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Vortrag in LindlarWarum die Armen immer ärmer werden

3 min
Das Foto zeigt den Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge.

Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge bei seinem Vortrag in Lindlar.

Armut und Reichtum sind in Deutschland ungleich verteilt. Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge hielt in Lindlar einen Vortrag über die Ursachen.

Der Saal muss nachbestuhlt werden, da der Ansturm so groß ist. „Armut und soziale Ungleichheiten in einem reichen Land“ heißt der Vortrag, den Christoph Butterwegge für „Den Runden Tisch“ am Sonntag im Severinushaus gehalten hat. Der Wissenschaftler beschäftigt sich vor allem mit der wachsenden sozialen und sozioökonomischen Ungleichheit. Hier sieht er das eigentliche Problem. „Umverteilung des Reichtums“ heißt sein jüngstes Buch.

„Wer über den Reichtum nicht sprechen will, sollte auch über die Armut schweigen. Und wer die Armut wirksam bekämpfen will, der muss den Reichtum antasten“, so Butterwegge. Absolute Armut gibt es auch in Deutschland. Schon vor der Covid-Pandemie habe es laut des 6. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung 687.000 Wohnungslose in Deutschland und 41.000 Obdachlose gegeben.

Es fehlt an verlässlichen Zahlen

„Bis vor kurzem haben die Statistiker dazu gar keine Daten erhoben“, kritisiert Butterwegge. „Man wusste zwar, wie viele Bergziegen es in Deutschland gibt, aber nicht wie viele Obdachlose und erst recht nicht wie viele Reiche. Und: Man wollte es auch nicht wissen!“ Die Pandemie, die Energiepreis-Explosion infolge des Ukrainekrieges und die Inflation hätten viele Menschen von relativer Armut in die absolute Armut abrutschen lassen.

Immer häufiger seien darunter Menschen über 64 und jene zwischen 18 und 24 Jahren. „Die Armut dringt immer weiter in die Mitte der Gesellschaft. Auf der anderen Seite konzentriert sich der Reichtum in immer weniger Händen. Dazu gibt es aber vom Statistischen Bundesamt keine Statistik“, kritisierte der Wissenschaftler.

In der Wahrnehmung vieler sei die ungleiche Verteilung zwischen Arm und Reich in Amerika viel extremer. Dabei liege Deutschland gar nicht weit hinter den USA zurück: „Die fünf reichsten Familien Deutschlands besitzen zusammen 250 Milliarden Privatvermögen. Das ist so viel, wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung – also 40 Millionen Menschen – zur Verfügung hat.“ Diese Ungleichheit nimmt zu.

Die Ungleichheit nimmt weiter zu

Butterwegge macht das an mehreren Faktoren fest: der Deregulierung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsmarktes sowie eine Steuerpolitik nach dem Matthäus-Evangelium: „Wer hat, dem wird gegeben und wer wenig hat, dem wird das auch noch genommen.“ Alle Kapital- und Gewinnsteuern, die es in Deutschland gab, habe man in den vergangenen Jahrzehnten entweder abgeschafft (wie die Börsenumsatz- und die Gewerbekapitalsteuer) oder einfach nicht mehr erhoben, wie die Vermögensteuer seit 1997.

Das habe nicht nur die Reichen noch reicher gemacht, sondern dem Staat die Daten genommen, die er bis dahin über große Vermögen besaß. Ein Nebeneffekt, der – so Butterwege – gewollt war. Gleichzeitig wurde die Steuer erhöht, die die Ärmsten am schärfsten treffe: die Mehrwertsteuer.

Butterwegge fordert als Gegenmaßnahmen eine Re-Regulierung des Arbeitsmarktes, einen viel höheren Mindestlohn und eine Stärkung der Tarifbindung, vor allem eine andere Steuerpolitik. „Man kann bei uns einen ganzen Konzern erben, ohne dass man einen einzigen Cent Erbschaftssteuer zahlen muss. Und das ist ein Skandal, der dringend geändert werden muss“, so Butterwegge.

In einer regen Fragerunde kommen weitere Personen zu Wort: Wolf Roth von der Schuldnerberatung der AWO, Markus Würz (Caritas) zum Thema Wohnungshilfe und Stephan Windhausen als Experte für Sozialgesetze. Ein gelungener Abend, der so viele Fragen aufwirft, wie er beantwortet hat.


Christoph Butterwegge (*1951) ist Politikwissenschaftler und Armutsforscher. Bis zu seiner Emeritierung 2016 hatte er eine Professur an der Kölner Universität inne. Butterwegge trat 2017 für die Partei „Die Linke“ zur Wahl des Bundespräsidenten an.