Gefühle von Ohnmacht und Angst kennen Angehörige von Sterbenskranken. Ein Letzte-Hilfe-Kurs vermittelt Informationen und Sicherheit.
Letzte-Hilfe-Kurs in SeelscheidWie Butter, Bier und Sahne Sterbenskranken helfen können

Der Letzte-Hilfe-Kurs soll Informationen und Sicherheit vermitteln im Umgang mit Todkranken. (Symbolbild)
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Nach mehr als 20 Jahren sind sie immer noch da, die Gefühle von Angst, Ohnmacht und Überforderung, wenn ich an das Sterben meines Vaters im Krankenhaus denke. Das Bedauern, ihn nicht zu mir nach Hause geholt zu haben für die letzten Monate, Wochen, Tage. Diese Entscheidung habe ich fast ebenso betrauert wie den großen Verlust. Damals fand ich keinen Weg aus meiner Hilflosigkeit. Heute gibt es Letzte-Hilfe-Kurse.
Es nieselt, düsteres Novemberwetter Mitte Oktober, mein Weg zum evangelischen Gemeindehaus Seelscheid führt am Friedhof vorbei. Passt. Drinnen Wärme, Lachen, keine Begräbnisstimmung, Gott sei Dank. Ich denke an meinen Vater, seinen trockenen Humor. Der Kursname hätte ihm gefallen - und auch der Tisch, auf dem Bier und Butter, Brausepulver, Sekt und Sahne stehen. Rätselhaft.
80 Prozent wünschen sich, daheim zu sterben, nur für 20 Prozent geht das in Erfüllung
„Sterben ist ein Teil des Lebens“, mit diesem eindringlichen Satz empfängt Ute Zirwes, Koordinatorin beim Hospizdienst Much, die Kursteilnehmer, ein rundes Dutzend Frauen und Männer von 35 bis 80. Mit ihrer Kollegin Hilla Schlimbach wirbt sie für einen offenen Umgang mit dem Thema Tod und Trauer. Und für eine Sterbebegleitung, die den Namen verdient. Die gelernten Krankenschwestern haben eine spezielle Palliativ Care-Ausbildung, Zirwes bringt zudem Berufserfahrung aus dem Hospiz mit.
Im Krankenhaus, das hat Schlimbach als junge Intensivschwester erlebt, seien einst die Patienten, wenn es zu Ende ging, ins Badezimmer geschoben und allein gelassen worden. Nur Krankenpflegeschülerinnen wurde ab und zu geschickt, um nach den Sterbenden zu schauen. „Das ist zum Glück Vergangenheit.“
In vertrauter Umgebung den letzten Atemzug zu tun, das wünschen sich laut aktuellen Umfragen 80 Prozent aller Menschen. Doch auch in der Gegenwart sei die Realität noch eine andere, würden nur 20 Prozent daheim sterben. Es fehle vor allem an Informationen, meinen Schlimbach und Zirwes.
Den Tod anschauen, das Sterben zurück in die Gesellschaft zu bringen, das ist unser Auftrag.
Der Letzte-Hilfe-Kurs könne mit Aufklärung die Angst nehmen. „Den Tod anzuschauen, das Sterben zurück in die Gesellschaft zu bringen“, sagt Zirwes, „das ist unser gesellschaftlicher Auftrag.“ Der Hospizdienst, ein ehrenamtlich getragener Verein, sorge mit seinen vielen Ehrenamtlichen für Entlastung von Angehörigen, die hauptamtlichen Koordinatorinnen zudem für Vernetzung, Stichwort Palliativversorgung.
Es gebe Hausärzte, die gut aufgestellt seien. Zudem drei spezialisierte ambulante Palliativteams in der Region mit einer 24-Stunden-Rufbereitschaft, die nach Hause kommen. Drei stationäre Hospize stünden allen offen, haben allerdings nur eine begrenzte Bettenzahl. Palliativabteilungen in Kliniken seien entgegen landläufiger Vorurteile keine Endstationen, sondern Stabilisierungsorte für höchstens drei Wochen, so Schlimbach: „Dann werden die Patienten nach Hause entlassen oder in ein Hospiz verlegt.“
Was geschieht am Lebensende? „Man stirbt nicht, weil man aufhört zu essen und trinken, sondern man hört auf zu essen und trinken, weil man stirbt“, dieser Satz, zum Beispiel, könne die Entscheidung für oder wider künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr erleichtern. Viele Therapien, Medikationen, Operationen oder eine künstlich hergestellte, hochkalorische Ernährung hätten keinen Sinn mehr.
Jetzt kommen Butter und Brause, Sekt, Sahne und Bier ins Spiel, für den Genuss genauso wie für die Mund- und Lippenpflege. Die Lieblingsgetränke, in den Mund gesprüht oder mit Wattetupfer und Schwämmchen am Stiel verteilt, sorgten für leckere Feuchtigkeit. Ein Handventilator helfe bei Atemnot. Ruhige Musik, leichte Massagen, Rituale bringen Entspannung - aber nur, wenn der Kranke dies als angenehm empfinde.
„Achten Sie, wenn er sich nicht mehr äußern kann, auf Mimik und Gesten“, erläutert Schlimbach, „Stirnrunzeln und Kopfwegdrehen sind eindeutig.“ Besser als das oft praktizierte Handhalten sei es, eine Hand unter die des Angehörigen zu legen, damit auch Geschwächte reagieren und ihre wegziehen könnten.

Sekt und Sahne für Todkranke: Ute Zirwes (l.) und Hella Schlimbach vom Hospizverein Much geben im Letzte-Hilfe-Kurs gute Tipps.
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Es gebe kein allgemein gültiges Rezept für die Begleitung: Gespräche seien gut, wenn alle Beteiligten dies wollten. Dazu brauche es Mut und Respekt. Besuch könne rasch zu viel werden, das Ruhebedürfnis wachse. Viele ehrenamtliche Begleiter des Hospizdienstes hätten oft erfahren, erzählt Zirwes, dass der Sterbende sich erst verabschieden könne, wenn die Ehefrau, die Kinder nicht mehr im Raum sind.
Einige Kursteilnehmer schildern, eine solche Situation auch erlebt und deshalb immer noch ein schlechtes Gewissen zu haben. „Sie haben alles richtig gemacht“, beruhigt sie Hilla Schlimbach.
Der Hospizdienst Much hilft beim Ausfüllen von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
Bei aller Schwere der Thematik bringen die Leiterinnen auch Leichtigkeit in den Abend: Zum Beispiel mit der „Löffelliste“. Fragezeichen in den Augen. Hella Schlimbach: „Darauf kann man alles notieren - ab sofort - was man noch erleben möchte, bevor man den Löffel abgibt.“ Lachen. Das Leben ist endlich, so die Botschaft, lasst es uns genießen.
Was ist wichtig am Schluss, wer soll für mich entscheiden, wann hat das Leben für mich noch einen Sinn, wo und wie würde ich gern sterben? Für diese Fragen und Antworten gibt es Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung, der Hospizdienst helfe gern beim Ausfüllen der Formulare, betonen die Kursleiterinnen.
Mein Vater hatte nichts dergleichen, meine Mutter war, mit beginnender Demenz, von der wir Kinder nichts ahnten, in der Situation komplett überfordert. Auf der Beerdigung sprach ein katholischer Pfarrer, der meinen kirchenfernen Vater überhaupt nicht kannte. Unter all meinen Tränen musste ich unwillkürlich lächeln. Gut, dass er das nicht hören musste!
Meine eigene Vorsorgeplanung liegt übrigens seit Jahren in der Schublade, ungewöhnlich für mich, aber gar nicht so selten, heißt es im Letzte-Hilfe-Kurs. Man sollte Wünsche und Verantwortlichkeiten mit seinen nahen Angehörigen besprechen, geben die Leiterinnen uns mit. Nun kann ich mich dem stellen.
Kostenlose Teilnahme
Der Letzte-Hilfe-Kurs umfasst vier Module und dauert etwa vier Stunden inklusive Pause. Die Teilnahme ist kostenlos. Der ambulante Hospizdienst Much, der auch für Seelscheid und Ruppichteroth zuständig ist, finanziert sich aus Zuwendungen und Spenden. Der Bereich Trauerbegleitung erhält keine öffentlichen Mittel. Der Verein hat seinen Sitz im Zentrum von Much, Dr.-Wirtz-Straße 6, Kontakt: 02245 / 618090, kontakt@hospizdienst-much.de. Sprechstunden Montag und Mittwoch von 10 bis 12 Uhr und nach Vereinbarung.
Die von Dr. Georg Bollig entwickelten Letzte-Hilfe-Kurse werden in anderen Kommunen des Rhein-Sieg-Kreises von Organisationen wie den Johannitern angeboten. Sie sind mittlerweile international verbreitet.

