Seit 17 Jahren ist der 34-Jährige, der zuletzt Trainer bei Alemannia Aachen war und einst die B-Junioren des ETSC in die Bundesliga führte, süchtig
Spricht offen über seine SuchtEx-Trainer Helge Hohl hat 300.000 Euro verspielt

Hat nun seine jahrelange Spielsucht öffentlich gemacht: der aus Arloff stammende Ex-Alemannia-Aachen-Trainer Helge Hohl.
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Von außen sah alles gut aus: Erfolg als Trainer, Anerkennung, Familie, ein Leben im Fußball, zuletzt Trainer bei Alemannia Aachen. Doch hinter der Fassade tobt seit Jahren ein anderes Spiel – eines, das Helge Hohl sehr viel gekostet hat. Der Arloffer, der die B-Junioren des Euskirchener TSC in die Bundesliga führte, führt derzeit einen Zweikampf mit sich selbst. Er spricht offen über seine Spielsucht, den Absturz, den Kampf zurück – und warum ihn gerade Verantwortung retten soll.
„Ich habe in den vergangenen drei Wochen knapp 100.000 Euro verzockt“, sagt Helge Hohl leise, fast beiläufig. Es ist einer dieser Sätze, die in der Luft hängen bleiben. Er sagt ihn ohne Pathos, ohne Rechtfertigung – einfach als Fakt.
Dass solche Summen für ihn Realität waren, zeigt, wie tief er in seiner Sucht steckte. „Ich hatte das große Glück, dass ich keine Schulden habe“, sagt er: „Aber das war kein Zufall, sondern weil ich mir nur Summen geliehen habe, von denen ich wusste: Die kann ich mit meinem normalen Gehalt wieder zurückzahlen.“ Schuldenberge, Privatinsolvenz – das blieb ihm erspart. Obwohl er nach eigenen Angaben in den 17 Jahren seiner Spielsucht rund 300.000 Euro verloren hat.
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Mit Pokern eingestiegen: Helge Hohl geriet in ein Suchtverhalten
Angefangen, um Geld zu spielen, habe er vor 17 Jahren. Als Teenager mit Freunden um kleine Beträge beim Pokern. Für die meisten endete dann auch schon wieder die Spielkarriere, für Hohl war es ein Einstieg. Poker ließ sich online spielen. Er machte bei einem Turnier den zweiten Platz, 7500 Dollar Gewinn. Das war der Beginn einer Sucht, die ihn im Laufe der Zeit überwältigt hat. „Anfangs dachte ich, ich könnte die Kontrolle behalten, aber schnell hat die Sucht meine Entscheidungen und mein Leben übernommen“, sagt Hohl.
Er blieb auch nicht beim Online-Poker, sondern er besuchte auch Casinos. Und wenn am Pokertisch kein Platz frei war, spielte er Roulette. Später kamen Sportwetten dazu, zuletzt hochriskante Turbo-Zertifikate an der Börse – Derivate mit bis zu hundertfachem Hebel. „Da kann sich der Kurs einer Aktie um ein Prozent bewegen – und dein Einsatz ist verdoppelt. Oder eben komplett weg“, erklärt er: „Da kann es vorkommen, dass man in 20 Minuten 40.000 Euro verliert.“
Ex-Fußballtrainer schwankte zwischen Abstinenz und Exzess
„Als Spieler denkst du nicht rational“, sagt Hohl: „Wenn du gewinnst, willst du mehr. Wenn du verlierst, willst du es zurückholen.“ Über Jahre habe er zwischen völliger Abstinenz und exzessiven Phasen geschwankt. „Ich bin kein Dauerspieler. Ich habe manchmal sechs Monate gar nichts gemacht – und dann vier Wochen durchgespielt, von morgens bis abends“, erzählt der 34-Jährige. Meist geschah das in fußballfreien Zeiten, wenn Struktur und Alltag fehlten.
In seiner Zeit als Trainer bei Alemannia Aachen habe er zu keinem Zeitpunkt gezockt. „Da drehte sich rund um die Uhr alles um Fußball, den Verein, die Mannschaft“, so Hohl, der in den vergangenen Monaten nicht als Trainer gearbeitet hat. Was auch daran lag, dass er sich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber vor Gericht um eine Abfindung stritt.

Hochgefühl nach dem Aufstieg in die Bundesliga: Ex-ETSC-Trainer Helge Hohl führte die Kreisstädter ins B-Junioren-Oberhaus.
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„Wenn ich spiele, bin ich nicht mehr ansprechbar. Ich bin dann nur noch im Tunnel. Und danach kommt dieses Loch, dieses Leeregefühl. Dann schämst du dich, versprichst dir, es nie wieder zu tun – bis es irgendwann wieder losgeht.“ Für Außenstehende ist das kaum zu begreifen. „Jeder normale Mensch sagt: ‚Bist du bescheuert?‘“, so Hohl: „Aber Sucht funktioniert nicht über Logik.“
Durch die Spielsucht verlor Hohl seine Traumfrau
Er hat sich bei Wettanbietern und Casinos sperren lassen, war in Therapie, suchte Hilfe in Selbsthilfegruppen. Im Sommer ließ er sich stationär in einer Spezialklinik behandeln. Doch die Sucht ist wie ein Schatten, sagt er: „Man kann sie nicht besiegen – aber man kann lernen, mit ihr zu leben.“
Seine Freundin bekam die Eskalationen früh mit – und blieb dennoch lange. „Sie wusste, dass Spielen ein Thema ist, aber sie hat es anfangs nicht als Problem gesehen“, erzählt Hohl: „Bis sie gemerkt hat: Das ist mehr als ein Hobby.“ Irgendwann zog sie die Notbremse und ging – mit den beiden gemeinsamen Kindern. „Die Sucht hat mir alles genommen: meine Identität, meine Familie, meine Traumfrau“, so Hohl.
Nach seiner Entlassung bei Alemannia Aachen im Sommer 2023 folgte der nächste Rückfall. „Vielleicht auch, weil mich das mental total aus der Bahn geworfen hat“, sagt er. Auf Phasen des Spielens folgen depressive Wochen. „Es ist ein Muster. Nach jedem Absturz kommt dieses Loch“, sagt der ehemalige Trainer der B-Junioren-Bundesliga-Mannschaft des Euskirchener TSC.
Die Familie steht für ihn an erster Stelle und treibt Hohl an
Heute lebt Hohl allein, kümmert sich regelmäßig um seine Kinder und versucht, sein Leben zu ordnen. „Ich will gesund werden, für mich – und für sie“, sagt er. „Ob wir als Familie noch mal zusammenkommen, weiß ich nicht. Aber das ist mein Antrieb.“
Fußball war immer Hohls Lebensinhalt. Doch auch hier sieht er Parallelen zur Sucht. „Beides hat dieses Ungewisse, dieses Adrenalin. Du kannst viel planen, aber am Ende weißt du nie, wie es ausgeht“, sagt er. Er glaubt, dass ihn gerade dieser Reiz – die Mischung aus Kontrolle und Kontrollverlust – in beiden Welten getrieben hat. „Wenn du vor 27.000 Leuten auf dem Tivoli stehst, das ist ein Gefühl, das schwer zu toppen ist. Aber genau dieses Gefühl suchst du als Spieler auch.“
Trotz allem will Hohl irgendwann zurück in den Fußball – aber nicht auf Teufel komm raus. Derzeit arbeitet er ein wenig beim Bezirksligisten SV Schönenbach mit, leitet beim Tabellenführer der Staffel 1 schon mal das Training, ohne selbst in der Verantwortung zu stehen. Das sei schon irgendwann wieder das Ziel – bei welchem Verein auch immer. „Aber nur, wenn es mit Familie vereinbar ist – und wenn ich selbst stabil bin“, sagt er: „Ich will nicht mehr in einer Phase landen, wo ein Misserfolg mich wieder triggert.“
Arbeit an Fußballschule, Start-up und Selbsthilfegruppe
Nebenher arbeitet er in einer Fußballschule und hat ein Start-up gegründet, das Sportsocken verkauft. Zudem baut er in Bergisch Gladbach, wo er jetzt lebt, eine Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige auf. „Manche sagen: Du bist doch selbst noch nicht über den Berg. Aber genau das ist der Punkt. Ich will mich durch Verantwortung stabilisieren – und anderen helfen.“
Warum er seine Spielsucht jetzt öffentlich macht, erklärt Hohl mit einer Mischung aus Befreiung und Pragmatismus. „Zum einen ist es Selbstschutz. Wenn alle wissen, dass ich spielsüchtig bin, kann ich mich nicht mehr verstecken. Dann leiht mir auch keiner mehr Geld – und das ist gut so“, sagt er: „Zum anderen war dieses Lügenkonstrukt einfach anstrengend. Ich will nicht mehr jeden Tag überlegen, wem ich was erzählt habe.“
Früher habe er sich über Erfolg definiert. Heute ist ihm wichtiger, ehrlich zu sein – zu anderen und zu sich selbst. „Wenn ich gesund werde und meine Familie zurückbekomme, brauche ich den Fußball nicht mehr unbedingt. Dann bin ich glücklich.“
Hohls Kampf ist noch lange nicht vorbei
Was ihn ärgere, sei die gesellschaftliche Doppelmoral. „Überall wird mit Wetten geworben – in der Bundesliga, im Fernsehen, in den Sozialen Netzwerken. Und keiner redet darüber, wie viele Menschen daran kaputtgehen“, sagt Hohl: „In der Kabine wurde nach dem Training fünf, sechs Stunden Uno um Geld gespielt. Das war normal. Aber niemand hat das öffentlich gemacht. Spielen ist ein Tabuthema.“
Hohl weiß nach eigenen Angaben, dass sein Kampf nicht vorbei ist. Aber er kämpft – um seine Gesundheit, seine Familie, seine Stabilität. „Ich habe in den letzten Jahren so viel verloren“, sagt er. „Aber ich habe auch gemerkt, dass man wieder aufstehen kann. Vielleicht langsamer, vielleicht anders – aber man kann“, sagt er. Maria Surges-Brilon, Suchtberaterin bei der Caritas Euskirchen, bezeichnet die Geschichte von Hohl als „Paradebeispiel, das die Gefahr sehr deutlich aufzeigt“.
Spezielle U21-Sprechstunde für Menschen mit Suchtproblemen
Im Beratungsalltag der Caritas Euskirchen zeigt sich, dass besonders junge Menschen Unterstützung brauchen. Deshalb gibt es eine spezielle U21-Sprechstunde für Jugendliche und junge Erwachsene. Sie richtet sich an Menschen bis 21 Jahre und soll den Zugang erleichtern. Themen sind dabei nicht nur klassische Süchte wie Alkohol oder Drogen, sondern zunehmend Mediennutzung, Vapes und Social Media.
Zudem existiert eine offene Sprechstunde für alle Süchte sowie ein spezialisiertes Angebot für Menschen mit Spielsucht. Letzteres richtet sich auch an Angehörige. Eine feste Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige gibt es derzeit nicht mehr, wird aber von der Beratungsstelle ausdrücklich gewünscht und unterstützt.
Werbung für Glücksspiel, etwa bei Sportwetten, sieht die Caritas kritisch. Solche Werbung könne gerade bei Betroffenen starke Reize auslösen und Rückfälle begünstigen. Die offene Sprechstunde findet dienstags von 14 bis 16.30 Uhr statt, die U21-Sprechstunde mit Terminvereinbarung montags von 15 bis 16.45 Uhr. Die Nachfrage ist unterschiedlich, die Angebote werden aber gut genutzt. Auffällig ist, dass deutlich mehr junge Männer als junge Frauen Beratung in Anspruch nehmen – bei Erwachsenen liegt das Verhältnis bei etwa zwei Drittel Männern zu einem Drittel Frauen. (tom)

