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35 Minuten, die Trump erzürntenVerpatztes Telefonat mit US-Präsident soll Grund für Schweizer Zolldesaster sein

4 min
ARCHIV - 11.04.2025, Polen, Warschau: Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter nimmt am informellen Treffen der EU-Finanzminister und Zentralbankgouverneure teil. (zu dpa: «Schweiz nach Zollhammer unter Schock») Foto: Czarek Sokolowski/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

 Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter muss 

Ein Telefonat mit Donald Trump könnte für die Schweiz milliardenschwere Folgen haben. Was ist passiert?

Die Nachricht aus Washington traf die Schweiz am Vorabend ihres Nationalfeiertags wie ein Keulenschlag: 39 Prozent Zölle auf Schweizer Exporte in die USA, so das neue Dekret von US-Präsident Donald Trump. Damit liegt der Strafzoll nicht nur weit über dem bereits angedrohten Satz von 31 Prozent, sondern auch deutlich über dem, was andere Partnerstaaten zu tragen haben – die EU muss nur 15 Prozent entrichten. Der massive Unterschied sorgt für Entsetzen bei Politik und Wirtschaft.

„Die Regierung nimmt dies mit großem Bedauern zur Kenntnis“, heißt es in einer Mitteilung des Bundes. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter schrieb auf der Plattform X, die angestrebte Einigung auf einen niedrigeren Zollsatz sei „nicht zustande gekommen“.

Doch hinter dieser nüchternen Mitteilung verbirgt sich ein diplomatisches Fiasko – ausgelöst durch ein 35-minütiges Telefonat, zwischen Keller-Sutter und Trump, das offenbar alles zum Kippen brachte. Das geht unter anderem aus Berichten des Schweizer „Tages-Anzeigers“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) hervor.

Eine persönliche Mission wird zur Staatsaffäre

Noch im Frühling wurde Karin Keller-Sutter für ihren direkten Draht ins Weiße Haus gefeiert. Nach Trumps ersten Zollankündigungen im April war es ihr gelungen, in einem Telefonat mit dem US-Präsidenten eine Verschiebung der Maßnahmen zu erreichen. Sie wurde international für ihre Gesprächsführung gelobt, die „Washington Post“ sprach von einem „vertrauensvollen Austausch“. Die Schweizer Präsidentin zeigte sich selbstbewusst: Sie habe „offensichtlich Zugang zu Trump gefunden“, sagte sie.

Doch aus dem viel zitierten Zugang wurde wohl eine gefährliche Selbstüberschätzung. In der Folge hatte die Schweiz zwar mit US-Vertretern ein technisches Abkommen verhandelt, das unter anderem einen 10-Prozent-Zoll und Investitionen von rund 200 Milliarden Franken vorsah – aber es fehlte die entscheidende Unterschrift von Donald Trump. Wie die NZZ berichtet, hatten Länder wie Japan und Südkorea zu diesem Zeitpunkt längst deutlich größere Investitionszusagen gemacht, während die Schweiz noch intern an einem offiziellen Verhandlungsmandat feilte.

Der fatale 31. Juli

Als sich abzeichnete, dass die USA die Schweiz trotz des ausgehandelten Deals außen vor lassen könnten, entschloss sich Keller-Sutter, erneut selbst zu handeln. Am 31. Juli, am Vorabend des Nationalfeiertags, kam es zum zweiten direkten Telefonat mit Donald Trump. Doch diesmal endete es in einem Desaster.

Statt mit neuen Angeboten oder politischen Zugeständnissen ausgestattet, begann Keller-Sutter das Gespräch laut „Tages-Anzeiger“ mit Höflichkeiten über den Schweizer Nationalfeiertag und historischen Anekdoten. Trump hingegen kam schnell zur Sache: Das Handelsbilanzdefizit – laut US-Angaben rund 40 Milliarden Dollar zugunsten der Schweiz – sei „inakzeptabel“. Trump wollte mehr Geld sehen, keine Erklärungen. Keller-Sutter versuchte, das Defizit zu relativieren und verwies auf bestehende Investitionen und offene Märkte. Doch ihre Argumentation wirkte auf Trump offenbar belehrend.

Laut Recherchen des „Tages-Anzeigers“ war die Lage so angespannt, dass aus Trumps Umfeld eine SMS an die Schweizer Delegation geschickt wurde: „Beendet das Gespräch, sonst wird es noch schlimmer.“ Zwei Minuten später war Schluss – und der Deal geplatzt.

Wirtschaftliche Bedrohung – und politische Kritik

Die Reaktionen in der Schweiz sind heftig. Der Dachverband Economiesuisse spricht von einer „sehr ernsthaften Belastung“, Swissmechanic warnt, der Zollhammer könne den Werkplatz Schweiz ernsthaft gefährden. Schließlich sind die USA laut dpa mit einem Exportvolumen von 65,3 Milliarden Franken der wichtigste Absatzmarkt für die Schweiz – noch vor Deutschland.

Besonders betroffen sind exportstarke Branchen wie Maschinenbau und Medizintechnik. Ausgenommen von den neuen Zöllen ist dagegen bisher die Pharmaindustrie – wohl auch, weil Trumps Berater befürchten, dass dadurch die Medikamentenpreise in den USA deutlich steigen könnten. Dennoch: Die Aussicht auf 39 Prozent Zoll auf den Großteil der Schweizer Exporte alarmiert die gesamte Wirtschaft.

In der Bundesverwaltung wird laut NZZ und „Tages-Anzeiger“ nun auch Kritik an der Vorgehensweise der Bundespräsidentin laut. Keller-Sutter habe das Dossier zu sehr an sich gezogen, sei ohne Rückhalt des Gesamtbundesrats in das entscheidende Gespräch gegangen und habe dabei auf persönliche Diplomatie statt auf strategische Zugeständnisse gesetzt. Ihre Kritiker sagen: Trump wollte kein Argument – er wollte ein Angebot.

Ein Rückweg ist möglich – aber schwierig

Noch besteht ein kleines Zeitfenster: Bis zum 7. August können Nachverhandlungen geführt werden. In Bern laufen nun hektisch neue Gespräche – etwa über Kompensationen im Goldhandel, Investitionen in die amerikanische Infrastruktur oder sogar Importe von US-Frackinggas. Ideen gibt es viele, doch die Zeit drängt.

Wirtschaftsminister Guy Parmelin betont, es brauche jetzt eine „politische Lösung auf höchster Ebene“. Doch ob Trump noch einmal zu einem Deal bereit ist – und ob die Schweiz diesmal weiß, was sie ihm anbieten muss –, bleibt offen. (RND mit dpa)