Detlev Prößdorf ist seit 2004 Pfarrer der evangelischen Kirche Leverkusen-Mitte. Prößdorf sieht die Stadtgesellschaft in rasendem Wandel.
Ostern in Leverkusen„Resilienz der Menschen gegenüber unterschiedlichen Krisen nimmt ab“

Pfarrer Detlev Prößdorf in der Wiesdorfer Christuskirche.
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Herr Prößdorf, die Passionszeit soll ja eigentlich auch dazu dienen, innere Einkehr zu halten, sich zu sammeln und vorzubereiten auf das Osterfest. Aktuell können viele Kriege und Krisen in der Welt dieses sich Sammeln beeinträchtigen, stören. Bemerken Sie davon etwas in Ihrer Gemeinde oder ist das Weltgeschehen eigentlich ein Grundrauschen, das immer da ist und das die Leute nicht so aus der Ruhe bringt?
Detlev Prößdorf: Es ist beides. Es gibt immer ein Grundrauschen an Nachrichten, es gibt immer Dinge, die besorgniserregend sind. Gerade hat man mit der amerikanischen Regierung den Eindruck, dass man jeden Tag etwas Neues hat, was für viele beunruhigend ist. Dass dies nun in der Passionszeit nochmal in besonderer Weise in den Fokus gerückt würde, sehe ich nicht. Die Menschen lassen sich beunruhigen oder eben auch nicht. Menschen, die sehr tief im christlichen Glauben verwurzelt sind und die Passionszeit für sich als einen inneren spirituellen Weg und als Vorbereitungszeit auf Ostern hin nehmen: Ich hab' den Eindruck, dass die gut zu trennen wissen zwischen dem, was draußen in der Welt passiert und was in ihrer eigenen Welt passiert, was für sie selbst bedeutsam ist mit Blick auf ihren Glauben, ihre Beziehung zu ihrem Schöpfer.
Hat sich in den über zwei Jahrzehnten, in denen Sie jetzt Pfarrer hier in Wiesdorf sind, etwas geändert an der Art und Weise, wie die Menschen mit schlechten Nachrichten aus der Welt umgehen oder ist das heute so wie vor 20 Jahren?
Das würde ich nicht sagen. Es ändert sich schon etwas. Zum einen, der tatsächliche und damit auch der gefühlte Druck durch die Problemlagen wird größer. Je weiter zum Beispiel die Klimakrise fortschreitet, je mehr wir Auswirkungen haben wie jetzt die Trockenheit, die Erhöhung der Temperatur, die sichtbar werdenden Dinge wie vor ein paar Jahren hier die Überschwemmungen, desto mehr wird auch gewahr: Eigentlich müssten wir was tun.

Die Christuskirche am Friedrich-Ebert-Platz.
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Und dann kommt die Frage: Wie gehe ich damit um? Und ich glaube schon, dass es eine unterschiedliche Form der Resilienz der Menschen gibt. Diese Resilienz war vor Jahrzehnten höher und besser als jetzt. Das hat natürlich auch mit der Erfahrung der Corona-Pandemie zu tun, aber auch insgesamt, weil das Mindset sich ändert. Aus meiner Perspektive: Die Menschen sind weniger im Glauben verwurzelt, weniger in dem Denken: Wir sind doch eigentlich in Gott getragen, das Ganze wird ein gutes Ende nehmen. Anders ausgedrückt: Wir sind nur Gast auf Erden, haben unsere Heimat im Himmel. Insofern können wir hier entspannter leben, weil wir uns getragen und geborgen wissen von etwas Höherem. Dieses Denken nimmt ab. In Leverkusen konkret gibt es bei dem einen oder anderen auch Verunsicherung, wie gehe ich mit dem ganzen multikulturellen und multireligiösen Setting um. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie ernst religiöse Praxis im muslimischen Bereich genommen wird, dann sind da natürlich auch Rückfragen an den eigenen Glauben: Wie ernst nehme ich das eigentlich?
Stichwort Klimakrise: Auch in unserer Stadt gibt es seit Jahren große Themen, die damit zusammenhängen, wie wir eigentlich mit unserer Natur und Umwelt umgehen, also der Autobahnausbau, der geplante Neubau der Feuerwache Nord in einem Landschaftsschutzgebiet zwischen Opladen und Rheindorf, die Unfähigkeit der Stadtverwaltung Flächen zu finden, die entsiegelt werden könnten. Wie verhält sich ihre Gemeinde dazu?
Da würde ich differenzieren. Da ist der Pfarrer Detlev Prößdorf, der zu dem eine sehr klare Meinung hat. Unsere Gemeinde äußert sich auch durch das Presbyterium immer wieder klar zu einzelnen Fragen. Und als Drittes haben wir unsere Gemeindemitglieder, die im Prinzip abbilden, was eine Stadtgesellschaft auch an politischen Meinungen abbildet. Ich finde, dass Leverkusen in Sachen Klima- und Umweltschutz sehr träge ist und auch mit dem Potenzial, das da ist, viele Dinge nur äußerst schleppend vorankommen. Anders gesagt: Es werden viele große Worte geschwungen, aber wenn man genauer hineinguckt, was ist gemacht worden, was wird gemacht, passiert relativ wenig. Ich nenne zu den von Ihnen angesprochenen Punkten noch die Verkehrswende.
Ich finde, Leverkusen ist in Sachen Klima- und Umweltschutz sehr träge. Viele Dinge kommen nur äußerst schleppend voran
Da sind hier in Leverkusen sehr viele Bremsschuhe da, die auch im Kleinen Dinge verhindern. Bei den Baukonzepten, die ich sehe, die hier in der Stadtentwicklung diskutiert werden, stehen Klima- und Umweltschutz selten an erster Stelle. Das kommt immer unter ferner liefen. Das halte ich für einen Fehler.
Die Gemeinde hat sich mehrfach klar positioniert. Wir sind in der evangelischen Kirche seit Jahrzehnten unter dem nach wie vor sehr guten Schlagwort Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung unterwegs. Da haben wir immer wieder kleinere Aktionen, dass wir uns gegen Rassismus und Ausgrenzung positionieren. Dass wir vor einigen Jahren auf dem Platz vor der Christuskirche mal die Umweltkirche hatten. Da haben wir deutlich gemacht, wie viele Plastikabfälle nur in unserem kleinen Beritt in einigen Wochen anfallen, wie wenig auch städtischerseits getan wird, Müll und Mikroplastik zu vermeiden. In der Gemeinde haben wir seit Jahren den Arbeitskreis Klima. Wir gucken, dass wir die Raumtemperaturen niedriger halten, bei Veranstaltungen kein Einweggeschirr verwenden. Da geht es um ganz viele kleine Punkte, mit dem Ziel, uns für den grünen Hahn zertifizieren zu lassen.
Was ist der grüne Hahn?
Der grüne Hahn ist ein Umweltmanagementsystem der Landeskirchen. Die Gemeinden machen sich dafür auf den Weg und erfüllen gewisse Dinge, etwa auch, dass wir bei Gemeindeveranstaltungen nur vegetarisches Essen anbieten. In der Gemeinde sind gewisse Dinge durchaus umstritten und werden diskutiert. Ob man es im Gemeindehaus zwei Grad wärmer oder kälter hat, führt zu Diskussionen und auch, ob es das Würstchen beim Gemeindefest angeboten wird oder nicht.
Eine um zwei Grad niedrigere Temperatur in den Gemeinderäumen heißt ja auch, dass die Gemeinde bei der Heizenergie Geld spart. Muss die Gemeinde sparen?
Auf jeden Fall.
Wie viel?
Ich kann Ihnen die genauen Zahlen nicht nennen. Genau weiß das der Finanzkirchmeister, ich bin da nicht der Experte. Was die Zahl der Gemeindemitglieder betrifft, haben wir erstmals die 3000 unterschritten. Unsere Gemeindemitglieder haben ein recht hohes Durchschnittsalter. Wir beerdigen mehr Mitglieder als wir taufen.
Und das wird auch durch Zuwanderung nicht ausgeglichen?
Das liegt natürlich insbesondere auch am Stadtteil Wiesdorf/Manfort. Wir haben hier einen sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, die in der Regel nicht christlicher Konfession sind oder aber dann zumindest nicht evangelischer Konfession. Wir haben unter den afrikanischen oder südamerikanischen Gemeinden ein großes Potpourri an Freikirchen. Denen ist dieses institutionalisierte Ding völlig fremd. Das sind häufig Hausgemeinden. Wenn die eine gewisse Größe haben, fragen sie uns wiederum an, ob sie Räumlichkeiten haben können. Da gibt es hier und da Kooperationen.
Gibt es da grundsätzliche Vorbehalte?
Nein, keine grundsätzlichen. Wir gucken, was in unser Tableau passt, und es muss auch zwischenmenschlich funktionieren.
Wie funktioniert das Miteinander in einer Stadtgesellschaft mit einem so großen Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte?
Die Stadtgesellschaft ändert sich rasend schnell. Wir haben damit eine Menge an Problemen, die adressiert werden müssen. Die Gemeinschaftsgrundschule Dönhoffstraße zum Beispiel hat einen Anteil von mehr als 90 Prozent Kindern mit Migrationshintergrund. Ich sehe, was die in der vierten Klasse können oder auch nicht. Das sind große Herausforderungen.
Was die Zahl der Gemeindemitglieder betrifft, haben wir erstmals die 3000 unterschritten.
Wir versuchen, als Gemeinde immer wieder Begegnungsflächen zu schaffen, damit wir miteinander ins Gespräch kommen. Wir veranstalten seit vielen Jahren das ökumenische Pfingstfest auf dem Marktplatz. Anders geht es auch gar nicht. Und nochmal zum Thema Kulturwandel: Die Gemeinschaftsgrundschule veranstaltet seit zwei Jahren, glaube ich, ein Fastenbrechen. Da war es rappelvoll.
An Weihnachten ist auch Ihre Kirche voll. Ist sie das auch an Ostern?
Wir haben an Ostern deutlich geringeren Besuch als an Weihnachten. Das liegt auch ein kleines bisschen auch daran, dass es an Ostern mehrere Feiertage gibt, von Gründonnerstag an. Da verteilt es sich ein bisschen mehr. Grundsätzlich steht das Osterfest für eine zu betonende Botschaft, angefangen mit dem Abschiednehmen von Jesus von seinen Freunden mit einem gemeinsamen Mahl, dann die Erinnerung an Karfreitag, als Gott sich nicht zu schade war, sich dem Leid dieser Welt zu stellen, auch in dem Sinn, dass Gott all' das, was an Leid geschieht, sieht – und dann aber das Osterfest: Das Leben ist immer stärker als der Tod. Es gibt in Gott Möglichkeiten, dass das Leben weitergeht. Diese Botschaft braucht unsere Zeit auch immer wieder.