Maximilian Pollux saß Jahre lang im Gefängnis. Heute hilft er Jugendlichen dabei, nicht kriminell zu werden. In seinem Buch „Gefährliches Ego“ beschreibt er, wie Narzissmus Menschen zu Verbrechern machen kann.
Gefährliches EgoMaximilian Pollux über Narzissmus und seine kriminelle Vergangenheit

Maximilian Pollux war selbst Straftäter und saß im Gefängnis. Heute klärt er über die Motive von Kriminellen auf. In seinem neuen Buch geht es um Narzissmus und wie sich dieser bei Straftätern – und ihm selbst – bemerkbar macht.
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Früher war Maximilian Pollux Straftäter. Das lag auch an seiner narzisstischen Persönlichkeitsstörung, glaubt er. Über die wurde er sich aber erst bei der Arbeit an seinem Buch „Gefährliches Ego“ bewusst. Heute habe er zum Glück andere Wege gefunden, sein starkes Bedürfnis nach Anerkennung, Respekt und Aufmerksamkeit zu befriedigen.
Herr Pollux, Sie haben ein Buch über Straftäter mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) geschrieben. Bei Ihren Recherchen entdeckten Sie, dass Sie wohl selbst darunter leiden?
Es sollte eigentlich kein Buch über mich werden! Ich wollte über Verbrechen und die Täter berichten, so wie ich es sonst auch in meinem Podcast tue. Und dabei wollte ich auf Narzissmus als Motiv für ihre Taten eingehen. Während der Arbeit an meinem Buch sagte meine Frau mir dann, dass ich wohl selber ein Narzisst bin. Und mir wurde klar, dass ich dem nachgehen muss, wenn ich das Buch schreiben möchte.
Ein Experte hat Ihnen dann bestätigt, dass Sie zumindest zum Zeitpunkt, als Sie Ihre Straftaten begingen, wohl eine NPS hatten.
Ja, wohlgemerkt, es ist vom pathologischen Narzissmus die Rede, für den Kriterien im Diagnose Manual für psychische Krankheiten festgelegt sind. Nicht nur einfach vom Alltagsnarzissmus, also einer gewissen Selbstbezogenheit, die bei vielen Menschen vorhanden ist.
Woran erkennt man den krankhaften Narzissmus?
Narzissten glauben, etwas ganz Besonderes zu sein. Als Narzisst will ich der Hauptdarsteller in meinem eigenen Film sein und will alles, was diese Rolle stärkt: zur Elite gehören, Bewunderung, finanziellen Erfolg, Liebe. Und ich denke, dass ich einen Anspruch darauf habe. Und dass ich andere benutzen kann, um diese Ziele zu erreichen. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Als Narzisst bin ich in meinen Augen immer der Mittelpunkt – nicht nur der Party, sondern der ganzen Welt. Dahinter steckt eine ganz tiefe Angst, nicht zu genügen. Und während normale Menschen sich das Gefühl geben können, auch ohne all das in Ordnung zu sein, können Narzissten das nicht.
Sie glauben, Ihre narzisstische Veranlagung ließ Sie zum Straftäter werden?
Ja, der Narzissmus war ganz klar ausschlaggebend für meine Straftaten. Denn meine Suche nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Respekt und Aufmerksamkeit ließ mich kriminell werden. Wobei Motive nach Kriminalität natürlich vielfältig sind.
Ich wollte zum Beispiel auch Geld: Aber warum war mir das so wichtig? Ich wollte ein Gefühl von Sicherheit, aber warum? Wenn man immer weiterfragt, kommt man zu einem leeren Kern im Inneren, der sich nicht von selbst füllt. Und zu dem Impuls, den unbedingt füllen zu wollen.
Wenn Narzissten nicht das bekommen, was ihnen vermeintlich zusteht, können sie gefährlich werden. Ein Täter in Ihrem Buch hatte noch nie eine Freundin. Deshalb läuft er schließlich Amok. Sie selbst wollten einmal einen Mann umbringen, mit dem Sie von Ihrer Freundin betrogen wurden. Was unterscheidet Sie trotz allem von den Mördern in Ihrem Buch?
Mörder sind sehr häufig ganz normale Menschen. Sie haben einen Beruf erlernt, zahlen Steuern und dann eines Tages bringen sie ihre Partnerin um. Ich war ein Berufskrimineller und hatte mit dieser Welt wenig zu tun. Ich würde mir allerdings wünschen, dass ich mich auch in anderen Aspekten von den Tätern in meinem Buch unterscheide. Was mich in jedem Fall von ihnen trennt, ist, dass ich nun ein „selfaware“- Narzisst bin. Also ein Narzisst, der sich über seinen Narzissmus bewusst ist. Das gibt es sonst eher selten.
Dem Experten zufolge ist es Ihnen gelungen, „durch Einsicht und harte Arbeit an sich selbst“ Ihren Narzissmus in einen sozial kompatiblen Modus „umgebaut“ zu haben. Ist eine NPS heilbar?
Per Definition muss es bei einer Persönlichkeitsstörung einen Leidensdruck geben, sonst ist es nicht pathologisch. Und ich lebe inzwischen sehr gut. Ob ich geheilt bin, daran habe ich aber meine Zweifel. Eigentlich sind Persönlichkeitsstörungen nicht wirklich heilbar. Was hieße auch in diesem Falle geheilt?
Ich habe mich nicht geändert. Ich bin immer noch dieselbe Person, habe aber einen sozial anerkannten Weg gefunden, um meinen Narzissmus auszuleben. Ich bin ein Workaholic, ich werde immer noch gerne gesehen, stehe gerne in der Öffentlichkeit. Wir ändern Menschen nicht, wir können in der Resozialisation nur erreichen, dass sie produktivere und ungefährliche Wege finden, um Bedürfnisse zu stillen. Ich habe mir Krücken in meinem Leben gebaut und bin seit 21 Jahren nicht mehr straffällig geworden. Aber was wäre, wenn mir meine Krücken eines Tages alle wegbrechen sollten? Würde ich hinfallen? Ich glaube nicht, aber wissen können wir das nie.
In Ihrem Buch nehmen Sie als Stilmittel oft die Perspektive der Täter ein, schildern deren Gedanken. Wo hört es für Sie auf, wann ist es Ihnen nicht mehr möglich, sich in jemand anderen hineinzuversetzen?
Bei Sexualstraftaten – auch die können durch Narzissmus begünstigt werden. In Kauf zu nehmen, dass jemand lebenslang leidet, um drei Minuten lang einen Trieb zu befriedigen – das ist für mich nicht vorstellbar.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Straftäter wie Anders Behring Breivik, der 77 Menschen getötet hat. Erreichen Narzissten wie er nicht ihr Ziel, wenn man Bücher über sie schreibt?
Das ist immer das Dilemma bei „True Crime“: Ich verdiene im Grunde mein Geld mit dem Leid anderer Menschen. Mein Weg, damit umzugehen, ist es, die narzisstischen Täter nicht zu glorifizieren, sie nie als etwas Mystisches oder wie Monster darzustellen, das wollen sie ja.
Stattdessen entscheide ich mich dafür, mit der Lupe draufzuschauen, wodurch sie menschlicher werden. Ich unterscheide zum Beispiel zwischen dem Mörder Breivik und Anders, dem kleinen Jungen, der er war. Anders war schwerem Missbrauch ausgesetzt durch eine psychisch absolut kranke Mutter. Er wurde komplett kaputt gemacht und vom System im Stich gelassen. Zu viel vom Falschen und zu wenig vom Guten, das ist die Erklärung, warum jemand zum Täter wird.
Breivik und auch die anderen Täter und Täterinnen in Ihrem Buch leiden nicht ausschließlich an einer NPS. Sondern in der Regel an weiteren, schweren psychischen Störungen. Narzissmus allein ist also nicht der Grund für ihre Verbrechen – und Menschen mit einer NPS sind auch nicht automatisch gefährlich?
Ja, in der Regel kommen bei Tätern noch andere Störungen hinzu. Ob Narzissmus gefährlich wird, kommt darauf an: In harmlosen Fällen leidet jemand gleichzeitig an ADHS und einer einfachen NPS – er wird dann vielleicht TV-Moderator und nicht Gewaltverbrecher.
Es gibt aber die besondere Form der malignen NPS, die einzige Persönlichkeitsstörung, die schon im Namen Bösartigkeit beinhaltet. Solche Narzissten leiden nicht nur unter Geltungssucht, sondern haben auch das Verlangen, anderen zu schaden. Mit positiver Aufmerksamkeit lässt sich das dann nicht kompensieren, weil der sadistische Anteil damit nicht zufriedengestellt wird.
Am ungünstigsten ist es, wenn beim malignen Narzissmus die antisoziale Persönlichkeitsstörung und der psychopathische Anteil besonders ausgeprägt sind. Solch ein Mensch wird leicht kriminell, hat kein Gewissen und schadet gerne anderen. Dazu kommt der Wunsch, gesehen zu werden – eine hochgefährliche Mischung.
Ein Täter aus Ihrem Buch wurde zunächst durch anonym gepostete Videos bekannt, in denen er Katzen quälte. Diese wurden millionenfach aufgerufen. Schließlich tötete er vor laufender Kamera auf brutalste Art und Weise Menschen. Kann einen die Gier nach immer mehr Aufmerksamkeit wirklich so weit treiben?
Dieser Täter war natürlich schwer gestört, aber ich glaube tatsächlich: Wenn er zu einem früheren Zeitpunkt an einer Reality-Show teilgenommen oder sonst wie erfolgreich auf Social Media geworden wäre und so seine Geltungssucht befriedigt hätte, wäre es vielleicht nicht zum Äußersten gekommen.
Narzissten müssen nicht unbedingt Gewalttäter werden – vor allem, wenn es sich nicht um die maligne Form der NPS handelt. Sie können aber auch auf andere Weise ihrem Umfeld oder der Gesellschaft schaden?
Ob und wie ein Narzisst zum Gewalttäter wird, hängt von den Umständen ab. Jemand aus einer reichen Familie wird wahrscheinlich nicht zum Räuber. Er geht aber vielleicht in die Politik oder die Wirtschaft und kann dort durch empathieloses Handeln großen Schaden anrichten. Das kann sich auch an der Grenze zur Kriminalität bewegen oder zu Verbrechen führen, die seltener entdeckt werden.
Alles, was dem Einfluss der Narzissten ausgesetzt ist, wird zu ihrem Spiegel. In einem Unternehmen mit narzisstischen Führungskräften herrschen toxische Arbeitsverhältnisse. Und unter einem narzisstischen US-Präsidenten wie Donald Trump verfällt das ganze Land allmählich in Paranoia.
Narzissten sind oft Betrüger oder Hochstapler – sind sie besonders gut darin, sich zu verstellen und ihr Umfeld zu manipulieren?
Ich würde es nicht so sehr als Verstellen oder Manipulation bezeichnen. Vielmehr ist es ihnen so wichtig, ein bestimmtes Bild von sich selbst aufrechtzuerhalten, dass sie selbst daran glauben. Das Image, das sie von sich haben, ist für sie alles. Sie entwickeln die Fähigkeit, so sehr an ihre eigene Wahrheit zu glauben, dass sie die Realität verbiegen und zum Beispiel auch andere Menschen leichter überzeugen können.
Sich Schuld einzugestehen ist für pathologische Narzissten schwierig bis unmöglich. Wie kann man da erreichen, dass narzisstische Straftäter sich ändern?
Ziel muss es sein, vom Schulddenken wegzukommen. Schuld zählt vor Gericht, aber was nützt es sonst, nach Schuld zu fragen? Lösungsorientiert zu denken, heißt vielmehr, Verantwortung zu übernehmen und Empathie zu entwickeln – für die Opfer oder möglichen Opfer seiner Taten. Auch das ist für Narzissten nicht einfach. Wenn man sich nämlich empathisch verhält, hat das den Nachteil, dass man selbst nicht immer nur das Beste kriegt.
Wie ist es Ihnen gelungen?
Es hilft, sich auf die Vorteile von Empathie zu konzentrieren. Ohne Empathie hat man einen hohen Verschleiß an Mitarbeitenden und Freunden. Und man kann eher als Straftäter rückfällig werden.
Auch ich habe Empathie erst lernen müssen. Dabei gilt – fake it until you make it. Je öfter man versucht, die Gefühle anderer zu berücksichtigen und Bestätigung dafür bekommt, desto besser gelingt es einem. Ich finde übrigens, Empathie lernen zu wollen, ist nichts, wofür man sich schämen muss. Die Anstrengung, eine gute Person sein zu wollen, sollte vielmehr belohnt werden.
Im Netz wird vor Beziehungen mit Narzissten gewarnt. Sie und Ihre Frau sind dem Buch zufolge glücklich verheiratet. Gibt es Menschen, die besser mit Narzissten zurechtkommen als andere?
Ja. Das sind Menschen, die selbst einen sehr festen Kern haben, klare Grenzen setzen können, autark und selbstständig sind. Umgekehrt gilt – wenn ich gerne mit meinem Partner verschmelze, dann ist ein Narzisst nicht das Richtige für mich, denn das kann er nicht leisten. Auch wenn ich extrem empathisch und sehr leidensfähig bin und schnell die Schuld auf mich nehme, ist das keine gute Voraussetzung. Denn der Narzisst wird im Streit immer einen Schuldigen suchen. Auch ein narzisstischer Chef würde das übrigens ausnutzen.
Gab es einen bestimmten Moment, in dem Sie beschlossen haben, sich ändern zu wollen?
Es war ein Prozess. Wichtigen Anteil daran hatte meine Arbeit im sozialen Bereich. Als ich mit meiner Frau den „Sichtwaisen e. V.“ gegründet habe (ein Jugendhilfeverein, Anm. d. Red.), war dies das erste Mal, dass ich nicht für Geld und Anerkennung von außen gearbeitet habe. Wenn ich heute einem Jugendlichen dabei helfe, in fünf Jahren nicht straffällig zu werden, bekomme ich dafür nicht mehr Geld. Im Gegenteil: Es wird bei weniger Jugendkriminalität eher weniger Geld für unsere Arbeit geben, es gibt auch wenig Lob. Das Ziel der Arbeit ist nicht, dass es mir selbst am besten geht. Sondern, dass es anderen besser gehen soll.
