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Interview

Depression im Alter
„Viele Patienten werden wieder vollkommen gesund“

Lesezeit 5 Minuten
Eine Pflegerin hält die Hand einer Bewohnerin im Seniorenzentrum

Depressionen sind die häufigste psychische Krankheit im Alter. (Symbolbild)

Das Beispiel Wolfgang Grupp zeigt: Altersdepression kann jeden treffen. Die Kölner Oberärztin Forugh Dafsari über Warnzeichen und Behandlungen - und was man tun kann, damit es nicht so weit kommt.

Frau Dafsari, die Uniklinik Köln hat 2017 als erste Klinik deutschlandweit eine Spezialambulanz gegründet, die sich auf die Behandlung von Depressionen im höheren Alter spezialisiert hat. Warum braucht es diese?

Depressionen sind die häufigste psychische Erkrankung im höheren Lebensalter. Je nach Altersgruppe und Geschlecht geht man davon aus, dass ungefähr 10 bis 30 Prozent der älteren Menschen betroffen sind. Wir haben seit 2017 kontinuierlich einen recht hohen Zulauf an Patienten. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass es hier im Umkreis – aber auch grundsätzlich deutschlandweit – nicht so viele Angebote gibt. Und dass es sehr schwierig für Patienten ist, überhaupt einen Behandlungsplatz zu bekommen bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten.

Woran merken ältere Betroffene, dass sie womöglich an einer Depression leiden?

Sie spüren zunächst einmal die klassischen Depressionssymptome: gedrückte Stimmung, verminderter Antrieb, Freudlosigkeit, Interessenlosigkeit. Im höheren Lebensalter gibt es aber zwei Besonderheiten. Zum einen klagen Patienten über körperliche Beschwerden, also etwa über Übelkeit, Schwindel oder Schmerzen. Oft kommen auch Gedächtnisstörungen dazu. Aus diesem Grund wird die Erkrankung häufig nicht erkannt oder auch fälschlicherweise als körperliche Erkrankung oder Demenz fehldiagnostiziert.

Das ist für Sie als Medizinerin wahrscheinlich auch nicht so leicht zu unterscheiden, oder?

Deshalb sind Spezialambulanzen wie unsere so wichtig, weil wir hier die entsprechende Diagnostik durchführen können. Am Anfang schließen wir aus, dass es keine organischen Ursachen gibt, also andere körperliche Erkrankungen, die zu depressiven Symptomen führen können. Schilddrüsenerkrankungen oder Demenz können depressive Symptome verursachen, und auch Patienten mit Parkinson haben ein höheres Risiko, an depressiven Symptomen zu erkranken. Bei Gedächtnisproblemen führen wir spezielle psychologische oder neuropsychologische Tests durch, um sicherzugehen, dass es sich eben um keine Vorstufe einer Demenzerkrankung handelt. Aber wie Sie sagen, es ist oft nicht ganz einfach.


Dr. Forugh Dafsari ist Oberärztin und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Köln. Ihr Spezialgebiet sind psychische Störungen, die mit Veränderungen der Stimmung und des Antriebs über längere Zeit einhergehen. In der deutschlandweit ersten Spezialambulanz für Depressionen im höheren Lebensalter behandelt sie Patienten ab 60 Jahren, die zum ersten Mal oder wiederkehrend an einer Depression leiden.


Wann kommen die Betroffenen zu Ihnen?

Patienten leben häufig schon viele Monate oder Jahre mit diesen Symptomen, bevor sie in die Behandlung kommen. Das kann zum einen damit verbunden sein, dass Depression immer noch mit einem gesellschaftlichen Stigma verbunden ist. Zum anderen sind es auch Altersstereotype, wie wir das nennen, also die Vorstellung, dass es irgendwie zum Altern dazugehört, dass man etwas weniger Antrieb hat und eine schlechtere Stimmung. Es ist auch viel Scham dabei, manche Patienten denken, sie müssten es unbedingt selbst schaffen, aus eigenem Antrieb, mit einem eigenen Willen. Oft kommen die Patientinnen und Patienten mit ihren Angehörigen, die irgendwann sagen, wir müssen dir mal Hilfe suchen.

Wie offen sind Ihre Patienten für die Behandlung?

Wir erleben häufig, dass im ersten Moment Zweifel da sind oder eine Skepsis, die sich dann aber in den ersten Kontakten schnell legt, wenn die Patientinnen und Patienten erfahren, dass es eine sehr gut behandelbare Erkrankung ist. Und je früher man sie behandelt, umso besser und schneller lassen sich die Symptome beseitigen. Viele Patienten werden wieder vollkommen gesund, wenn sie ausreichend und spezifisch genug behandelt worden sind. Das hat natürlich aber auch viel damit zu tun, wann sich derjenige in Behandlung begibt und ob es schon einmal depressive Episoden im Leben gab.

Portrait Forugh Salimi Dafsari Psychiatrie

Dr. Forugh Salimi Dafsari, Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln.

Ist das Geschlecht ein Risikofaktor?

Grundsätzlich sind Frauen von Depressionen doppelt so häufig betroffen wie Männer. Allerdings muss man sagen, was die Suizidversuche und die vollendeten Suizide angeht, ist das männliche Geschlecht ein Risikofaktor. Also Männer im höheren Lebensalter haben höhere Suizidraten als Frauen in demselben Alter. Und auch die vollendeten Suizide sind bei Männern in der Altersgruppe häufiger als bei Frauen.

Der Unternehmer Wolfgang Grupp hat seinen Suizidversuch öffentlich gemacht, auch mit dem Hinweis, dass es keine Schande ist, sich bei Altersdepressionen Hilfe zu suchen.

Dieses Ereignis ist tragisch, aber ich sehe es auch sehr positiv, dass Herr Grupp damit an die Öffentlichkeit gegangen ist. Denn genau diese Aufmerksamkeit für das Thema braucht es, damit auch die Entstigmatisierung stattfinden kann. Also damit Patienten sich nicht schämen, tatsächlich in die Behandlung zu gehen. Depressionen sind nichts, wofür man sich schämen muss und auch nichts, was man mit sich selbst ausmachen muss.

Sind Menschen wie Herr Grupp, die bis ins hohe Alter arbeiten und viel leisten, besonders anfällig für Depressionen, wenn sie dann irgendwann das Tempo in ihrem Leben rausnehmen?

Da kommt es weniger auf die Persönlichkeit an als auf die Lebensumstände. Ein Risikofaktor ist der Eintritt in den Ruhestand – und da spielt es keine Rolle, ob man ein viel beschäftigter Unternehmer ist oder nicht. Der Ruhestand geht mit Verlust von Tagesstruktur und sozialen Kontakten einher. Ein großes Thema ist auch die Frage der Sinnhaftigkeit des Lebens. Was macht dann im Leben noch Sinn? Welchen Wert habe ich noch, wenn die berufliche Tätigkeit zu Ende geht? Das ist eine Phase, in der sich viele neu orientieren und ausrichten müssen. Man muss aber ganz klar sagen: Nicht alle Menschen, die in den Ruhestand kommen, entwickeln eine Depression. Das hat auch mit vielen anderen äußeren Faktoren zu tun.

Können wir etwas tun, um unser Risiko zu senken?

Es ist hilfreich, früh im Leben soziale Kontakte zu pflegen, Strukturen aufzubauen, die man mit in den Ruhestand mitnehmen kann. Also neben der beruflichen Tätigkeit Sport treiben oder ein Hobby ausüben. Wir Mediziner sprechen da von Ressourcen, die in Phasen des Umbruchs aktiviert werden können und Stabilität geben. Wenn vorher im Leben wenig Ressourcen da waren oder wenn man wenig aktiv war, ist es schwierig, sie im hohen Alter erstmals aufzubauen.

Einige Menschen haben eine genetische Veranlagung dazu und entsprechend ein höheres Risiko, eine Depression zu entwickeln. Was raten Sie denen?

Wenn man weiß, dass jemand in der Familie an Depressionen leidet oder gelitten hat, sollte man besonders sensibel sein für die frühen Symptome. Also beispielsweise Schlafstörungen, verminderter Antrieb, damit kündigt sich die Krankheit oft an. Und dann sehr früh Behandlung in Anspruch nehmen. Ich kann nur jedem Mut machen: Es ist eine sehr, sehr gut behandelbare Erkrankung, bei der eine frühe Diagnostik und Behandlung sehr wichtig ist.


Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter: Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.

  1. Telefonseelsorge – Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
  2. Kinder- und Jugendtelefon – Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an.
  3. Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de
  4. Beratung und Hilfe für Frauen – Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr anonym und kostenfrei unterstützt.
  5. Psychische Gesundheit – Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen.