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Getötete SchülerinAmtsgericht verwarnt Unfallfahrer vom Berliner Platz

5 min
Berliner Platz, Opladen

An dieser Ausfahrt aus dem Berliner Platz kam es am Morgen des 30. Januar zu dem tödlichen Unfall. Inzwischen bremst eine Bodenschwelle hier den Verkehr.

Der Tod der Schülerin Angelina hatte in Opladen große Betroffenheit ausgelöst.

Zwischen 14.06 Uhr und 14.11 Uhr ist es am Freitag sehr still im Saal 5 des Amtsgerichts. Die etwa ein Dutzend Zuhörer schweigen, man hört nur, wie der Kugelschreiber, mit dem Richter Dietmar Adam schreibt, über das Papier gleitet. Auch der Staatsanwalt, die Rechtsanwälte des Angeklagten Andreas B. (Name geändert), der Rechtsanwalt von Merin Ranjan und ihrem Ehemann, die als Nebenkläger auftreten und der Angeklagte blicken stumm geradeaus. Andreas B.’s Anspannung ist nur daran zu erkennen, dass er mit einem Fuß unaufhörlich wippt.

Von Fahrzeugen, die zwischen dem Gerichtsgebäude und dem Remigius-Krankenhaus nebenan herfahren, dringen Motorengeräusche in den Saal. Dann erhebt sich Richter Adam und spricht das Urteil in dem Verfahren, das sich um den Unfalltod der elfjährigen Schülerin Angelina Ranjan am Berliner Platz am 30. Januar 2025 dreht: „Der Angeklagte wird verwarnt unter Vorbehalt einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 90 Euro. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.“ 

Angelina ist nicht in der Schule angekommen und kommt auch nicht mehr nach Hause
Dietmar Adam, Richter

Richter Adam fährt fort, dass Angelina an jenem Morgen zur Schule aufgebrochen sei, wie der Angeklagte sich auf seinen Weg zur Arbeit gemacht habe. „Angelina ist nicht in der Schule angekommen und kommt auch nicht mehr nach Hause. Wir hätten heute viel Zeit damit verbringen können, auf dieses kurze Leben zu blicken. Auch wenn es schön gewesen wäre, auf Angelina zu blicken, mussten wir heute auf Sie blicken“, wendet er sich an den Angeklagten, einen 25-jährigen Mann aus Opladen

Andreas B. hat an jenem Morgen am Berliner Platz, als er aus dem Kreisverkehr in die Bonner Straße abbiegen wollte, die Schülerin des Landrat-Lucas-Gymnasiums, die gerade den Zebrastreifen dort überquerte, am Steuer eines Mercedes Vito-Transporters überfahren. Der Vorwurf gegen ihn lautet auf fahrlässige Tötung, wie der Staatsanwalt gut zweieinhalb Stunden früher bei der Verlesung der Anklage sagt. 

Das Mädchen war fast sofort tot

An jenem Januarmorgen ist es noch dunkel. Die Straße ist regennass, reflektiert das Licht der Straßenlaternen und der Autoscheinwerfer. B.’s Fahrzeug prallte vorne rechts gegen das kaum 1,40 Meter große Mädchen. Es fiel auf die Kühlerhaube und wurde von dort zurück auf die Straße geschleudert. Dort überfuhr der Unfallfahrer sie mit beiden rechten Reifen. Das Mädchen war sofort bewusstlos und erlitt einen Atemstillstand. Wenige Minuten später war es tot. Rettungsversuche des jungen Unfallfahrers, der als Sanitätshelfer ausgebildet ist, konnten wegen der extrem schweren Kopfverletzungen des Kindes nichts fruchten.

Das Ungewöhnliche an diesem Unfall: B. hat nicht gesehen, wie er Angelina anfuhr, wie sie auf die Kühlerhaube prallte. Er hat auch nicht gemerkt, dass er sie überfuhr. Sagt er jedenfalls. Er vernahm nur ein dumpfes Geräusch, nahm an, dass Werkzeug im Laderaum seines Transporters umgefallen war, und hielt deshalb ein paar Dutzend Meter weiter am Straßenrand der Bonner Straße. Erst als er da in den Rückspiegel blickte, sah er, dass hinter ihm ein Auto ebenfalls gehalten hatte, mit eingeschalteter Warnblinkanlage und jemand die Autotür öffnete. Da erst begann er zu realisieren, was passiert war und eilte zu der auf der Straße liegenden Angelina.

Ein Baum erinnert an die am Berliner Platz getötete Angelina.

Ein Baum erinnert an die am Berliner Platz getötete Angelina.

Doch wie kann das sein, dass B. den Unfall selbst gar nicht bemerkt hat? Diese Frage beantwortete im Gerichtssaal der Unfallsachverständige Alexander Wiek. Wiek hält fest: „Die Einlassung des Angeklagten, dass er das Kind nicht sah, ist nachvollziehbar, auch bei der Kollision selbst.“ Und das, obwohl Angelina hell gekleidet war, einen rosa-weißen Rucksack und hellrosa Schuhe mit weißen Applikationen trug. Denn: An der Windschutzscheibe waren mittig gleich zwei Handyhalterungen befestigt, in der einen steckte das Diensthandy des Angeklagten, die andere war leer. Zudem hatte er selbst aber noch am oberen rechten Rand der Windschutzscheibe eine Tablet-Halterung angebracht. Das aufgeklappte Tablet diente ihm auf der Unfallfahrt als Navigationsbildschirm.

Am Berliner Platz liegen Erinnerungsstücke für das bei einem Unfall getötete Mädchen. Bild: Ralf Krieger

Monate nach dem Unfall standen Kerzen und Erinnerungsstücke an die getötete Angelina (mitte).

Wiek, der die Geschwindigkeit im Moment des Zusammenpralls von Auto und Kind auf etwa 30 Stundenkilometer taxierte, sagte: „Die Einbauten wirken teilweise regelrecht sichtunterbindend. Wenn die nicht gewesen wären, wäre das Kind verdeckungsfrei sichtbar gewesen. Wenn die Einbauten nicht gewesen wären und in die Richtung des Kindes geschaut worden wäre, wäre der Unfall vermeidbar gewesen. Wenn ich diese Einbauten habe, dann muss ich mir die Zeit nehmen, langsamer fahren und jedes Mal beim Rechtsabbiegen aktiv darum herumgucken.“

Wenn die Einbauten nicht gewesen wären und in die Richtung des Kindes geschaut worden wäre, wäre der Unfall vermeidbar gewesen
Sachverständiger Alexander Wiek

Das weiß im Prinzip auch der Angeklagte, soviel wird in der Verhandlung deutlich. Andreas B. ist nach dem Unfall am Boden zerstört, nimmt sehr bald Kontakt auf zu den Eltern der toten Angelina, spricht sich mit ihnen aus, übergibt ihnen einen Brief an ihr Kind. Die aktive Reue des jungen Mannes, der als Informationselektroniker bei einem großen deutschen Konzern arbeitet, würdigen auch der Staatsanwalt, der Rechtsanwalt der Nebenkläger und die Anwälte des Angeklagten. Doch während der Staatsanwalt und der beiden Anwälte des Angeklagten es bei einer Verwarnung belassen wollen, beharrt der Anwalt von Merin Ranjan und ihrem Ehemann auf einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung oder einer Geldstrafe. 

In seinem letzten Wort sagt der Angeklagte an Angelinas Eltern gerichtet, er könne nicht in Worte fassen, wie leid ihm das Geschehene tue: „Es vergeht kein Tag, an dem ich Angelina nicht in meinem Herzen trage. Ich könnte es mir nicht erlauben, Angelina zu vergessen.“ Dann wird es still im Saal.


Geldzahlung ist Teil der Bewährungsauflage

Der Angeklagte muss als Teil der Bewährungsauflagen 5000 Euro an die Björn Steiger Stiftung überweisen, die sich bundesweit für eine bessere Notfallhilfe und leistungsstarke Rettungsdienste einsetzt. Außerdem muss er die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (ps)