Vorbild Florian Wirtz: Beim Schutz der eigenen Schienbeine gehen die Meinungen der Fußballer im Kreis Euskirchen sehr weit auseinander.
Fußball-AusrüstungMini-Schienbeinschoner sind auch im Kreis Euskirchen beliebt

Vieles ist Kopfsache: Tim Lambertz von der SG Rotbachtal/Strempt spielt mit tief sitzenden Schonern und Stutzen.
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Es ist schon ein Weilchen her, da sorgte Florian Wirtz – damals noch in Diensten von Bayer Leverkusen – für Aufsehen, als er nach einer Partie gegen Fortuna Düsseldorf auf Nachfrage des Moderators seine Schienbeinschoner in die Kamera hielt. Der Fernsehzuschauer musste dabei schon genau hinschauen, um etwas erkennen zu können, so winzig war das Stück Kunststoff, das der Nationalspieler lächelnd präsentierte.
Was damals beim gemeinen Fußballfan wahlweise für Verwunderung oder Kopfschütteln gesorgt hatte, ist auf den Sportplätzen von der Bundes- bis in die Kreisliga schon seit Längerem keine Ausnahmeerscheinung mehr. Vor allem bei den Nachwuchskickern sind herunterhängende Stutzen und Mini-Schienbeinschoner, wie sie Jack Grealish von Manchester City als einer der Ersten salonfähig gemacht hat, beliebt. „Sie sind bequemer und man fühlt fast gar nicht mehr, dass man etwas unter den Stutzen trägt“, erklären die Freunde Hussein, Judi, Ahmed und Yasin, von denen drei beim TuS Zülpich in der Jugend spielen, unisono. Alle tragen im Wettkampf Modelle unterschiedlicher Hersteller im Stil von Wirtz, also von überschaubarem Format.
Und wie sieht es bei den Teamkollegen aus? Gibt es da noch welche, die mit klassischen Exemplaren auflaufen? „Nur ein paar Leute haben das noch“, lautet die vielsagende Antwort der vier Jungs im Alter zwischen 11 und 14 Jahren, die sich an diesem Nachmittag zum Kicken auf dem Kunstrasen an der Blayer Straße verabredet haben.
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Argumentation: Besseres Ballgefühl und größere Bewegungsfreiheit
Einige Kilometer weiter, beim Testspiel zwischen den B-Ligisten Füssenich-Geich und Rotbachtal/Strempt, spielt zwar eine andere Zielgruppe, aber auch hier ist der Trend zumindest teilweise offensichtlich. Das Argument, eine größere Bewegungsfreiheit zu haben, wird von Leon Nellessen, der in Reihen der Gastgeber aktiv ist, zum wiederholten Mal angeführt. Wie bereits zuvor die Jugendlichen behauptet er steif und fest, mit seinen lediglich knapp zehn Zentimeter hohen Plastikschalen „ein besseres Ballgefühl“ zu haben.
„Das hat rein gar nichts mit den Schienbeinschonern zu tun“, widerspricht Wolfgang Fröhling. Der Inhaber eines Sportgeschäfts in der Römerstadt kennt das veränderte Kaufverhalten seiner Kundschaft, kann sich einen Kommentar jedoch zumindest hin und wieder nicht verkneifen, wenn er die entsprechenden „Falschmeldungen“ hört. Gerade bei den ganz Kleinen weist er immer wieder auf den eigentlichen Zweck, den Schutz der eigenen Gesundheit, hin.
„Bei den Bambini oder F-Jugendlichen empfehle ich den Eltern einen Schienbeinschoner mit Knöchelschutz, da diese immer wieder zur Zielscheibe von oft unbeabsichtigten Tritten werden“, weiß der Fachverkäufer, um sofort hinterherzuschieben: „Gekauft werden diese allerdings nur noch dann, wenn ich wirklich dazu rate. Ansonsten lautet das Motto eher: je kleiner, desto besser.“
Laut Wolfgang Fröhling kommt alle paar Jahre etwas Neues auf den Markt
Etwa 80 Prozent der Erwachsenen, schätzt Fröhling, kauften Modelle zum Reinstecken, meistens in Kombination mit Fußballsocken, die dank ihren Stoppern unterhalb der Sohle den Grip verbessern sollen. Die gewünschte Größe der Schoner sei dabei sehr unterschiedlich, nicht alle vertrauten der „Mikro-Ausgabe“. Und einige Hersteller wie Derbystar, Uhlsport, Erima oder Jako hätten diese auch noch gar nicht im Programm. „Sie werden aber auf den Zug aufspringen müssen“, glaubt der Ladeninhaber.
Dass die Modeerscheinung auf lange Sicht weitergehe, bezweifelt Fröhling: „Aus der Erfahrung heraus kann ich sagen, dass alle zwei bis drei Jahre etwas Neues auf den Markt kommt, obwohl man denkt, dass im Fußballsport eigentlich schon alles ausgereizt ist. Doch vielleicht erfindet jemand als Nächstes einen sehr großen Schützer, der ganz eng anliegt.“

Der Trend geht laut Wolfgang Fröhling zu kleineren Schoner-Modellen.
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Fußballsocken gehören mittlerweile zur Standardausrüstung vieler Kicker.
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In der aktuellen Praxis fällt auf, dass das Tragen und das Design der Schienbeinschoner – unserer Zeit entsprechend – höchst individuell ausfallen. Dabei weichen nicht nur Farbe, Form und Material voneinander ab, sondern auch die kleinen Details machen den Unterschied: personalisierte, also mit Namen, Rückennummer oder persönlichem Motiv versehene Exemplare finden vor allem bei Kindern immer mehr Verbreitung.
Tim Lambertz von der SG Rotbachtal/Strempt, gerade aus der eigenen U19 zu den Senioren gewechselt, trägt ein mittelgroßes Modell zum Reinstecken mit tief heruntergezogenen Stutzen. „Das hat sich bei mir im Kopf so festgesetzt“, erläutert der Verteidiger. Ein kleineres Modell wolle er demnächst vielleicht mal ausprobieren, aktuell sei ihm das Verletzungsrisiko jedoch zu groß. Darüber nicht so viele Gedanken machen wollen sich Nellessen, der seine Mini-Ausgabe unter weit nach oben gezogenen Stutzen versteckt, und Louis Cramer, der mit einem mediokren Schützer bislang recht gut gefahren ist. „Ich halte die Verletzungsgefahr für nicht so groß, während des Trainings trage ich schließlich gar keine.“
Mediziner empfehlen, das mittlere Drittel des Schienbeins zu bedecken
Die kölsche Lebensweisheit „Et hätt noch immer jot jejange“ scheint nicht nur Mega-Star Florian Wirtz, sondern auch den meisten Freizeitfußballern auszureichen, obwohl Mediziner dringend empfehlen, dass für einen optimalen Schutz das mittlere Drittel des Schienbeins bedeckt sein muss. Unterstützung erhalten die Spieler durch das Regelwerk, das ihnen in dieser Hinsicht ziemlich freie Hand lässt. Wobei man sich als Beobachter schon mal die Frage stellen muss, warum beispielsweise die Farbe von Unterziehhosen streng festgelegt wurde und derartigen, wirklich relevanten Dingen nur eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Zur Ausrüstung unterhalb des Knies heißt es vage: „Die Schienbeinschoner müssen aus einem geeigneten Material bestehen und genügend groß sein, um angemessenen Schutz zu bieten, und von den Stutzen abgedeckt werden. Die Spieler sind für die Größe und Zweckdienlichkeit ihrer Schienbeinschoner selbst verantwortlich.“ Daher sind auch den Trainern die Hände gebunden, obwohl diese die höhere Verletzungsgefahr mittragen und unter möglichen Langzeitausfällen zu leiden haben. „Natürlich ist es besser, die Jungs schützen sich, aber im Endeffekt müssen sie es selbst entscheiden“, beschreibt Rotbachtals neuer Coach Hartmut Pitten das Dilemma seiner Zunft.
Doch ist das Risiko wirklich so groß? Kritiker könnten einwenden, dass es bis ins Jahr 1990, als die Fifa einschritt, offiziell nicht vorgeschrieben war, überhaupt einen Schutz zu tragen. Dabei war die Spielweise zahlreicher Akteure damals im Vergleich zu heute wesentlich rustikaler, und die Schiedsrichter ließen ein härteres körperliches Einsteigen häufiger zu. So oder so bleibt zu konstatieren, dass das Tragen für viele zu einer lästigen Pflicht geworden ist, die den eigenen Freiraum – zumindest im Kopf – zu stark einschränkt. Im Zweifelsfall hilft vielleicht die Lösung von Florian Wirtz, der im erwähnten Interview folgende Maxime zum Besten gab: „Ich versuche aufzupassen, dass mich nicht allzu viele erwischen.“