An den Festnahmen und Durchsuchungen waren den Angaben zufolge mehr als 220 Polizeibeamte des Bundeskriminalamts (BKA) und der Bundespolizei sowie Polizeikräfte aus Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Mittelhessen beteiligt. Die Taten, die die jungen Männer in Thüringen und Brandenburg begangen haben sollen, wirken erschreckend. Die beiden 15-Jährigen stehen im Verdacht, ein Kulturhaus angezündet zu haben; zwei weitere Mitglieder der Gruppe schossen mutmaßlich mit Pyrotechnik auf eine Unterkunft für Geflüchtete. Die Jugendlichen sollen sich bei der Tat gefilmt haben, was wohl eine „Aufnahmeprüfung“ darstellte. Weitere Anschläge waren wohl in Planung.
Die Vorwürfe, die die Bundesanwaltschaft der Gruppe macht, sind entsprechend schwerwiegend. In einer Pressemitteilung zu den Razzien ist von Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, besonders schwerer Brandstiftung, Sachbeschädigung und in zwei Fällen, sogar von versuchtem Mord die Rede.
Zahl der rechtsextremen Nachwuchsorganisationen nimmt zu - auch die Gewaltbereitschaft der Mitglieder
Wie kann es sein, dass 15-Jährige rechtsextreme Anschläge planen, anstatt sich wie andere Jugendliche mit dem Heranwachsen zu beschäftigen? Anstatt auf Partys zu gehen, den ersten Liebeskummer zu haben und sich mit ihren Eltern zu streiten? Eine mögliche Antwort auf diese Frage findet sich in den zahlreichen rechtsradikalen Nachwuchsgruppen, die sich in den letzten Monaten in Deutschland gegründet haben. Dass rechte Aktivisten versuchen, junge Menschen anzulocken, ist zwar nicht neu. Experten warnen seit einiger Zeit aber vor einer schnell wachsenden Zahl rechtsextremer Nachwuchsorganisationen – und vor einer neuen Qualität der Gewaltbereitschaft ihrer Mitglieder, die Sicherheitsbehörden als „aktionsorientiert“ bezeichnen.
Eine dieser Bewegungen sind die rechtsextremen „Active Clubs“, die sich seit einiger Zeit in Deutschland und anderen europäischen Ländern ausbreiten. 2024 gründeten sich drei Ableger der Bewegung in NRW. Die Bildsprache der Bewegung ist eindeutig: Auf Instagram posten sie schwarz-weiße Bilder von muskelbepackten Männern mit Sturmmasken und Fahnen. In einem Video rappt ein junger Mann mit Seitenscheitel von „weißen Jungs mit schwarzen Herzen“, die „standhaft und stabil für ihr Volk” sein – es ist der Rapper Azatro, ehemaliges Mitglied eines rechtsextremen Musiklabels aus Sachsen. Das Video findet sich auf dem Account eines der „Active Clubs“ in NRW, unter dem Post wird auf zwei weitere Gruppierungen im Bundesland verwiesen. Alle drei Accounts haben eine ähnliche Bildsprache, alle drei haben als Profilbild ein weißes Wappen auf schwarzem Grund. Das einheitliche Auftreten ist kein Zufall, die Gruppen sind Teil einer übergeordneten Bewegung von „Active Clubs“, die aus den USA kommt.
Nach außen hin bieten die Clubs sportliche Aktivitäten an, häufig ist es Kampfsport. Auf Posts in Social-Media-Kanälen werben sie mit gemeinsamen Trainings, filmen sich beim Boxen, Liegestützen und Ringen. Doch zwischen der Werbung für Sporteinheiten finden sich zahlreiche politische Beiträge. Ein Post auf dem Telegram-Kanal des deutschlandweiten Dachverbands der Clubs zeigt Mitglieder bei einer Demonstration von Neonazis in Dresden, die dort jährlich einen Gedenktag für Bombenopfer des Zweiten Weltkriegs inszenieren. Wie viele andere rechtsextreme Jugendgruppen gründeten sich die Active Clubs im vergangenen Jahr – und wuchsen schnell.

Die Bildsprache der Active Clubs ist eindeutig.
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„Bei den sogenannten Active Clubs ist es bemerkenswert, wie schnell zahlreiche Regionalgruppen und Social Media Profile 2024 in Deutschland aufgetaucht sind“, sagt Sabine Reimann. Sie forscht an der Fachhochschule Düsseldorf zum Themenschwerpunkt Rechtsextremismus und Neonazismus. Nach ihrer Einschätzung versuchen die Aktivisten hinter den neu gegründeten Clubs das gleiche wie andere Jugendbewegungen der rechtsextremen Szene: „Was wir hier sehen, ist eine neue Form der sogenannten rechtsextremen Erlebniswelt. Diese Gruppierungen machen nach außen hin unverfängliche Angebote wie Sportstunden, gemeinsame Freizeitgestaltung und soziale Betreuung“, so die Expertin. Doch im Kern gehe es immer um Radikalisierung. „Aber wenn die politischen Inhalte subtil vermittelt werden, vielleicht beim Lagerfeuer nach einer langen Wanderung, holt man junge Menschen besser ab“, sagt Sabine Reimann.
Rechtsextreme Straftaten nehmen zu
Die wachsende Zahl rechtsradikaler Jugendgruppen spiegelt sich auch in den politisch motivierten Straftaten. Von 2023 auf 2024 stieg die Zahl der Delikte der „Politisch motivierten Kriminalität rechts“ um mehr als 47 Prozent, wie das Bundesinnenministerium am Dienstag mitteilte. Bezogen auf alle Extremismusbereiche verzeichnete die Behörde den größten Anstieg politisch motivierter Straftaten seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2001. Auch in NRW ist ein klarer Trend zu erkennen, wie das kürzlich veröffentlichte „Lagebild Rechtsextremismus“ des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes zeigt. Demnach sind die rechtsextremen Straftaten im Bundesland im vergangenen Jahr um 60 Prozent angestiegen – von 3549 auf 5641. Die Zunahme an rechtsextremen Delikten ist damit noch größer als im Bundestrend. Die große Mehrheit der Taten sind Propagandadelikte, etwa Graffitis mit rechten Parolen. Das Personenpotenzial der Szene in NRW stieg von 3745 auf 4010 Personen.
Auch hinter den „Active Clubs“ stecken laut des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes professionelle rechtsextreme Aktivisten, als Initiator gilt der Neonazi Patrick Schröder. Dieser warb im Sommer 2024 in einer Szenezeitschrift dafür, die aus den USA kommende Bewegung auch in Deutschland zu etablieren. Seitdem gewinnen die „Active Clubs“ mit professionellem Marketing rasant an Bedeutung: Allein der Kanal des Dachverbands der deutschen Ableger hat auf der Messenger-Plattform Telegramm über 4000 Mitglieder. Die drei Instagramaccounts in NRW kommen zusammen auf rund 1800 Follower.
Die verschiedenen Nachwuchsorganisationen der rechtsextremen Szene sprechen zwar unterschiedliche Klientel an. Eins aber haben die Heranwachsenden, die sich radikalisieren, gemeinsam: Sie werden in einem Deutschland groß, in dem zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik eine rechtsextreme Partei zweitstärkste Kraft ist. [TM9]
Doch die gestiegene Präsenz rechter Gruppen ist nicht der einzige Grund, warum sich junge Menschen radikalisieren, sagt eine Mitarbeiterin im Präventionsreferat des Verfassungsschutz NRW. Sie arbeitet als Ausstiegsbegleiterin im Programm „Spurwechsel“, ihren Namen möchte sie aus Selbstschutzgründen nicht veröffentlicht wissen. „Aus Sicht der Ausstiegsbegleiter ist es meistens nicht so, dass die Jugendlichen eine ideologische Voreinstellung in die Szene mitbringen“, sagt die Sozialpädagogin. „Meist entsteht der Kontakt zu Gruppierungen wie den Active Clubs aus Gefühlen wie Einsamkeit, Unsicherheit oder Zurückweisung – Probleme, an die diese Gruppierungen sehr intelligent anknüpfen.“ Sie würden die Personen da abholen, wo sie sind, und ihnen ein Gefühl von Gemeinschaft und Sinnstiftung geben.
Die rechtsextremen Inhalte werden dann eher subtil vermittelt, um niemanden zu verschrecken. Daher sei es wichtig, dass das Umfeld gefährdeter Personen zügig einschreite, so die Ausstiegsbegleiterin. Denn das Zeitfenster, in dem man sich radikalisierende Personen noch erreiche, sei sehr eng: „Jugendliche brauchen dann schnell ein attraktives Alternativangebot an sozialen Kontakten und Aktivitäten, das sie auslastet und ihnen einen Sinn gibt.“
Wo eine Lücke im demokratischen Angebot entsteht, strömen Rechtsextreme hinein
Diese Angebote gibt es in Deutschland reichlich – von Bildungseinrichtungen, Sportvereinen, sozialen Initiativen, Religionsgemeinschaften. Doch angesichts der vielen Krisen und des fehlenden Wirtschaftswachstums könnten in Zukunft staatliche Fördergelder gestrichen werden, ohne die viele Projekte nicht überleben würden. „Gerade in Zeiten, in denen wir einen massiven Anstieg rechtsextremer Tendenzen auch unter Jugendlichen sehen, braucht es einen Ausbau und keine Kürzung solcher Projekte“, sagt die Wissenschaftlerin Sabine Reimann. Wichtig sei etwa, dass soziale Einrichtungen dauerhafte Förderungen erhielten, um ihre Arbeit langfristig planen zu können. Ein solches Vorhaben wollte die vergangene Bundesregierung mit dem „Demokratiefördergesetz“ umsetzen, die Neuwahlen beendeten das Projekt vorläufig.
Wie es mit ihren Subventionen weitergeht, bleibt daher für viele Beratungsstellen und andere Projekte gegen Rechtsextremismus ungewiss. Und auch wenn Experten skeptisch sind, ob die „Active Clubs“ sich langfristig in der Szene etablieren werden, ist klar: Wo eine Lücke im demokratischen Angebot entsteht, strömen Rechtsextreme hinein. Wie im Fall der „Active Clubs“ in NRW. Im neuesten Post eines der Accounts feiert der Club sein einjähriges Bestehen, die Bilder zeigen junge Männer in schwarzen Klamotten, mit Fahnen und maskierten Gesichtern. Unter dem Post steht der Aufruf „get active“ – werde aktiv.