Die Drogen-Lüge über Merz ist der bisherige Höhepunkt einer russischen Propaganda-Kampagne. Was Moskau damit bezweckt.
„Eure Städte werden brennen“Hass, Lügen, Drohungen – Putins Propaganda-Maschine nimmt jetzt Deutschland ins Visier

Applaus für die Top-Propagandistin: Kremlchef Wladimir Putin beklatscht RT-Chefin Margarita Simonjan. (Archivbild)
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Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn Kremlsprecher Dmitri Peskow den Tonfall des Westens gegenüber Russland beklagt. „Die Sprache von Ultimaten ist inakzeptabel für Russland, sie ist nicht angemessen“, erklärte Peskow am Montag – und meinte das offenbar absolut ernst. „So kann man nicht mit Russland sprechen“, fügte der Kremlsprecher an und schmetterte damit die Forderung des Westens nach einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine mit deutlichen Worten ab.
Zuvor hatte die deutsche Bundesregierung erklärt: „Die Uhr tickt.“ Bis zum Montagabend erwarte man, dass Russland das Feuer einstellt, hieß es von Regierungssprecher Stefan Kornelius. Damit bekräftigte er das zuvor aufgestellte Ultimatum der „Koalition der Willigen“ und drohte mit neuen Sanktionen gegen Russland.
Moskau pöbelt vulgär – und kritisiert dann den Tonfall des Westens
Am Samstag hatte Kanzler Friedrich Merz zusammen mit den Staatschefs von Großbritannien, Frankreich und Polen in Absprache mit der Ukraine und den USA den Druck auf Moskau erhöht – und den Kreml aufgefordert, die Angriffe auf die Ukraine für 30 Tage einzustellen. Wie Peskows Worte bereits vermuten ließen, folgte Moskau diesem Aufruf nicht – und greift weiterhin Ziele in der Ukraine an.
Am Dienstag vermeldeten russische staatliche Nachrichtenagenturen zahlreiche Angriffe auf Ziele in der Ukraine. Und auch verbal gibt es in Moskau nicht das geringste Zeichen für eine Abrüstung – was Peskows Beschwerden über den Tonfall des Westens nur noch absurder erscheinen lässt.
Wladimir Putin hat seine Propaganda-Maschinerie auf Europa ausgerichtet
Bereits seit Wochen hat der Kreml seine Propaganda-Maschinerie vermehrt auf Europa ausgerichtet – zahlreiche Nazi-Vergleiche und vulgäre Beleidigungen inklusive. Noch kurz vor Peskows Beschwerde hatte der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew den Westen mal wieder mit einer seiner unflätigen Attacken überzogen: Die Friedenspläne könnten sich die Europäer „in ihre Ärsche schieben“, hieß es von Putins langjährigem Weggefährten.
Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die russische Propaganda dann aber zu Wochenbeginn. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa und Putins Günstling Kirill Dmitrijew verbreiteten in den sozialen Medien ein Video, auf dem Merz mit Emmanuel Macron und Keir Starmer zu sehen war – und machten dazu eindeutige Anspielungen auf angeblichen Drogenkonsum der drei Staatschefs.
Russisches Staatsfernsehen: Hass auf Deutschland und Frankreich
Eine Grundlage dafür gab es nicht: Was in Moskau zu einem Beutel Kokain umgedeutet wurde, war tatsächlich nur ein zerknülltes Taschentuch. Ein vermeintlicher „Kokslöffel“ entpuppte sich als schlichter Cocktailspieß. Auch hier scheint das Motiv hinter der plumpen Lügen-Kampagne jedoch klar zu sein: Moskau geht es darum, Unruhe, Zweifel und auch Ängste im Westen zu schüren.

Der russische TV-Moderator Wladimir Solojow hat Deutschland und Frankreich in seiner Talk-Sendung mit Drohungen überzogen. (Archivbild)
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Das russische Staatsfernsehen hat daran in diesen Tagen ebenfalls seinen Anteil: So nutzte der populäre TV-Moderator Wladimir Solowjow seine sonntägliche Talkshow beim Sender Rossija-1 wieder, um Hassgrüße in Richtung Europa zu entsenden.
Solowjow droht im Staats-TV: „Eure Städte werden brennen“
Die Wortwahl wird dabei selbst bei dem ohnehin schon glühenden Kriegsbefürworter Solowjow immer drastischer: „Wenn ich die Franzosen und Deutschen sehe, wenn ich ihre Diskussionen über die Ukraine höre, über Selenskyj, dann kann ich nichts anderes außer tiefen, berechtigten Hass gegenüber ihnen zu verspüren“, begann der Moderator einen seiner ausschweifenden und in bedrohlichem Tonfall vorgetragenen Monologe.
Wenn französische und deutsche Journalisten ihn in diesen Tagen fragten, ob Russlands Absichten ernst gemeint seien, antworte er stets: „Ja, es ist wahr. Wir werden euch alle zerstören, wir werden eure Städte zerstören, wenn ihr euch in diesen Krieg einmischt“, erklärte Solowjow weiter und setzte dabei hasserfülltesten Blick auf, den er im Repertoire hat. Der Westen positioniere sich derzeit als „Kriegsteilnehmer“, behauptete der Moderator weiter und drohte Deutschland und Frankreich: „Eure Städte werden brennen und leiden, so wie die Städte im Donbass gelitten haben.“
„Menschen wurden für Krieg geschaffen – Russen für den Sieg“
Damit nicht genug: Solowjow gab laut Übersetzung des „Russian Media Monitors“ noch weitere Einblicke in seine martialische Gedankenwelt. „Ich werde es auch weiterhin sagen: Menschen wurden für den Krieg geschaffen – und Russen für den Sieg“, propagierte der Moskauer Moderator. „Ich will, dass wir in den Kopf von allen Ausländern bekommen: Wir werden gewinnen“, sagte Solowjow – und freute sich schließlich noch darüber, dass Kremlchef Wladimir Putin bei seiner letzten Pressekonferenz erstmals von einem „Krieg“ gesprochen habe.
Putins neue Wortwahl – eigentlich darf in Russland nur von einer „Spezialoperation“ gesprochen werden – sorgte prompt auch bei Margarita Simonjan, der im Studio anwesenden Chefin des in der EU verbotenen Propaganda-Senders RT, für große Freude. „Natürlich ist es ein Krieg“, erklärte die Senderchefin gut gelaunt.
War die Drogen-Lüge ein Eigentor des Kremls?
Doch was bezweckt Moskau mit seinen absurden Propaganda-Geschichten – und hat der Kreml sich mit der schrillen Drogen-Lüge ein Eigentor geschossen? Es gibt Experten, die Russland ein Eigentor attestieren: „Stellen Sie sich vor, Sie würden erhebliche Mittel in die Verbreitung der Kokain-Taschentuch-Geschichte stecken, nur damit der einzige Erfolg darin besteht, das eigene Netzwerk aus Agenten und Internet-Kennern mit niedrigem IQ zu entlarven“, verspottete etwa der Politikwissenschaftler Aleksandar Djokic am Montag den Kreml.
Andere Experten äußerten sich unterdessen differenzierter – und verwiesen auf die Motivation, die hinter Russlands schrillen Drohungen, Lügen-Geschichten und Verdrehungen steckt. „Russische Propaganda ist wenig subtil und baut darauf auf, dass das Zielpublikum es glauben will“, erklärte der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski auf der Plattform X. „Es geht um Gefühl, nicht um Fakten oder Logik“, fügte Wehowski weiter hinzu. „Je dämlicher die Behauptung, desto besser.“
Moskaus Propaganda: „Es geht um Gefühl, nicht um Fakten“
Die Propaganda-Kampagne über den angeblichen Kokainkonsum von Macron und Merz sei aus russischer Sicht eine „erfolgreiche Informationsoperation“ gewesen, befand auch der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger am Dienstag.
Die „bekannten Putinisten“ hätten die Drogen-Lüge weiterverbreitet, außerdem habe Moskau „neue Propagandaträger identifizieren“ und „Unschlüssige verwirren“ können, erklärte der Professor für internationale Politik der Universität Köln. Das Ziel all dieser Propaganda-Attacken bleibe dabei stets, die westliche „Eliten“ zu delegitimieren, für „Zorn“ zu sorgen und „neue Anti-Wähler“ im Westen zu erreichen, führte Jäger bei X aus.
„Putin beobachtet den Diskurs in Deutschland ganz genau“
Diese „Anti-Wähler“ dürfte man in Russland vor allem in den Reihen der AfD und beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ausgemacht haben – beide Parteien haben sich immer wieder prorussisch positioniert und gegen die Unterstützung der Ukraine ausgesprochen. In Moskau hat man das zur Kenntnis genommen – und springt insbesondere der AfD immer wieder zur Seite. Auch das passt ins Bild.
„Putin beobachtet den Diskurs in Deutschland ganz genau“, hatte Wehowski im Gespräch mit dieser Zeitung bereits im März 2024 erklärt. Absurde Lügen würden dem Kreml derweil bei der russischen Bevölkerung nicht schaden. „Abseitige Behauptungen stören die Russen nicht“, so Wehowski.
Moskau bediene sich dabei oftmals des Prinzips „Flood the Zone with Shit“, warnte der Historiker bereits im Vorjahr. „Es wird einfach die Informationssphäre mit Quatsch zugemüllt – und was hängen bleibt, bleibt hängen.“ Umso größer der politische Druck auf Moskau wird, desto mehr dürfte also auch in Zukunft mit absurden Drohungen, Lügen und Verdrehungen aus Moskau zu rechnen zu sein.