Vor 800 Jahren wurde der mächtige Graf und Erzbischof getötet. Herz, Nieren und andere Organe erlebten in Altenberg eine bizarre Odyssee.
Mord im HohlwegDie Eingeweide Engelberts von Berg kamen in Altenberg nicht zur Ruhe

Engelbert versucht, seinen Mördern zu entkommen: So stellte sich ein Historienmaler um 1900 den Mord im Hohlweg vor. Das Ölgemälde wird auf Schloss Burg gezeigt.
Copyright: Schloss Burg
In der Abenddämmerung des 7. November 1225 endete abrupt der Lebensweg des so mächtigen Engelberts II. von Berg. Wenn man der Chronik des Caesarius von Heisterbach (* um 1180, + nach 1240) Glauben schenken darf, geriet der hochrangige Politiker, Erzbischof von Köln und Abkömmling des Grafengeschlechts von Berg, an jenem Tag in einem Hohlweg bei Gevelsberg in einen Hinterhalt.
Friedrich von Isenberg, Cousin und Rivale zugleich, lauerte hier mit seinen Männern. Der Trupp stoppte den Tross Engelberts, der auf dem Weg nach Schwelm war, um dort eine Kirche zu weihen. Die Männer rissen den Erzbischof vom Pferd und stachen auf ihn ein. Ob es sich dabei um eine missglückte Entführung oder um einen geplanten Mord handelte, darüber gibt es verschiedene Theorien.
Mit dem Tod fing eine Odyssee der sterblichen Überreste an
Kein Zweifel herrscht allerdings darüber, dass Engelbert das brutale Gemetzel nicht überlebte. 47 Wunden nennt Heisterbach, ähnlich viele Verletzungen stellte 1978 eine Untersuchung des Skeletts mit modernen Methoden der Forensik fest. Die hohe Zahl der tiefen Verletzungen wird als Zeichen heftiger Gegenwehr Engelberts und panischer Reaktion seiner Angreifer interpretiert.
Doch auch wenn die irdische Reise für Engelbert damit beendet war, für seine sterblichen Überreste fing sie an diesem Tag vor 800 Jahren erst an – und sie sollte eine jahrhundertelange Odyssee werden, die bis in unsere Tage reicht. Eine ihrer Stationen: Altenberg. Hier, wie auch in Gevelsberg, finden zum Jahrestag der Ermordung vor 800 Jahren zahlreiche Veranstaltungen statt.
Nur das Kloster Altenberg öffnete seine Tore für den toten Erzbischof
Nicht hoch zu Ross, sondern auf einem „stinkenden“ Karren, auf dem man „am Tage zuvor noch Mist hinausgefahren hatte“, so Caesarius von Heisterbach, zog der tote Engelbert bei Dunkelheit in Schwelm ein. Dort lehnte man es ab, ihn in der Kirche aufzubahren. Am nächsten Tag verweigerte man auch auf Schloss Burg, dem Familiensitz der Grafen von Berg, offenbar aus Angst vor Rache, die Aufnahme des Toten.

Schloss Burg, der Stammsitz von Engelbert von Berg, öffnete 1225 seine Tore nicht für den Toten.
Copyright: Guido Wagner
Also holperte der Karren weiter, den Berg hinunter zum Kloster Altenberg, wo sich endlich die Pforte für den Leichenzug öffnete. „Hier wird man den Toten wohl in die Krankenhauskapelle gebracht haben“, vermutet Dr. Norbert Orthen, Altenbergkenner und Zisterzienserexperte. Das Spital vermutet er im Osten des Areals der damals noch jungen Klostergründung.
Die Eingeweide Engelberts wurden in einem Bleikästchen bestattet
Man wusch den Leichnam und entnahm ihm die Eingeweide; Herz, Leber, Milz und andere innere Organe, die dem Verwesungsprozess zuerst zum Opfer fallen. Man legte sie in eine konservierende Bleikiste und bestattete die Eingeweide auf dem Friedhof des Klosters. Der übrige Leichnam wurde tags darauf nach Köln gebracht, wo man ihn kochte, um das Fleisch von Engelberts Knochen zu lösen. „Das war nötig, um das Skelett anschließend beim Reichstag in Frankfurt präsentieren zu können – als Beweis für den Mord“, erklärt Orthen die Prozedur. Erst im Dezember 1225 wurden Engelberts Knochen im Kölner Dom beigesetzt.
Die Eingeweide des Toten kamen hingegen weiter nicht zur Ruhe: Auf Initiative eines Adeligen, so Orthen, sei das Bleikästchen kurze Zeit später wieder ausgegraben worden, um es offenbar würdevoller in der Markuskapelle beizusetzen, der ältesten Grablege der Grafen von Berg im Kloster Altenberg.
Umzug von der Markuskapelle in den Altenberger Dom
„Das bedeutet übrigens auch: Die Kapelle wurde nicht etwa aus diesem Anlass und zu Engelberts Ehren neu- oder umgebaut“, schlussfolgert die Kunsthistorikerin Petra Janke in ihrem Betrag über die Reliquienverehrung in Altenberg, veröffentlicht im 100. Heft der Altenberger Blätter. Hier ruhten die Relikte Engelberts nun im Kreise der Verwandtschaft.

Die Markuskapelle in Altenberg war einer der vielen Orte, an denen die Eingeweide von St. Engelbert vorübergehend beigesetzt wurden. Die Stationen hat Dr. Norbert Orthen nachgezeichnet.
Copyright: Christopher Arlinghaus
Vermutlich im 14. Jahrhundert, als der Chor der neuen gotischen Kirche fertiggestellt war, wurden die Grafen von Berg in das repräsentativere Gebäude umgebettet, der kleine Bleisarg zog mit und fand seine - wieder nicht letzte - Ruhestätte unter einer schwarzen Platte vor dem Hochaltar im Altenberger Dom.
Aus der Klosterruine brachte man die sterblichen Überreste in Sicherheit
Im 19. Jahrhundert, die Kirche war inzwischen säkularisiert und nur noch Ruine, Engelbert zwischenzeitlich in Köln zum Heiligen erklärt worden, stand ein neuer Umzug für Herz und Leber an. Man barg das Kästchen und brachte es in der nahen Pfarrkirche St. Pankratius Odenthal in Sicherheit, so Orthen, der in der letzten Ausgabe der Altenberger Blätter die Stationen der Altenberger Engelbert-Reliquien nachgezeichnet hat.
1915, als Altenberg eine eigene Pfarre wurde, sei das Kästchen mit den Eingeweiden in das ehemalige Kloster zurückgekehrt. „Dabei hätte es fast einen Prozess gegeben, weil Pankratius das Kästchen nicht abgeben wollte“, schildert Orthen mit Verweis auf die Quellen.
Erst spät fängt die Verehrung Engelberts in Altenberg an
Erst in den 1930er Jahren seien die Überreste wieder in das Bewusstsein gerückt, sozusagen wiederentdeckt worden, sagt Orthen: „Damit fängt eigentlich erst die Verehrung Engelberts in Altenberg an. Bis dahin spielte Engelbert in Altenberg kaum eine Rolle.“ Optisch schlug sich die nun aufkommende Verehrung in der Gestaltung eines kunstvoll gestalteten Reliquienschreins nieder.

Nur widerstrebend und nach mehreren Versuchen von Pfarrer Thomas Taxacher öffnet sich der kleine Schrein.
Copyright: Christopher Arlinghaus
Es handelt sich um ein kleines, reich verziertes Kästchen, dessen Ornamentik die Geschichte Engelberts erzählt. Hinter einem Klapptürchen, das sich auch in Anwesenheit von Pfarrer Thomas Taxacher nur widerstrebend öffnet, liegen hinter Glas zwei Handvoll gelblicher, an Kieselsteine erinnernde Gebilde, die vor 800 Jahren einmal menschliches Gewebe gewesen sein sollen.
Der Schrein wurde aus dem Dom gestohlen und landete im Steinbruch
Dass man den Schrein heute noch im Altenberger Dom sehen kann, ist nicht selbstverständlich. 1985 wurde das Reliquiar von Unbekannten gestohlen, die in den Dom eingebrochen waren und in dem Schrein wohl eher materielle Werte und nicht verknöcherte Überreste vermuteten. Offenbar aus Enttäuschung landete das Kästchen, nur mäßig beschädigt und im Herzstück unversehrt, in einem Steinbruch bei Paffrath, wo es Spaziergänger schließlich fanden. „Nur ein eingelassenes Knöchelchen oben in der Laterne und ein paar Steine fehlten“, erinnert sich Orthen.

Der Inhalt des Reliquiars: Es soll sich um die 800 Jahre alten Überreste der Eingeweide handeln, die dem gemeuchelten Engelbert II. in Altenberg entnommen wurden.
Copyright: Christopher Arlinghaus
Und noch einmal ging es auf die Reise. Nun im Gepäck von Norbert Orthen, der den Auftrag hatte, das ramponierte Kästchen nach Köln zu bringen, damit es hier fachgerecht aufgearbeitet und wieder mit einem Knochenfragment aus dem Kölner Engelbert-Schrein versehen werden konnte. Damals noch Lehrer an der Erzbischöflichen Ursulinenschule, deponierte Orthen den Schrein während des Unterrichts im Schulsekretariat, bevor er abends mit ihm die Heimreise nach Altenberg antrat.
„Ich denke schon, dass die Eingeweide echt sind“, sagt Orthen beim Blick in das Innere des Schreins. Auf Herz und Nieren habe dies aber noch niemand geprüft. Sollte es jedoch wirklich so sein, dann nimmt Engelbert II. am 7. und am 16. November dieses Jahres, acht Jahrhunderte nach seiner Ermordung in einem Hohlweg bei Gevelsberg, ein kleines Stück weit an den Feierlichkeiten zu seinen Ehren im Altenberger Dom teil.